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Thema Kampfansage gegen die Steuertrickser

OECD-Generalsekretär Angel Gurria (zweiter von links) mit den Finanzministern von Frankreich, Russland, Großbritannien und Deutschland
OECD-Generalsekretär Angel Gurria (zweiter von links) mit den Finanzministern von Frankreich, Russland, Großbritannien und Deutschland
© picture alliance / dpa | Korotayev Artyom
Nach Jahrzehnten der Tatenlosigkeit wollen die wichtigsten Staaten der Erde tatsächlich Steueroasen austrocknen und Schlupflöcher schließen. Das klingt fast zu gut, um wahr zu sein

Selten ist Generalsekretären der OECD ein so großer Auftritt vergönnt. Meist stehen sie allein auf der Bühne und halten kluge Reden, denen aber leider kaum jemand zuhört. Anders an diesem Freitag in Moskau. Da betritt ein sichtlich stolzer Angel Gurria die Bühne, gefolgt von gleich vier der wichtigsten Finanzminister der Welt aus Russland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland.

Dies sei ein historischer Moment, sagt Gurria, seine Kollegen und er seien gekommen, um den größten Plan zur Reform des weltweiten Steuerrechts seit bald hundert Jahren vorzulegen. Es gehe um nichts weniger als eine Erneuerung des Gesellschaftsvertrags, es gehe um Fairness und Gerechtigkeit. Die angereisten Minister nicken eifrig. Englands Finanzminister George Osborne sagt, künftig müssten alle die Steuern zahlen, die sie dem Staat schulden – Arbeitnehmer, Selbstständige, Mittelständler und globale Konzerne.

Der Transfer und das Verstecken gigantischer Milliardengewinne in irgendwelchen Unternehmenstöchtern in zwielichtigen Steueroasen sollen ein Ende haben. Das ist die große, historische Nachricht von Moskau. Apple, Google, Amazon, sie alle sollen ihre Gewinne künftig dort versteuern, wo sie entstehen.

Egal, wie viel davon tatsächlich umgesetzt wird, man muss die Initiative loben. Viele Regierungen in den wichtigsten Volkswirtschaften der Erde stecken zuhause tief in der Legitimationskrise. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise mussten sie Banken und Versicherungen mit unerhörten Summen vor dem Zusammenbruch bewahren. Heute müssen dieselben Staaten eisern sparen, um ihre Staatsverschuldung einzudämmen. Die Steuern steigen, vor allem auf den Konsum, die

Sozialleistungen sinken, Straßen zerbröseln

Globale Konzerne dagegen verfügen heute über mannigfaltige Möglichkeiten, ihre Gewinne dahin zu verschieben, wo sie keine oder nur lächerlich geringe Steuern zahlen müssen. Sie können ihren Töchtern Kredite gewähren, deren Zinsen wiederum den Gewinn schmälern. Sie können Lizenzen und Patente in Steueroasen deponieren, wo die Einnahmen aus Lizenzgebühren überhaupt nicht mehr versteuert werden müssen. Sie können sich arm rechnen, indem sie Dienstleistungstöchter gründen, die ihre Dienste zu Phantasiepreisen abrechnen. Und sie können das alles auch noch in einer Stiftung verpacken, für die besonders günstige Konditionen gelten.

All dies ist keine Steuerhinterziehung. Es ist legal. Auch wenn die meisten Steuerzahler diese Möglichkeiten nicht haben, auch nicht die meisten kleinen und mittelständischen Unternehmen. Es sind internationale Konzerne, die über das Geld und die intellektuellen Kapazitäten verfügen, um sich so arm zu rechnen. Und lange war dies politisch sogar akzeptiert. Bis heute betrachten viele Länder ihre Steuergesetze als Motor des internationalen Wettbewerbs um Kapital und Arbeitsplätze.

Und das ist das Problem an diesem historischen Tag von Moskau. Die Erfahrung verbietet großen Überschwang. Die wichtigsten Steueroasen der Welt liegen nicht in der Karibik oder im Indischen Ozean. Sie liegen vor unserer Haustür. Die Niederlande zum Beispiel. Oder Großbritannien. Oder Belgien. Sie verdienen heute ihr Geld damit, dass ausländische Konzerne ihre Gewinne hierher verfrachten, um sie ja nicht zuhause versteuern zu müssen. Die Probleme sind seit Jahren bekannt. Aber nicht einmal innerhalb Europas haben sich die Finanzminister auf einheitliche Regeln zur Verbuchung und Besteuerung von Umsätzen und Gewinnen einigen können – geschweige denn auf Steuersätze oder wenigstens auf Korridore für akzeptierte Steuersätze. Allein die Umsetzung einer EU-Richtlinie zur Besteuerung von Zinsen hat Jahre gedauert und sorgt bis heute für Zoff.

Es ist kaum zu erwarten, dass sich diese Haltung nun plötzlich ändert. Vielmehr darf man sich schon auf die Debatte im Bundestag freuen, wenn sich herausstellt, dass deutsche Konzerne ihre Gewinne künftig dort versteuern sollen, wo sie erwirtschaftet werden – in Asien oder in Osteuropa zum Beispiel. Mal sehen, ob sich der deutsche Finanzminister dann an diesen historischen Tag in Moskau erinnern wird.

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