Der von der EU-Kommission vorgeschlagene Importstopp für russische Kohle im Rahmen eines neuen Sanktionspakets gegen Russland könnte weitreichende Folgen für die Stromerzeugung in Deutschland haben. Im Falle eines sofortigen Lieferstopps könne es in Deutschland „nach wenigen Wochen zu Kohleknappheit kommen“, da die Lieferketten noch nicht umgestellt seien, schreibt das Bundeswirtschaftsministerium in einem aktuellen Bericht an den Wirtschaftsausschuss des Bundestags, der Capital vorliegt. Dies wiederum könne auch „Auswirkungen auf den Stromsektor haben“.
Im Jahr 2020 importierte Deutschland ungefähr die Hälfte der insgesamt benötigten 30 Millionen Tonnen Steinkohle aus Russland. Steinkohle wird hierzulande zu gut 50 Prozent zur Stromerzeugung in Kraftwerken eingesetzt, die andere Hälfte in der Industrie. Schon im März hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erklärt, dass die Abhängigkeit von Russland bei der Kohle durch Vertragsumstellungen in den kommenden Wochen auf rund 25 Prozent sinken werde. Bis zum Herbst dieses Jahres könnte Deutschland nach Habecks Angaben „unabhängig“ von russischer Steinkohle sein.
Aus dem aktuellen Bericht für den Wirtschaftsausschuss, der auf den heutigen Dienstag datiert ist, geht allerdings hervor, dass Habecks Ministerium für den Fall eines kurzfristigen Kohle-Embargos durch die EU oder eines Lieferstopps seitens Russlands mit Problemen im Stromsektor rechnet. Bei einem kurzfristigen Ausfall würden die Kraftwerksbetreiber zunächst auf Vorräte an Steinkohle zurückgreifen, die an den Kraftwerksstandorten und in Häfen lagern. Diese reichten allerdings nur für etwa vier bis sechs Wochen, heißt es in dem Bericht. Zudem fielen die Vorräte an den einzelnen Standorten unterschiedlich groß aus. „Nach einem Verbrauch der Vorräte wären voraussichtlich einzelne Kraftwerke abzuschalten“, schreibt das Ministerium. Die noch verfügbare Kohle müsse „gegebenenfalls priorisiert werden, um die Netzstabilität zu gewährleisten“.
Kohlekraftwerke als Sicherheitspuffer
Nach eigenen Angaben arbeitet das Wirtschaftsministerium mit der Bundesnetzagentur daran, gemeinsam mit den Kraftwerksbetreibern den Einkauf von Kohle und den Aufbau von Reserven voranzutreiben. Parallel sei eine Diversifizierung der Kohlelieferketten erforderlich. Dazu gebe es einen engen Austausch mit den Energiekonzernen.
Kurzfristige Probleme bei der Kohleversorgung der Kraftwerke hätten auch deshalb größere Folgen, weil die Bundesregierung angesichts der unsicheren Versorgungslage beim Erdgas durch die Drohungen des Kreml mit einem Lieferstopp und die hitzige Debatte über ein Gasembargo durch die EU auf Steinkohlemeiler als kurzfristigen Sicherheitspuffer setzt. Angesichts der niedrigen Füllstände bei den Gasspeichern und der hohen Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen, die sich nach Einschätzung der Bundesregierung nicht so schnell ersetzen lässt wie bei der Kohle, sollen Gaskraftwerke in nächster Zeit weniger laufen. Im Stromsektor solle der Gasverbrauch „kurzfristig auf ein Minimum“ gesenkt werden, schreibt das Wirtschaftsministerium. Als Ersatz sollten Kohlekraftwerke höher ausgelastet werden.
Derzeit prüft das Ministerium nach eigenen Angaben, inwieweit bereits stillgelegte oder zur Stilllegung anstehende Steinkohlekraftwerke zur Versorgungssicherheit beitragen könnten. Die Meiler könnten beispielsweise in eine Reserve überführt oder vorübergehend an den Markt zurückgebracht werden, heißt es in dem Bericht. Dafür müsse jedoch die Rechtslage „erheblich angepasst“ werden. Darüber hinaus kann diese Strategie nur funktionieren, wenn die Steinkohleimporte gesichert sind. Andernfalls müssten wohl die besonders klimaschädlichen Braunkohlekraftwerke verstärkt einspringen.