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Ökonom Bernd Kempa „Die Lohnforderungen im Öffentlichen Dienst sind übertrieben“

Die Gewerkschaft Verdi fordert für die Angestellten von Bund und Ländern 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro
Die Gewerkschaft Verdi fordert für die Angestellten von Bund und Ländern 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro
© IMAGO/Hanno Bode
Der Münsteraner Ökonom Bernd Kempa warnt vor zu hohen Lohnforderungen. Diese könnten eine Lohn-Preis-Spirale auslösen – die noch deutlich unangenehmer ist als die aktuelle Teuerungsrate

Capital: Verdi fordert in der aktuellen Tarifrunde für die Angestellten von Bund und Kommunen 10,5 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Würde ein solches Ergebnis im Sinne einer Lohn-Preis-Spirale die Inflation weiter anheizen? 
BERND KEMPA: Im Fall des öffentlichen Dienstes ist die Sache etwas anders gelagert. Wir würden normalerweise diese Lohn-Preis-Spirale dann erwarten, wenn es sich um private Unternehmen handelt, die jetzt einen höheren Kostenblock zu bewältigen haben und diese Kosten in Form der höheren Löhne entsprechend in höhere Preise umwälzen. Und damit kommt es eben zu einer sich verstetigenden Inflation, die dann auch über höhere Inflationserwartungen in der nächsten Runde wieder die Lohnforderungen beflügelt – und so weiter. Das ist die bekannte Lohn-Preis-Spirale.

Im öffentlichen Dienst sieht etwas anders aus, weil eben hier die höheren Löhne nicht notwendigerweise auf höhere Preise überwälzt werden. Vielmehr springt der Bund ein oder die Kommunen. Sie müssen entsprechend mehr zahlen, ohne dass sie eventuell die Preise erhöhen können. Das würde dann bedeuten, dass die Verschuldung der Gebietskörperschaften entsprechend ansteigt, wenn nicht eine zusätzliche Besteuerung ins Spiel kommt. Die Möglichkeiten wären dann, entweder über eine Kreditaufnahme diese höheren Lohnausgaben zu finanzieren oder perspektivisch die Steuersätze und Abgaben anzuheben.

Zurück zur Höhe. Im Raum steht die höchste Lohnforderung im öffentlichen Dienst seit Jahrzehnten. Ist sie überzogen?
Meines Erachtens schon. Wir haben 2022 eine Inflation von 7,9 Prozent gehabt, im Jahr davor auch schon leicht erhöht durch die Coronapandemie im Bereich von 3,1 Prozent. In jedem Fall frisst die erhöhte Inflation sich natürlich in die Kaufkraft der Konsumierenden, nicht nur im öffentlichen Dienst, sondern in der Breite der Bevölkerung. Und man muss anerkennen, dass diese Störungen der Lieferketten im letzten Jahr und durch den Ukrainekrieg in diesem Jahr uns alle etwas ärmer macht. Also die Energiepreise sind gestiegen, ebenso die Importpreise von Agrarprodukten, und das verringert eben unsere Kaufkraft. Daran führt kein Weg vorbei, das müssen wir zu einem gewissen Grad auch akzeptieren. Mit den entsprechend höheren Lohnforderungen versuchen die Gewerkschaften eine Kompensation für diesen Kaufkraftverlust zu erzielen.

Bernd Kempa ist Direktor des Instituts für Internationale Ökonomie der Universität Münster 

Aber in welchem Maß ist das berechtigt?
In gewisser Weise ist das berechtigt – und auch im öffentlichen Dienst sicherlich vor dem Hintergrund der Überlastung in Krankenhäusern und den vielen offenen Stellen verständlich, zugleich aber auch sicherlich in dieser Höhe eindeutig überzogen. Denn hier wird eine volle Kompensation für den Kaufkraftverlust gefordert. Und diese Kompensation müssen dann andere Bevölkerungsschichten tragen, zum Beispiel durch eine höhere Besteuerung, die wiederum in Zukunft alle trifft, oder eben im Privatsektor durch eine höhere Inflation, die dann auch diejenigen gerade besonders belastet, die keine höheren Lohnforderungen durchsetzen können.

Gewerkschafter machen auch geltend, dass die Inflation neben den hohen Energiekosten auch von der Gewinn-Preis-Spirale angetrieben wird, und Unternehmen auch ein Teil der Krisenbewältigung beizutragen haben. Ist das ein gültiges Argument?
Der Einwand ist durchaus berechtigt. Jeder muss hier mithelfen, die Krise zu bewältigen, und sie nicht in einer endlosen Preisspirale münden zu lassen. Allerdings haben Unternehmen in aller Regel einen geringen Spielraum, dämpfend auf die Inflation einzuwirken. Löhne machen einen hohen Anteil der Gesamtkosten aus, insbesondere im Dienstleistungssektor. Hinzu kommen auf breiter Front höhere Importpreise von Zwischenprodukten und Rohmaterialien. Sicherlich sehen Unternehmen bei hoher Inflation auch oft die Chance, überproportional höhere Preise durchzusetzen, weil sie sowieso auf breiter Front steigen – und damit vielleicht die Gewinnmarge auszubauen. Das kann man nicht wirklich verhindern – außer es gelingt, die Inflation wieder auf das Ziel von zwei Prozent europaweit zurückzudrängen. Dann sinken auch die Chancen, ungerechtfertigter Weise ihre eigene Gewinnsituation zu verbessern.

