Capital: Frau Dennett, wie kamen Sie zu Shell?
CAROLINE DENNETT: Meine Firma hat im Sommer 2011 angefangen, für Shell zu arbeiten. Wir waren für die Sicherheitskultur im Konzern zuständig. Wir sind ein klassisches Marktforschungsunternehmen, seit 2011 liegt unser Fokus aber auch auf der Sicherheitsberatung. Wir bewerten die Sicherheitskultur von Firmen, indem wir ihre Mitarbeiter und Auftragnehmer befragen, sowohl was die persönliche Sicherheit am Arbeitsplatz als auch die schmutzigen Aktivitäten und Emissionen der Firmen betrifft. Diese Bereiche filtern wir heraus und schlagen dann Verbesserungen vor.
2010 und damit nur ein Jahr davor war die Ölbohrplattform Deepwater Horizon von BP gesunken, bis heute die größte Umweltkatastrophe dieser Art. War das Ihre Motivation für den Job?
Die Entscheidung, den Auftrag anzunehmen, stand in direktem Zusammenhang mit der Deepwater-Horizon-Katastrophe. Shell und die anderen Konzerne waren froh, dass es BP passiert ist und nicht ihnen. Mir war aber schon damals klar: Es hätte jeden von ihnen treffen können. Denn sie haben alle ähnliche Praktiken angewandt. Die Ursachenanalyse der Deepwater Horizon-Katastrophe ergab, dass sich BP beim Thema Sicherheit zwar auf Stürze von Mitarbeitenden, Verletzungen durch Papierschnitte, verschütteten Kaffee und dergleichen konzentrierte, aber nicht wirklich auf die betrieblichen Aspekte, bei denen die Prozesssicherheit ein offensichtliches Risiko darstellte. Wir wollten also für Shell verstehen, was die Frühindikatoren sind, die helfen würden, ein solches Ereignis zu verhindern.
Und welche Frühindikatoren sind das?
Die Arbeiter auf der Bohrinsel haben zum Beispiel immer wieder gesagt, dass sie unter Druck standen, dass sie Abkürzungen nahmen oder dass Dinge nicht so gewartet wurden, wie sie hätten gewartet werden sollen; dass Verfahren veraltet waren. Ein Frühindikator kann auch das Führungsverhalten des Unternehmensmanagements sein: Werden Leute ermuntert, auf Probleme hinzuweisen oder auf Dinge, die verbessert werden können. Auch die Art der Kommunikation haben wir untersucht.
Hatten Sie damals keine Bedenken, für Shell zu arbeiten?
Oh doch. Ich hatte immer ein gewisses Unbehagen, besonders nach der Deepwater-Katastrophe. Da wurde ein Schlaglicht auf die gesamte Industrie geworfen und darauf, wie umweltschädlich sie ist. Als Forscherin bin ich der Meinung, dass jeder das Recht hat, etwas besser zu verstehen. Unsere Aufgabe war es, für Shell besser verständlich zu machen, wie ihre Sicherheitskultur funktioniert und wo sie verbessert werden muss. Es war von Anfang an ein Kompromiss zwischen dieser umweltverschmutzenden Industrie und meinen Möglichkeiten, die Umweltverschmutzung zu verringern, indem ich Zwischenfälle verhindere. Man sieht den Wert der Arbeit, die man leistet. Die Ergebnisse unserer Analysen hatten eine echte Bedeutung für die Mitarbeiter, die sich zu Wort gemeldet hatten, und für die Führungsteams, die auf der Grundlage dieser Ergebnisse Maßnahmen ergreifen mussten.
Wann hat sich Ihre Meinung zu Shell geändert?
In den letzten drei Jahren ist mein ökologisches Bewusstsein gewachsen. Die Warnungen der Wissenschaft werden ignoriert und die Unternehmen in der Welt machen vielfach einfach weiter wie bisher. Ich dachte immer öfter: Das ist kein guter Ort, um zu arbeiten. Es ist keine gute Branche, die man unterstützen sollte. Selbst wenn man in diesem Unternehmen etwas Gutes tut, muss man trotzdem mit diesem Konflikt leben. Und dieser Konflikt fing an, ziemlich schwer auf meinem Gewissen zu lasten.
Hatten Sie den Eindruck, dass Shell es ernst meint mit den Aussagen zur Klimaneutralität und der Transformation des Unternehmens?
Nein. Ich habe bei Shell so gut wie kein Gespräch über den Klimawandel gehört. Ich meine, in Anbetracht des Zusammenhangs mit der allgemeinen Sicherheit, dem Wohlbefinden und der Gesundheit der Menschen hätte man denken können, dass es ein größeres Thema ist. Manche sprechen von lokaler Umweltverschmutzung, besonders in Nigeria und im Nigerdelta. Im März, als ich das letzte Projekt abgab, habe ich einen Manager zum ersten Mal vom Netto-Null-Ziel sprechen hören und dass Shell darauf hinarbeiten müsse. Das sagt mir, dass es kein Teil der Kultur ist, denn wenn dem so wäre, würde man über den Klimawandel reden wie man auch über Sicherheit spricht. Das ist nicht der Fall.
In der Öffentlichkeit spricht Shell dafür ziemlich oft über den Klimawandel und Net Zero.
Sie schreiben das auch auf ihrer Website. Aber dann scrollen Sie weiter und finden Artikel, wonach sie diese Expansion und jene Expansion planen, neue Pipelines bauen und mehr Öl fördern. Das steht in direktem Widerspruch zu dem, was sie über den Übergang sagen. Und das ist der Grund, warum ich Ende Mai öffentlich gekündigt habe, denn ich denke, das muss klargestellt werden. Das ist doppelzüngig. Sie sagen eine Sache, die durch die PR-Abteilung und das Marketing-Team kommt, und doch ist das in der Praxis nicht die Realität, soweit ich das mitbekommen habe.
