Es war kurz nach der Bundestagswahl 2021, als Pitch- und Wunderlist-Gründer Christian Reber auf Twitter (heute X) seiner Hoffnung auf eine Koalition der Ampel-Parteien Ausdruck verlieh: „Ich würde mir wünschen das sich die SPD, Grünen und die FDP als Team für ein eine neue, effiziente Regierung sehen. SPD fokussiert sich auf soziale Themen, FDP auf die Wirtschaft, und die Grünen auf Umwelt. Nichts geht ohne den anderen, aber alle vertrauen und unterstützen sich.“
Heute, etwas mehr als drei Jahre, hat sich bei Reber Ernüchterung eingestellt. Die Ampel sei genau wie die Große Koalition zuvor „massiv gescheitert“ – und sollte die nächste Bundesregierung ebenso wenig in Lage sein, die Probleme der Menschen im Land zu lösen, drohe eine AfD-Mehrheit bei der übernächsten Bundestagswahl.
Um das zu verhindern, unterbreitete Reber am Dienstag auf X einen Vorschlag, der einem Tabubruch gleichkommt: Die Union solle sich schon jetzt für eine Koalition mit der AfD öffnen, unter der Bedingung, dass Euro- und EU-Austritt ausgeschlossen seien und „kein offensichtlich rechtsradikales Parteimitglied politische Verantwortung tragen wird“. Derart eingebunden, würde die AfD „entzaubert und schrumpfen“.
Es wäre das Ende der sogenannten Brandmauer, mit der die CDU eine Zusammenarbeit mit der AfD bislang ausgeschlossen hat. Und es wäre ein hochriskantes taktisches Unterfangen – schließlich ist die Geschichte voll von Beispielen, wo die versuchte Einhegung extremer Kräfte nicht nur nicht gelang, sondern ihnen letztlich erst recht zur absoluten Machtfülle verhalf.
Grüne und FDP weiter mit meisten Anhängern
Es dauerte daher auch nicht lange, bis heftiger Gegenwind für Rebers Vorschlag aufkam. Die Idee sei „unrealistisch“, kritisiert der in der Start-up-Szene gut vernetzte CDU-Politiker Thomas Jarzombek gegenüber Capital. „Selbst wenn man es wollte, wird die AfD sich nicht in eine Art ‚gute AfD‘ und eine Art Bad Bank mit Höcke und Co. aufteilen. Die Partei strotzt vor Selbstbewusstsein und wird sich nicht teilen lassen.“
Vor allem aber stehe die AfD „für ganz andere Werte als die CDU“, so Jarzombek. „Sie ist gegen Europa, die CDU steht in Tradition mit Adenauer für Europa. Wir stehen für Westbindung und NATO, die AfD will mit Putin gehen.“ Man sollte, so der Unionsmann, zudem „die Kirche im Dorf lassen“. Die AfD sei „gerade mal fünftstärkste Fraktion im Bundestag“, die Erfolge bei den letzten Landtagswahlen im Osten „nicht repräsentativ für Deutschland im Ganzen“.
Auch wenn der Vorschlag in Kreisen der Union kaum Anhänger gewinnen dürfte, so zeigt er doch, wie sich der Debattenraum einer Szene verändert, die lange als grünennah und liberal galt: Analog zur Situation in den Vereinigten Staaten werden in der Tech-Welt vermeintliche Denkverbote abgebaut, politisch rechte Ideen gewinnen Anhänger und werden offener geäußert als je zuvor – auch wenn die übergroße Mehrheit sich immer noch bei Grünen und FDP verorten (das zeigte zuletzt im Sommer der Deutsche Startup-Monitor, der Jahr für Jahr die politische Stimmungslage der Szene misst).
Manch einen dürfte dabei ähnlich wie Reber die Enttäuschung über die Politikergebnisse der vergangenen Jahre antreiben; andere erkennen mit den nun beginnenden Bundestagswahlkampf und einem vermeintlich sicheren zukünftigen Kanzler Friedrich Merz neue Opportunitäten; wieder anderen bieten die neuen politischen Realitäten die Gelegenheit, lang gehegte, aber bislang marginalisierte Ansichten endlich öffentlich äußern zu können.
Medienkritik gehört dazu
So entwickelte Reber seine Idee offensichtlich auch nicht im luftleeren Raum, sondern stand dazu im Austausch mit dem Investor und ehemaligen Vorsitzenden des Startup-Verbands Christian Miele. Der beeilte sich gestern zu betonen, er sei „für schwarz-gelb“ und nicht für eine Regierungsbeteiligung der AfD – trotzdem aber fürchte er, dass es „durch die Brandmauer“ auf eine schwarz-grüne oder schwarz-rote Koalition hinauslaufe, „obwohl die Wählerinnen und Wähler mehrheitlich eine bürgerlich-rechte Politik“ wollten. „Eine große Gefahr besteht, dass es abermals vier Jahre faule Kompromisse geben wird“, so Miele.

„Der Fachkräftemangel wird sich mit der AfD kaum beseitigen lassen“
Ein weiteres aus den USA bekanntes Muster macht sich in dieser Welt zudem breit: die Kritik an Journalisten und den Medien. Erst zu Wochenanfang schrieb Miele auf X an die „liebe Medien-Bubble“ den Hinweis, „dass eine Mehrheit der Deutschen aktuell bürgerlich-rechts wählen würde“ – und schickte eine unmissverständliche Aufforderung hinterher: „Wann kommt der Punkt, an dem ihr euren Bias überwindet und eine schwarz-gelbe Koalition ohne ideologische Seitenhiebe und mit neutralem Blick beleuchtet?“ Investor und Ex-TV-„Löwe“ Frank Thelen kommentierte Mieles Kritik wohlwollend: „Ich freue mich, das von einem der wichtigsten Startup-Köpfe zu lesen“.
Es scheint sich etwas zu verschieben. In der Szene werden Stimmen lauter, die so bislang nicht zu hören waren. Da gibt es gewichtige Podcaster, die auf Linkedin „100 Prozent Zustimmung“ äußern, wenn andere Kommentatoren davon schwadronieren, dass die „Altparteien endlich die Reißleine ziehen und ihre Politik wieder an dem Willen der Bürger ausrichten“ müssten. Oder eine bekannte Investorin, die in ihrer Kolumne das „Ende der Woke-Bewegung“ feiert. Passenderweise war es dann auch das vom Ex-„Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt geleitete Online-Magazin „Nius“, das gestern als erstes Medium die Debatte um Rebers Vorschlag mit einer Mischung aus Aufregung und Faszination aufgriff: „Es ist ein politischer Paukenschlag!“, hieß es da.