In Deutschland hat eine Debatte über Arbeitszeiten Fahrt aufgenommen. Anlass war eine Rede von Bundeskanzler Friedrich Merz vor dem CDU-Wirtschaftstag vor zwei Wochen: „Mit Viertagewoche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können.“ Die unterschwellige Botschaft: Die Deutschen sind zu faul, arbeiten zu wenig. Auch wenn Merz seine Aussagen inzwischen etwas relativiert hat, stellt sich doch die Frage: Was ist dran an dem Vorwurf?
Eine aktuelle Untersuchung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) zeigt: In den meisten europäischen Ländern werden pro Einwohner im erwerbsfähigen Alter mehr Stunden gearbeitet als hierzulande. Die Auswertung beruht auf Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die die Daten zusammengetragen hat. Die OECD schränkt dabei allerdings ein, dass die Zahlen sehr unterschiedlich erhoben werden und daher nur bedingt vergleichbar sind. Eine grobe Orientierung aber bieten sie.
Viel Arbeitszeit bringt nichts, wenn man wenig leistet
Doch die Arbeitszeit allein zeigt nur die halbe Wahrheit. Wichtig ist auch, wie produktiv die Menschen arbeiten. Die Produktivität misst, wie viel Wertschöpfung pro geleisteter Arbeitsstunde entsteht – also wie effizient gearbeitet wird. Deshalb sollte die Arbeitszeit ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung pro Person gesetzt werden. Und da liegt Deutschland im EU-Vergleich recht gut.
Ausgewählte Länder im Vergleich
Laut den Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) liegt Belgien mit 1021 pro Erwerbstätigen am unteren Ende der Skala – die niedrigste Arbeitszeit unter den ausgewerteten Ländern. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf beträgt 46.231 Euro, das im Vergleich am oberen Rand der Produktivitätsskala liegt. Trotz der kurzen Arbeitszeit gelingt es Belgien, eine hohe Produktivität zu erzielen.
Frankreich liegt bei einer durchschnittlichen Arbeitszeit von rund 1027 Stunden pro Jahr. Das BIP pro Kopf beträgt 39.108 Euro und liegt damit unter dem EU-Durchschnitt – und deutlich zum Beispiel hinter Deutschland. Die moderate Arbeitszeit spiegelt eine bewusste Balance zwischen Arbeitslast und Lebensqualität wider.
Laut dem IW liegt Deutschland mit durchschnittlich 1036 Arbeitsstunden pro Jahr vergleichsweise niedrig im Ländervergleich und nur kaum höher als in Frankreich und Belgien. Gleichzeitig gehört Deutschland mit einem Bruttoinlandsprodukt von 45.566 Euro pro Kopf zu den wirtschaftlich produktiveren Volkswirtschaften Europas.
In Dänemark liegt die durchschnittliche Jahresarbeitszeit bei 1057 Stunden – vergleichsweise niedrig im EU-Vergleich. Die ausgeprägte Work-Life-Balance, ein starkes soziales Netz und der hohe Stellenwert von Freizeit und Familienleben prägen die Arbeitskultur. Trotz der relativ kurzen Arbeitszeiten gehört Dänemark mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 50.854 Euro zu den produktivsten Volkswirtschaften Europas. Das unterstreicht, dass weniger Arbeitsstunden nicht zwangsläufig mit geringerer Produktivität einhergehen.
Italien kommt auf 1066 Arbeitsstunden pro Jahr und liegt damit im mittleren Bereich. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf beträgt 38.872 Euro – etwas unter dem EU-Durchschnitt, das auf ein vergleichsweise geringeres Produktivitätsniveau hinweist. Das Land großen Wert auf Lebensqualität und Familienorientierung.
Norwegen verzeichnet mit 1098 Arbeitsstunden pro Jahr vergleichsweise kurze Arbeitszeiten in Europa. Dennoch genießen die Menschen dort einen hohen Lebensstandard und verdienen gut. Die Arbeitskultur ist familienfreundlich, die Kernarbeitszeit kurz, und lange Überstunden sind selten. Gleichberechtigung und soziale Absicherung sorgen für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Beruf und Privatleben. Gleichzeitig gehört Norwegen mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von rund 66.000 Euro zu den produktivsten Volkswirtschaften weltweit – was natürlich auch an den großen Ölvorkommen vor der Küste liegt.
Die durchschnittliche Jahresarbeitszeit in den Niederlanden liegt bei 1165 Stunden – schon deutlich höher als bei seinen Nachbarländern. Gleichzeitig gehört das Land mit einem BIP pro Kopf von 53.688 Euro zu den leistungsstärksten Volkswirtschaften Europas.
In Griechenland werden pro Einwohner im Erwerbsalter 1172 Arbeitsstunden pro Jahr geleistet. Hier fällt auf, dass es im Vergleich zu den vorgenannten Ländern deutlich weniger wirtschaftsstar ist: Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf beträgt 27.798 Euro, also deutlich unter EU-Durchschnitt. Während in vielen Ländern kürzere Arbeitszeiten diskutiert werden, steigen in Griechenland die Arbeitsstunden weiter an – vor einem Jahr wurde die Rückkehr zur 6-Tage-Woche beschlossen.
Im Vergleich zu den bisher genannten, wird in vielen osteuropäischen Ländern, deutlich länger gearbeitet: Polen etwa kommt auf 1305 Arbeitsstunden pro Jahr. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf beträgt 31.366 Euro, deutlich unter EU-Durchschnitt, aber das Land holt auf: Die Wirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren stark entwickelt. Die vergleichsweise langen Arbeitszeiten tragen maßgeblich zum Aufschwung bei.
Tschechien ist mit 1326 Arbeitsstunden pro Jahr das EU-Land in der IW-Statistik mit der höchsten Arbeitszeit. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt bei 36.154 Euro und damit leicht unter EU-Schnitt. Die starke Industrietradition und gut ausgebildete Fachkräfte prägen den Arbeitsmarkt, die Arbeitslosenquote ist niedrig.
Hinweis: Die IW-Daten stammen aus dem Jahr 2023 (Ausnahme: Belgien 2022) und die BIP Zahlen aus dem Jahr 2024.