Der eigene gute Ruf ist das wichtigste Kapital – wichtiger noch als besondere Fähigkeiten oder Attraktivität. Das gilt für Menschen wie Marken. Für die italienische Modebranche gehört dazu definitiv ein Fünkchen Nationalstolz rund um das Qualitätsprädikat „Made in Italy“. Nun steht ausgerechnet das italienische Luxushaus Tod’s im Zentrum eines Skandals, der die Schattenseiten der heimischen Produktion offenlegt und die Reputation der gesamten italienischen Modeindustrie bedroht.
Der Vorwurf: Ausbeutung
Die Mailänder Staatsanwaltschaft wirft Tod’s vor, seine Zulieferer nicht ausreichend kontrolliert zu haben, um höhere Gewinnmargen zu erzielen. In diesem Zuge fordert sie eine temporäre Zwangsverwaltung des Unternehmens. Laut den bisher bekannten Gerichtsunterlagen vergab Tod’s Aufträge an Firmen ohne eigene Produktionskapazitäten, die diese Arbeit wiederum an chinesisch geführte Werkstätten in der italienischen Region Marken südlich von Rimini delegierten. Dort wurden den Mitarbeitern Nettostundenlöhne zwischen 2,75 und knapp über 3 Euro gezahlt, die sich deutlich unter den im nationalen Tarifvertrag vorgesehenen 10 Euro bewegten.
Der Tod’s-Vorstandsvorsitzende Diego Della Valle, Enkel des Gründers, warnte bei einer Pressekonferenz in Mailand: „Made in Italy steht für einen der herausragenden Kompetenzbereiche unseres Landes. Schon wenn dieser Begriff auch nur leicht infrage gestellt wird, richtet das enormen Schaden an“. Della Valle sagte aber auch, dass eine lückenlose Überwachung der gesamten Lieferkette „schlicht nicht möglich“ sei.
Eine Welle von Skandalen
Tod’s wäre bereits die sechste Luxusmarke, die seit Anfang 2024 unter gerichtliche Aufsicht gestellt wird oder droht, diesen zweifelhaften Ruhm zu erlangen. Unter den bisherigen Marken mit Flecken auf der weißen Kaschmirweste:
Dior
Die zum LVMH-Imperium gehörende Marke wurde im Juni 2024 unter behördliche Verwaltung gestellt. Ermittler hatten festgestellt, dass die Herstellung von Handtaschen an Zulieferer ausgelagert wurde, die ihre Angestellten ausbeuteten, etwa durch Schwarzarbeit, niedrige Löhne und unsichere Arbeitsbedingungen. Im Februar 2025 wurde die Überwachung vorzeitig aufgehoben. Dior kündigte zudem Zahlungen in Höhe von zwei Millionen Euro an Hilfsorganisationen an.
Armani
Die Konzerntöchter Giorgio Armani S.p.A. und G.A. Operations S.p.A. wurden im April 2024 unter Aufsicht gestellt. Im Februar 2025 hob das Gericht die Kontrollen vorzeitig auf, verhängte jedoch im August hohe Geldstrafen. In mehreren Werkstätten habe es Schwarzarbeit gegeben, an Maschinen hätten Schutzvorrichtungen gefehlt und prekäre hygienische Zustände geherrscht. Zusätzlich ordnete die italienische Wettbewerbsbehörde im Juli 2024 eine Untersuchung wegen irreführender Werbung an.
Valentino
Seit Mai 2025 haben bei der Tochter Valentino Bags Lab Srl ebenfalls die Gerichte das Sagen, nachdem bei Inspektionen neun Mitarbeiter ohne Vertrag entdeckt und unmenschliche Verhältnisse festgestellt wurden, darunter Schlafen im Betrieb für „ständige Verfügbarkeit“.