Was werfen Sie Shell vor?
Ich werfe ihnen vor, dass sie auf der einen Seite ein großes Sicherheitsstreben haben, ihr Sicherheitsziel ist es, keinen Schaden anzurichten. Andererseits ignorieren sie völlig die Risiken des Klimawandels, der zu extremen Schäden für die Menschen führt. Wir alle werden vom Klimawandel betroffen sein und tragen dazu bei. Aber sie als Unternehmen müssen erkennen, dass es bei ihnen um Risikomanagement geht. Die Öl- und Gasindustrie muss die Risiken bewerten. Wenn man das Risiko nicht ausschalten kann, dann muss man es abmildern. Ihr Mantra lautet immer: „Wir werden die Sicherheit immer über die Produktion stellen.“ Aber das ist eine sehr eng gefasste Beschreibung von Sicherheit, da sie die Sicherheit der Umwelt und die Sicherheit unserer Planetensysteme nicht in Betracht ziehen.
An wen haben Sie ihr Kündigungsvideo geschickt?
Insgesamt an 1400 Menschen. Ich habe eine E-Mail an die Mitglieder des Exekutivausschusses geschickt. Und dann habe ich eine sehr ähnliche E-Mail an meine Kolleginnen und Kollegen gesendet. Außerdem habe ich das Video auf LinkedIn hochgeladen.
Was wollen Sie damit bezwecken?
Ich wollte den Vorstand, das Senior Management, auffordern, einen Blick in den Spiegel zu werfen. Das war es, was ich erreichen wollte, dass die Verantwortlichen sich selbst betrachten und sagen: Bin ich das wirklich? Führe ich uns wirklich in eine sichere Zukunft? Auf einer sehr persönlichen und menschlichen Ebene. Kann ich mich guten Gewissens anschauen und glauben, dass die Fortsetzung der massiven Öl- und Gasförderung und der damit verbundenen CO2-Emissionen wirklich eine sichere Zukunft für jeden von uns bedeutet? Meine Hoffnung ist, dass sich Unternehmen wie Shell mit diesen Fragen befassen, denn freiwillig und ohne Druck tun sie das nicht. Wenn die Leute anfangen, die Branche zu verlassen, dann werden Investitionen unwahrscheinlicher. Dann werden die großen Investmenthäuser zu hören bekommen, dass dies nicht der Weg ist, den die Menschen gehen wollen. Ich glaube, die Dinge beginnen sich zu ändern. Nach dieser Woche habe ich mehr Hoffnung, dass wir tatsächlich die CO2-Emissionen verlangsamen und den Klimawandel aufhalten können. Vor kurzem habe ich jemanden sagen hören, dass man einfach alles tun muss, was man tun kann, um etwas für den Klimaschutz zu tun. Die Kündigung war mein Beitrag. Es lag in meiner Macht, das zu tun. Und ich bin froh, dass es eine Wirkung hatte.
Welche denn?
Viele Menschen haben positiv reagiert und sich gemeldet. Viele sehen die Krisen, mit denen wir konfrontiert sind, und einige dieser Leute sind selbst in der Branche tätig. Ich denke also, dass das einer der Gründe ist, um Hoffnung zu haben.
Und wie hat Shell reagiert?
Überhaupt nicht. Ich habe nichts von ihnen gehört.
Sie sind seit Längerem für die Grünen aktiv und inzwischen auch bei Extinction Rebellion. In Deutschland kommen die Aktionen der Gruppe nicht bei allen gut an. Haben Umweltaktivistinnen erkannt, wie wichtig gute PR für die Sache ist?
Ja. Wenn Extinction Rebellion nicht vor drei Jahren eine Brücke in London blockiert und über die Realitäten des Klimawandels und des Artenverlusts gesprochen hätte, wären wir heute nicht hier. Sie haben das Thema massiv vorangebracht. Und die Menschen, die diese Aktionen durchführen, wissen, dass sie vielleicht nicht die populärste Sache der Welt sind. Aber sogar das ändert sich. Die Menschen beginnen zu verstehen, warum diese Aktionen notwendig sind. Und wenn die Regierungen der Welt und die Unternehmen der Welt das tun würden, was vernünftig ist, was die UNO von ihnen verlangt, was die Internationale Energieagentur von ihnen verlangt, dann müssten die Menschen ihre Freizeit nicht damit verbringen, Straßen oder Öltanker zu blockieren. Ich applaudiere den Leuten, die das tun, weil ich denke, dass niemand etwas unternommen hat und dass es notwendig ist. Die Geschichte hat uns gezeigt, dass ziviler Ungehorsam notwendig ist, wenn sich die Dinge nicht ändern. Die Bürgerrechtsbewegung in den USA oder die Suffragetten-Bewegung für die Rechte der Frauen haben ihre Forderungen mit gewaltfreien, direkten Aktionen erkämpft.
Wie groß sind nun Ihre Einbußen, wenn Sie nicht mehr für Shell arbeiten?
Shell war ein wichtiger Kunde für uns und hat in den meisten Jahren etwa 60 bis 70 Prozent des Geschäfts ausgemacht. Es ist ein wirtschaftliches Risiko, das ich bereit war, einzugehen. Wir wollen uns als Unternehmen nun auf andere Bereiche konzentrieren. Außerdem habe ich ja noch andere Kunden im Bereich Sicherheitskultur und weitere im Bereich Sozial- und Marktforschung. Aber ja, es ist ein Risiko.