Die Metaller-Einigung von Plus 5,2 Prozent in diesem Jahr und 3,3 Prozent 2024 fiel gemäßigter aus – und wir haben einen Buckel statt einer Spirale – wäre das auch für die Verdi-Runde sinnvoll?
Auf jeden Fall. Man muss auch jetzt erkennen, dass diese hohen Lohnabschlüsse, sollten sie  tatsächlich so umgesetzt werden, ein schlechtes Zeichen in die Volkswirtschaft für zukünftige Lohnverhandlungen geben werden: nicht nur im öffentlichen Dienst, sondern auch in der Privatwirtschaft. Im laufenden Jahr werden sich viele dann an den hohen Abschlüssen auch von verdi orientieren. Daher ist es besser, tatsächlich die Lohnforderungen zu staffeln. Die IG Metall hat das ziemlich gut gemacht. Sie haben auch ihre 8 Prozent bekommen, aber eben verteilt auf zwei Jahre. So etwas ist auch für den öffentlichen Dienst vorstellbar.

Wie kann man bei den jetzigen Maximalforderungen etwas Druck aus dem Kessel nehmen?
Eigentlich müssen auch die vom Bund bereits auf den Weg gebrachten Entlastungspakete vor allem bei Strom- und Gaspreisen bei solchen Lohnforderungen von plus 10,5 Prozent, oder bei der Post sogar bis 15 Prozent, für einen vollen Inflationsausgleich mit berücksichtigt werden. Der Bund hat hier schon sehr viel ausgegeben. Und die hohen Lohnforderungen würden den Staatshaushalt in einem Maße belasten, das auch aus gesamtgesellschaftlicher Sicht nicht akzeptabel ist. Hier muss man etwas auf die Einsicht und Mäßigung der Gewerkschaft hoffen. Ich bin mir sicher, dass das auch passieren wird.

Was auch aus dem Dilemma helfen könnte, sind Einmalzahlungen. Wie schon in der Privatwirtschaft könnte ein steuerfreier Zuschlag gewährt werden, der in gewisser Weise die verlorene Kaufkraft der Bediensteten im öffentlichen Dienst etwas ausgleicht, ohne dauerhaft die Löhne anzuheben. So etwas sehe ich auch für den öffentlichen Dienst als gangbaren Mittelweg. Jetzt sind 500 Euro als mindeste Lohnerhöhung im Gespräch, die aber dauerhaft sein sollen. Besser wäre eine Einmalzahlung, die in diesem Jahr der hohen Inflation entlastet, ohne die Kosten in zukünftigen Jahren dauerhaft zu vererben. Die Einmalzahlung wäre eine zeitnahe Kompensation für die inflationsbedingten Kaufkraftverluste, sodass die Lohnerhöhungen insgesamt moderater ausfallen können.

Sie haben es bereits angeprochen: Lohnkosten für Pflegekräfte, Busfahrer oder Feuerwehrleute können nicht so einfach an die Konsumenten weitergegeben werden. Aber indirekt kann ein hoher Abschluss doch auch den Einstieg in eine Lohn-Preis-Spirale signalisieren?
Also indirekt sehe ich schon das Problem der Lohn-Preis-Spirale. Man wird sich auf die Vorbildfunktion der Erhöhungen für die Metaller und den öffentlichen Dienst berufen und will irgendwie nachziehen. Wir müssen aber auch berücksichtigen, dass die zusätzliche Kaufkraft aus zehn Prozent Lohnerhöhung auch wieder die Nachfrage befeuert. Das verhindert einerseits eine tiefere Rezession, aber es verursacht auch einen zusätzlichen Preisauftrieb durch zusätzliche Nachfrage nach Arbeit – mit wiederum steigenden Löhnen. Also der Staat gibt zusätzlich zu seinen Zahlungen zur Überwindung der Coronapandemie und zur Eindämmung der Energiekrise indirekt einen weiteren Nachfrageimpuls in den Markt.

Und man darf auch nicht aus dem Auge verlieren, dass die Staatsverschuldung empfindlich steigen könnte. Diese Staatsverschuldung muss zukünftig auch bedient werden. Das wird in aller Regel mit höheren Zinsen einhergehen, die auch die Investitionen bei uns zurückdrängen werden. Ein Abbau dieser hohen Staatsverschuldung über zukünftig höhere Steuern wird dann weiterhin unsere Wettbewerbsfähigkeit schmälern. Also wir haben hier Folgeeffekte durch eine steigende Staatsverschuldung, die in den aktuellen Diskussionen in dieser Form noch gar nicht thematisiert werden.

