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Lars Vollmer Zu tugendhaft: Warum Deutschland im ZEW-Länderranking abgestürzt ist

Lars Vollmer ist Unternehmer, Vortragsredner und Bestsellerautor.
Lars Vollmer ist Unternehmer, Vortragsredner und Bestsellerautor.
© André Bakker
Deutschland ist im Länderranking Familienunternehmen gefährlich abgerutscht. Viele der Gründe sind bekannt, die Ursachen jedoch unterschätzt. Empathie und Achtsamkeit stehen hoch im Kurs auf Kosten des Unternehmenserfolges

Platz 18, na toll! Vor ein paar Tagen habe ich mit Interesse die neueste ZEW-Studie zur Attraktivität von Wirtschaftsstandorten gelesen. In diesem „Länderindex Familienunternehmen“ belegt Deutschland tatsächlich nur noch Platz 18 – unter gerade mal 21 Industrienationen.

Die Forscher nennen als Gründe für den Absturz: überbordende Bürokratie, eine zu hohe Steuerlast, mangelnde Innovationsbereitschaft und jetzt auch noch hohe Energiekosten und Arbeitskräftemangel.

Bei der Aufzählung kann ich ohne gedankliche Anstrengungen nicken. Sicher tragen all diese Faktoren zu der Entwicklung bei. Ich möchte aber die These aufstellen, dass es sich im Kern um Symptome handelt, nicht um die Ursachen selbst. Allerdings erkennen Sie diese Ursache auch erst, wenn Sie sich dem Problem über eine andere als die üblichen Einflugschneisen nähern.

Diese Einflugschneise hat etwas mit internen und externen Referenzen zu tun.

Schön einfach

Die klassische tayloristische Führungsidee, die in der Wirtschaft und auch in Gesellschaft oder Politik eine lange Tradition hat, fußt auf der Logik der kausalen Einflussnahme, meist auf Basis von Kennzahlen. Diese dienen als Referenz, an der sich Führungskräfte und Mitarbeiter auszurichten haben.

Diese Kennzahlen haben die Eigenschaft, dass sie aus dem Unternehmen selbst, also vom Management kommen. Sie sind Übersetzung der unterstellten Kundenwünsche. Sie sind Ausdruck der Strategie. Sie sind Ausdruck der Führungsphilosophie.

Und sie haben einen großen Vorteil im Alltag: Kennzahlen vereinfachen das Geschäft.

Schrecklich einfach

Doch auch wenn manche Berater noch das Gegenteil unterstellen: Meiner Beobachtung nach haben die meisten Unternehmensverantwortlichen inzwischen erkannt, dass diese Logik zwar nicht völlig falsch ist, aber heute massiv in die Irre leiten kann und längst nicht mehr ausreicht.

Denn die Märkte, in denen sich die Unternehmen aufhalten, sind nicht mehr die gleichen wie die der 80er-Jahre: Es geht wesentlich komplexer, schneller, wettbewerbsintensiver zu und deswegen auch überraschungsreicher. Und Kennzahlen geben diese Marktbewegungen typischerweise viel zu langsam wieder, um der Dynamik gerecht zu werden.

Der vermeintlicher Vorteil ist deshalb inzwischen ihr Nachteil: Kennzahlen vereinfachen das Geschäft.

Sie sind sozusagen unterkomplex, weil sie zu rein internen Referenzen verkommen sind. Sie haben schon lange aufgehört, die entscheidendste Referenz im Wirtschaftshandeln adäquat abzubilden: den Markt mitsamt den Kunden und Wettbewerbern.

Erfolgreich gelöst

Starren Unternehmen trotzdem weiterhin nur auf die Kennzahlen, fehlt ihnen ihr wichtigstes Korrektiv und sie fallen im Wettbewerb unausweichlich zurück.

Aber, wie gesagt: Das haben die auf wirtschaftlichen Erfolg ausgerichteten Unternehmen zum Großteil erkannt und sich davon gelöst. Blumig-bildlich gesprochen, haben sie sich vom klebrigen Boden der internen Referenz der Kennzahlen auf das luftige Ross der externen Referenz des Marktes geschwungen. Können Sie es sich vorstellen?

