Capital: Herr Gleichauf, wie schauen Sie dieser Tage als Menschenrechtsbeauftragter von Mercedes-Benz in die USA?
JÜRGEN GLEICHAUF: Menschenrechte machen keinen Halt an Ländergrenzen, sie sind universell. Deshalb schauen wir schon sehr genau hin, in jedem Land und auch, was sich im Moment in den USA entwickelt. Wir werben dort für eine offene Gesellschaft. Der rechtliche Rahmen hat sich bislang aber nicht wesentlich verändert. Als Unternehmen können wir uns auch einbringen. Aber am Ende gilt lokales Recht.
Das ist ja der Grundkonflikt bei Menschenrechten. Wie universell können sie für einen Konzern wirklich sein?
Uns geht es in erster Linie um Rechte der vulnerablen Gruppen. In Deutschland haben wir beispielsweise die Schutzrechte des Einzelnen gegen den Staat zum Schutz einer gewissen Werteordnung. Die ist durch Kultur und Geschichte bestimmt. Es geht aus meiner Sicht darum, dass die internationalen Standards etwa aus der Menschenrechtscharta der UN weltweit respektiert werden. Dafür stehen wir. Das ist eine tägliche Herausforderung.
Bundeskanzler Friedrich Merz will das europäische Lieferkettengesetz abschaffen. Gibt es Ihren Posten in einem Jahr vielleicht gar nicht mehr? Er wurde ja wie bei vielen großen Unternehmen mit der Einführung des deutschen Gesetzes eingerichtet.
Den wird es definitiv weiter geben. Wir haben die Funktion nicht nur wegen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes geschaffen. Ich hatte die Zuständigkeit für Social Compliance und Human Rights auch vorher schon. Das deutsche Lieferkettengesetz hat ein paar Schwächen und in der Anwendungspraxis mit den Behörden gibt es natürlich die eine oder andere Herausforderung, zum Beispiel im Hinblick auf Bürokratie oder die Berichtspflicht. Aber ich persönlich finde, es ist in Summe sehr gut gemacht und wir können gut damit arbeiten.
Hat der Titel „Menschenrechtsbeauftragter“ dann für Sie überhaupt etwas geändert?
Das Thema ist schon stärker in den Fokus gerückt. Wir hatten viele Prozesse schon etabliert, haben die Systematik aber weiterentwickelt. Ob das Gesetz den Menschenrechtsbeauftragten vorgibt oder nicht, kann aus meiner Sicht komplett dahinstehen. Man muss in dem Thema vernünftig arbeiten. Das werden wir auch weiterhin tun, auch ohne gesetzlichen Anstoß.
Also werden die Menschenrechtsbeauftragten nicht massenweise wieder abgeschafft?
Ich glaube nicht, dass alle Unternehmen zurückrudern. Die inhaltliche Verpflichtung ist ja da und es rückt immer wieder ein neues Risiko in den Fokus. Vor zehn Jahren waren Batterierohstoffe noch gar kein Thema. Heute kommen sie in der Regel aus Ländern, wo man genauer hinschauen muss.
Trotzdem gibt Mercedes als Ziel aus, Produkte ohne Menschenrechtsverletzungen herstellen zu wollen. Was bringt so ein unrealistisches Ziel?
Man ist nie ganz fertig, das ist richtig. Mir ist aber wichtig, dass wir versuchen, die wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Interessen vor Ort in ein Gleichgewicht zu bringen. Das deutsche Gesetz gibt da einen guten Rahmen vor, etwa das Prinzip „Befähigung vor Rückzug“.
Was heißt das?
Dass man sich bei Problemen eben nicht durch die „kalte Küche“ verabschiedet, sondern ins Land geht – auch, wenn es schwierig ist, und versucht, die Probleme vor Ort zu lösen oder zumindest zu verbessern. Schaffen wir das immer sofort und ohne Herausforderungen? Nein, aber wir reduzieren die Risiken und wir tun etwas für die Menschen. Die redundante Bürokratie hilft den Leuten hingegen nicht.