Sie widersprechen damit aber auch Kollegen, die für Lohnsteigerungen werben, weil sie die Gesamtwirtschaft positiv beeinflussen. Also je stärker die Kaufkraft schrumpfe, desto höher der Schaden für die Wirtschaft…
Wir haben durch Gaspreis- und Strompreisdeckel und Transferzahlungen schon eine Abfederung des Energiepreisschocks erreicht. Bei einem geschrumpften Güterangebot durch diese hohen Energiekosten können wir nicht die Nachfrage auf dem hohen Niveau halten, weil dies auf absehbare Zeit zu einer Überhitzung der Volkswirtschaft führen wird – und die Inflation damit verdauert. Wir müssen einen leichten Rückgang des Einkommens hinnehmen. Das würde durch die hohen Lohnforderungen des öffentlichen Dienstes und einer daraus folgenden stärkeren Nachfrage genau ins Gegenteil verkehrt.

Im Zusammenhang mit Lohn-Preis-Spiralen wird stets auf die Ölpreiskrise und die 1970er-Jahre verwiesen. Gibt es eigentlich andere empirische Beispiele?
Lohn-Preis-Spiralen verfestigen sich nur dann, wenn die Geldpolitik nicht mitspielt und nicht aggressiv genug Inflationserwartungen stabilisiert. Ich gehe davon aus, dass bei uns die Europäische Zentralbank die Zinsen weiter erhöht und damit die Inflationserwartungen wieder zurückführt auf unser Inflationsziel von zwei Prozent. Dann entsteht auch keine Lohn-Preis-Spirale, weil erst gar keine Lohnforderungen in den Markt kommen, die überzogen sind. Es hängt von der Glaubwürdigkeit der Geldpolitik ab.

Die großen Gefahren, die Preisspiralen auslösen, liegen darin, dass der Glaube an diese zwei Prozent verloren geht und die Deutschen sagen: Okay, wir haben momentan acht Prozent, und wir rechnen auch zukünftig mit acht Prozent Inflation. Diese Inflationserwartungen münzen sich dann in entsprechend hohen Lohnforderungen in allen Gesellschaftsbereichen um.

Insofern ist die auf sechs Prozent revidierte Prognose des Bundeswirtschaftsministeriums auch ein Signal an Verdi, die Verhandlungen nicht zu überziehen?
Auf jeden Fall. Aber der Rückgang von 7,9 in 2022 auf 6,0 Prozent ist eigentlich zu gering. Die Inflation sollte sich schneller stabilisieren, denn die Energiepreise bleiben vielleicht auch hoch, und das kann sich auf andere Sektoren der Ökonomie ausbreiten und verzögert zu Preissteigerungen führen. Aber wir erwarten keine zusätzlichen Energiepreisschocks mehr. Eigentlich besteht kein Grund, dass die Inflationsrate lange hoch bleibt. Wenn der Rückgang tatsächlich so eintritt, ist das enttäuschend. Und die Inflation sollte nicht noch befeuert werden durch überzogene Lohnforderungen.

Glauben Sie, dass die Dynamik der Tarifverhandlungen noch zunehmen wird. Also haben wir ein kämpferisches Jahr vor uns?
Das ist nicht auszuschließen. Wenn aber die Inflationsrate jetzt anfänglich sinkt und auch die Zentralbank Kurs hält, um aggressiv gegenzusteuern, dann sehe ich gute Chancen für moderatere Lohnforderungen 2024. Zumal im öffentlichen Dienst in gewisser Weise ein Nachholeffekt zu beobachten ist. Es wird argumentiert, dass in den letzten Jahren die Löhne um deutlich weniger als die Inflation gestiegen sind und die Belastung auch im öffentlichen Dienst größer geworden ist. Ich gehe davon aus, dass Verdi im folgenden Jahr nicht noch einmal mit einer solchen Forderung antreten würde. Von daher habe ich Hoffnung, dass wir aus dieser anfänglichen Lohn-Preis-Spirale herauskommen und sie sich nicht verstetigt. Das bedarf aber tatsächlich der Besonnenheit der Tarifvertragsparteien und insbesondere des öffentlichen Diensts, sich nicht auf zehn Prozent zu versteifen.

Was hielten Sie für angemessen?
Der öffentliche Dienst ist stark belastet momentan. Es gibt sehr viele Fehlzeiten, doppelte Schichten und Zusatzarbeit, die bewältigt werden muss. Von daher ist vielleicht ein gewisser Aufschlag gerechtfertigt. Vielleicht wird man sich auf fünf oder sechs Prozent einigen, was immer noch sehr hoch ist, aber sicherlich nicht so dramatische Auswirkungen auf die öffentlichen Kassen haben wird, wie es zehn Prozent hätten. Ein solcher Abschluss im öffentlichen Dienst hätte immer noch Vorbildcharakter.

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