Die Einigung im schwäbischen Ludwigsburg hat Signalwirkung: Dort trafen sich die Vertreter aus der Metall- und Elektroindustrie am Donnerstag zu ihrer fünften Tarifrunde. Elf Stunden haben sie verhandelt. Um drei Uhr in der Früh stand dann ein Kompromiss zwischen der Gewerkschaft IG Metall und dem Arbeitgeberverband Südwestmetall.
Dieser sieht vor, dass die Löhne in zwei Schritten steigen: um 5,2 Prozent im kommenden Jahr und um 3,3 Prozent 2024. Insgesamt macht das 8,5 Prozent mehr Geld innerhalb der nächsten zwei Jahre. Dazu kommt die Inflationsausgleichsprämie in voller Höhe von 3000 Euro netto, die die Betriebe ihren Beschäftigten steuer- und abgabefrei überweisen können.
Zu Beginn des Jahres 2023 gibt es die erste Stufe der Inflationsausgleichsprämie von 1500 Euro. Die Löhne steigen allerdings erst im Juni um 5,2 Prozent. Anfang 2024 gibt es für die Beschäftigten die zweite Stufe der Inflationsausgleichsprämie von 1500 Euro, gefolgt von der zweiten Lohnerhöhung im Mai 2024 um 3,3 Prozent. Der Pilotabschluss im Bezirk Baden-Württemberg wird aller Voraussicht nach auf die anderen Bezirke übertragen werden.
Die Gewerkschafter äußern sich zufrieden mit dem Ergebnis und sprechen von einer kräftigen Entgelterhöhung. Sie bringe den Beschäftigten „eine spürbare Entlastung angesichts der gestiegenen Preise“, so IG-Metall-Chef Jörg Hofmann. Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf hingegen sagte im Deutschlandfunk, der Tarifabschluss „ist teuer, aber auch ein Vorschuss auf die kommende Zeit“. Er rät den anderen Bezirken, den Abschluss anzunehmen.
Ökonomen sehen keine Lohn-Preis-Spirale
Die Bewertung unter Wirtschaftsexpertinnen und -experten fällt im Großen und Ganzen positiv aus. Viele verweise darauf, dass die vereinbarten Lohnsteigerungen die hoch bleibende Inflation nicht ausgleichen werden. Deshalb sehen sie auch keine Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale.
Der Abschluss liege deutlich unter der ursprünglichen Forderung der IG Metall von acht Prozent, und das „in einer der europaweit am stärksten gewerkschaftlich organisierten Branchen“, schreibt Jens Südekum, Professor für internationale Volkswirtschaftslehre an der Universität Düsseldorf auf Twitter. „Also, wo ist die Lohn-Preis-Spirale, von der alle reden?“
Die Beschäftigten hätten mit den Ergebnis absehbar zwar Reallohnverlusten zugestimmt, so Ökonom Jens-Oliver Niklasch von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). „Im Prinzip hat man sich mit dem Tarifabschluss jedoch auf eine Lastenteilung geeinigt, was langfristig beiden Seiten als Beitrag zur Standortsicherung nutzen dürfte.“ Wer den größeren Teil der Last trage, werden man erst im Nachhinein sagen können, „im Moment scheinen mir die Gewerkschaften den etwas besseren Schnitt gemacht zu haben“, so Niklasch.
„Der gestrige regionale Tarifabschluss in Baden-Württemberg wird den Weg für eine breitere Lohnentwicklung ebnen und zeigt der Europäischen Zentralbank, dass die Zweitrundeneffekte im nächsten Jahr einsetzen, aber gedämpft bleiben sollten“, analysiert Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING.
Clemens Fuest vom Ifo-Institut hält den Tarifabschluss für „ein gutes Ergebnis“. Besonders wichtig sei, dass längere Streiks abgewendet worden seien, die die aktuelle Krise verschärft hätten. „Die dauerhaften Lohnerhöhungen von gut vier Prozent pro Jahr werden keine Lohn-Preis-Spirale auslösen.“ Eine Entwarnung für die Geldpolitik sei das gleichwohl nicht, merkt Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft an. „Unsicherheit über die weitere Inflationsentwicklung bedeutet auch, dass das Vertrauen in die Preisstabilität bereits gelitten hat“, so Kooths.
Auch Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, hält das Ergebnis für die EZB für zwiespältig. „Einerseits ein erheblicher Lohndruck im kommenden Jahr. Andererseits keine Lohn-Preis-Spirale, da dem hohen Anstieg um 5,2 Prozent im Juni 2023 ja ein erträglicherer Anstieg von 3,3 Prozent im Mai 2024 folgt.“ Der Lohndruck nehme im Zeitablauf wieder ab. „Buckel statt Spirale.“