Werden Konzerne ohne gesetzgeberischen Druck die Menschenrechte aber nicht eher vernachlässigen?
Ich glaube das Gegenteil. Das Gesetz hat insgesamt zur Befriedung beigetragen. Es bringt langfristig nichts, Lieferketten auszupressen. Es macht auch kaufmännisch Sinn, am Schutz von Menschenrechten und dem Thema Nachhaltigkeit festzuhalten. Die Einhaltung der Menschenrechte ist nicht disponibel. Das sind grundlegende Verpflichtungen, die uns als Bürger und als Unternehmen betreffen.
Mercedes-Benz produziert in China. Haben Sie als Beauftragter für Compliance und Menschenrechte zwei verschiedene Blickwinkel auf das Land?
Nein, das ist derselbe. Ich achte auf die Regeleinhaltung, egal, ob es um Menschenrechte oder Antikorruptionsvorschriften geht, bei unseren Werken in China wie in jedem anderen Land. Wir haben mit Lieferanten in China entsprechende Standards vereinbart. Da bin ich besonders stolz drauf, das war nicht immer einfach.
Aber noch einmal: Ein Produkt ohne Menschenrechtsverletzungen – wirklich?
Ich habe schon gesagt, man ist da nie fertig. Aber dass das der Anspruch unserer Marke ist, ist für mich selbstverständlich. Ich bin 27 Jahre im Unternehmen und zu lange Mercedes-Manager, um da Kompromisse zu machen. Das klingt fast arrogant, aber das hat auch was mit unserer Marke zu tun. Wo wir von Notsituationen erfahren, werden wir tätig und versuchen, sie zu lösen. Ich habe hier ein kleines Team von höchst motivierten Kolleginnen und Kollegen. Ihnen sind die Menschenrechte ein persönliches Anliegen. Das meine ich ernst. Sie würden wahrscheinlich ansonsten bei einer NGO arbeiten. Der Schutz von Menschenrechten ist Teamwork, mit externen Partnern, aber auch intern mit verschiedenen Fachbereichen, zum Beispiel dem Einkauf.
Ist Menschenrechtsbeauftragter ein Beruf, den junge Menschen anstreben können?
Absolut! Junge Leute sind höchst motiviert, an Nachhaltigkeitsfragen zu arbeiten. Schauen Sie auf den politischen Einfluss von extremen Rändern und die Risiken für unsere Demokratie. Da das Grundgesetz zu verstehen und sich dafür einzusetzen, kann doch der Arbeit einen ganz anderen Sinn geben. Da können sich junge Leute, die purpose-driven sind, sehr gut wiederfinden.
Muss man als Menschenrechtsbeauftragter Jurist sein, so wie Sie?
Ich glaube, dass die juristische Ausbildung hilfreich, aber nicht zwingend ist. Man braucht analytische Fähigkeiten, ein Gespür für Menschen und interkulturelle Fragen, Kommunikationsgeschick. Manchmal geht es auch einfach um gesunden Menschenverstand. Und man muss ein Werteverständnis und Rückgrat haben. Ich nenne das ethisches Selbstbewusstsein.
Auch, wenn das mit den Interessen eines Dax-Konzerns kollidiert?
Meine Rolle ist es, auf Konflikte hinzuweisen. Meine Erfahrung ist aber, dass die Menschen schon sehr sensibel sind, wenn es um menschenrechtliche Fragen und Risiken geht. Manchmal ist ein Thema nicht so präsent und leicht zu durchschauen, wenn man sich nicht intensiv damit auseinandersetzt. Die meisten sind dann dankbar: „Das wusste ich gar nicht“, „Die Dimension war mir gar nicht bekannt“. Da ist es einfach wichtig, dass man unaufgeregt und sachlich das Thema beschreibt. Dann setzt man das auch durch. Ich habe es eigentlich noch nie erlebt, dass jemand bei wichtigen Fragen dagegenhält.