Doch mir scheint, dass viele inzwischen dabei sind, auf der anderen Seite des Pferdes wieder herunterzustürzen.

Erfolgreich politisiert

In den letzten Jahren legen die Unternehmen mehr und mehr Wert darauf, dass es „menschlich“ zugeht. Empathie und Achtsamkeit werden zu Kriterien, an denen sich Führungskräfte heute messen lassen müssen. Mitarbeiterzufriedenheit ist das Maß der Dinge geworden. Der Begriff der „menschengerechten Führung“ fällt – und erinnert mich fatal an Vokabeln aus der Tierhaltung.

Dazu gesellen sich unzählige weitere moralische Appelle an Mitarbeiter und Führungskräfte, zum Beispiel dass sie unbedingt darauf achten sollten, dass sie inklusiv sind. Und divers sowieso. Auch nachhaltig, werteorientiert sollen sie sein und auf die Schwächsten besondere Rücksicht nehmen.

Das heißt, gesellschaftlich relevante Strömungen schwappen in die Unternehmen, so dass diese immer stärker politisiert werden.

Und völlig egal, wie Sie inhaltlich zu jedem dieser Ansprüche stehen: Die Politisierung ist nichts anderes als eine neu geschaffene interne Referenz. Eine extrem mächtige Referenz, möchte ich ergänzen. Sie zieht die Aufmerksamkeit der Akteure auf sich wie vor 30 Jahren die „Auslastung“, der „Personalkostenanteil“ oder der „Marktanteil“.

Prinzip Hoffnung

Dieser neue Fokus äußert sich heute in Aussagen wie: Die Führungskräfte sollen nicht mehr irgendwie führen, sondern empathisch und motivierend – eben so wie es in den neuen tugendhaften Führungsleitlinien steht. Und es sei wahnsinnig wichtig, die Unternehmenskultur positiv zu entwickeln.

Ich kann die Ursache für diesen Trend durchaus nachvollziehen: Hinter diesen neuen internen Referenzen steht die Hoffnung, dass mit einer besseren Führungs- und Unternehmenskultur sich auch ein besserer Unternehmenserfolg einstellt.

Mit derselben Hoffnung wurden übrigens damals Kennzahlen in die Unternehmen eingeführt. Auch die wurden nicht zum Spaß zelebriert, sondern waren Ausdruck dessen, dass ein Unternehmen sich ernsthaft um mehr Erfolg bemüht.

Und nicht nur die leider irrige Hoffnung, auch der Effekt ist derselbe.

Prinzip Absturz

Denn was passiert, wenn die Auslastung des Unternehmens wichtiger wird als das Design und die Funktion des Produktes? Was passiert, wenn die neue Führungsleitlinie wichtiger wird als die Lieferzeit zu ungeduldigen Kunden? Was passiert, wenn die nachhaltige Unternehmenskultur wichtiger wird als wettbewerbsfähige Preise? Was passiert, wenn der familiäre Zusammenhalt der Belegschaft wichtiger wird als die Qualität der Dienstleistung?

Was also passiert, wenn Tugendhaftigkeit wichtiger wird als die eigene Leistung und zufriedene Kunden?

Sobald interne Referenzen die Beteiligten davon abhalten, die Signale von außen ausreichend zu beachten, wird sich das im Ergebnis niederschlagen.

Prinzip Priorität

Doch Achtung: Falls das für Sie nach einem Plädoyer klingt, alle tugendhaften Ansprüche grundsätzlich aus dem Unternehmen zu verbannen – dieser Ausschließlichkeit will ich nicht das Wort reden. Es ist eine Frage der Priorität.

Und die wird meiner Ansicht nach immer häufiger falsch gesetzt. Mit dem Ergebnis, dass Deutschland vor lauter Tugend im Wirtschaftsranking abstürzt.

Da ist es für mich auch kein Trost, dass Deutschland wenigstens noch zwei Plätze vor meiner Wahlheimat Spanien liegt …

Lars Vollmer ist Unternehmer, Vortragsredner und Bestsellerautor. In seinem Buch „Der Führerfluch – Wie wir unseren fatalen Hang zum Autoritären überwinden“ stellt er den aktuellen Krisen die Idee einer Verantwortungsgesellschaft entgegen.

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