Loro Piana
Im Juli 2025 wurde die LVMH-Marke, die gern im Zuge des „Quiet Luxury“-Trends erwähnt wird, unter einjährige gerichtliche Verwaltung gestellt. Zehn chinesische Arbeiter seien gezwungen worden, bis zu 90 Stunden pro Woche zu arbeiten und hatten dafür einen Stundenlohn von 4 Euro bekommen.
Der italienische Industrieminister Adolfo Urso kündigte an, die Regierung habe einen Gesetzentwurf zur Schaffung einer rechtlichen Zertifizierung von Modeunternehmen vorgelegt. Diese soll ein jährliches „Gütesiegel“ beinhalten, das regelmäßiger Überprüfung unterliegt. Zudem soll ein öffentliches Register zertifizierter Unternehmen eingerichtet werden.
Im Mai 2025 wurde überdies ein Lieferketten-Abkommen zwischen Mailänder Behörden, Branchenverbänden und Gewerkschaften unterzeichnet. Die Initiative sieht die Schaffung einer zentralen „Green List“ aus gesetzeskonformen Lieferanten vor.
Krise der italienischen Mode
Die Skandale treffen die Branche in einer ohnehin fragilen Phase, denn die italienische Modeindustrie verzeichnete in den ersten Monaten 2025 schwere Einbrüche. Der Umsatz im Bereich Lederwaren und Accessoires fiel im ersten Quartal 2025 um 6,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, die Exporte italienischer Lederwaren sanken in den ersten fünf Monaten 2025 um 7,5 Prozent. Besonders stark betroffen: die Ausfuhren nach China mit einem Minus von 24,1 Prozent.
Diese Negativentwicklung schlägt direkt auf den Arbeitsmarkt durch. Im Lederwarensektor gingen allein im ersten Halbjahr 2025 schätzungsweise 74 Unternehmen Pleite und 1237 Jobs verloren. Die Anträge auf Kurzarbeit stiegen in den ersten drei Monaten 2025 verglichen mit 2024 um 66 Prozent.
Trumps Zölle treffen auch Luxusmode
Zusätzlich stellen die seit Juli geltenden US-Zölle von 15 Prozent auf die meisten europäischen Exporte eine hohe Belastung dar. Nach Schätzungen der Beratungsfirma Ernst & Young könnten die von der Trump-Regierung verhängten Zölle zwischen 2025 und 2026 zu einem wirtschaftlichen Abschwung von 1,4 Prozent in der Euro-Zone führen.
Trotz der schwierigen Gesamtsituation gibt es vereinzelte positive Entwicklungen. Laut Transaktionsdaten der Plattform Joor wuchsen die Großhandelsverkäufe für italienische Marken in den ersten fünf Monaten 2025 um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. So verzeichnete etwa das Unternehmen Brunello Cucinelli des gleichnamigen Selfmade-Milliardärs im dritten Quartal 2025 einen Umsatzanstieg von zwölf Prozent.
Der Skandal bei Tod’s ist mehr als ein Einzelfall. Die neuerlichen Ermittlungen offenbaren schwerwiegende systemische Probleme in Italiens Luxusgüterproduktion und erschüttern das Vertrauen in das „Made in Italy“-Label. Für eine Branche, die oft und gern die Exklusivität und handwerkliche Exzellenz ihrer kostspieligen Produkte betont, ist das Risiko eines schlechteren Rufs enorm. Ob die angekündigte Zertifizierung ausreicht, um bei anspruchsvollen Kunden weltweit den Beigeschmack des „Made-in-Italy-Washing“ zu vertreiben, bleibt abzuwarten.
Am 19. November ist eine Anhörung vor dem Obersten Gerichtshof Italiens angesetzt, um einen Zuständigkeitsstreit zwischen den Mailänder Staatsanwälten und einem Berufungsgericht zu klären. Tod’s selbst ist aktuell nicht Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen, im Fokus steht primär, die Lieferkette wieder ordnungsgemäß zu organisieren. Der 19. November wird trotzdem ein entscheidender Tag – nicht nur juristisch, sondern auch für die Zukunft der gesamten italienischen Luxusgüterindustrie.