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Lars Vollmer Auf dem Abstellgleis: Die abgehängten HR-Abteilungen

Lars Vollmer ist Unternehmer, Vortragsredner und Bestsellerautor.
Lars Vollmer ist Unternehmer, Vortragsredner und Bestsellerautor.
© André Bakker
Die Personalabteilungen machen in vielen Unternehmen einen tollen Job. Sie leiden jedoch unter einem strukturellen Problem: Die Personaler sind von den Business-Einheiten abgekoppelt – und das rächt sich bitter

Ich lese allerorten die Forderung, die Human-Resources-Abteilung müsse am Tisch des Top-Managements sitzen. Gleichzeitig drängt sich mir der Eindruck auf, dass HR zunehmend am Kindertisch sitzt.

Die Personaler sind in vielen (nicht allen!) Unternehmen förmlich abgehängt von dem, um was es im Unternehmen wirklich geht. Ich würde sogar wagen zu behaupten, dass es in vielen Fällen die Personalabteilung selbst ist, die sich abhängt.

Paradiesische Zustände

Dabei sind die aktuellen Voraussetzungen für HR paradiesisch: Nie war es offensichtlicher, wie sehr Personalarbeit gebraucht werden.

So herrscht in Deutschland nicht nur ein Fachkräfte-, sondern ein allgemeiner Arbeitskräftemangel. Alle wollen gute Leute und kaum einer kriegt sie. Zudem kommt keine Firma mehr an dieser ominösen „neuen Arbeitswelt“ vorbei. Die Unternehmen müssen kluge Antworten parat haben auf Fragen wie „Wie funktioniert bei euch Remote Work?“ oder „Was für Angebote für Eltern habt ihr?“.

Und der kollektive Ruf nach mehr Führungskompetenz spielt HR genauso in die Karten wie der Mythos der unterschiedlichen Ansprüche der Generationen X, Y oder Z.

Ach ja, humaner, inklusiver und diverser soll jede Firma auch werden.

Wer würde angesichts dieser Herausforderungen wagen, die Bedeutung der Personalabteilung im Unternehmen infrage stellen?

Ich sage ja: Theoretisch herrschen für HR paradiesische Zeiten. Und Heerscharen von gut ausgebildeten und engagierten HR-Mitarbeitern geben ihr Bestes, um all diesen Ansprüchen gerecht zu werden.

Nur zu häufig leider vergeblich. Schuld sind aber nicht die Leute, sondern ein tayloristischer Reflex.

Funktional entkoppelt

Seit Beginn des Industriezeitalters werden Funktionen, die als relevant identifiziert werden, in eine eigene Abteilung überführt, also funktional von den wertschöpfenden Einheiten entkoppelt.

Das können Sie am Beispiel des Themas „Qualität“ sehr schön nachverfolgen: Vor den 1960er-Jahren war Qualität meist ein integriertes Merkmal der Wertschöpfung. Dann erkannten die Unternehmen: „Um dieses Thema müssen wir uns kümmern, mit Qualität können wir uns differenzieren vom Wettbewerb“ und eröffneten eigene Abteilungen dafür. Dasselbe gilt für Themen wie Finanzen, Datenschutz, Umwelt, Gleichstellung etc.

Diese funktionale Teilung ist ein tayloristischer Reflex gemäß des Grundprinzips: Gleichartige Tätigkeiten sind zu bündeln, um sie möglichst effizient (nicht zwingend effektiv!) zu erledigen.

Allerdings entsteht in den so erschaffenen Abteilungen von Anfang an ein Rechtfertigungsdruck. Manchmal müssen, meist wollen sie beweisen, dass sie das Geld wert sind, das sie kosten. Daher entwickeln sie ein gewisses Eigenleben: Sie tun Dinge nicht mehr nur, um dem Unternehmen beziehungsweise der Wertschöpfung zu dienen, sondern auch, um ihre Unabdingbarkeit für alle sichtbar zu machen.

Bei HR passiert das in besonderem Maße.

Wir sind anders!

Die Ansprüche an HR sind in den letzten 20, 30 Jahren dramatisch gewachsen. Entsprechend sind die Abteilungen gewachsen und rechtfertigen ihre Größe mit dem Umfang und der Bedeutung ihrer Aufgaben – die sind ja so anders als die Themen, die die anderen Bereiche im Unternehmen haben. Stimmt auch.

Doch bei genauem Hinsehen sind bis auf die rein administrativen Aufgaben die meisten dieser HR-Themen im Inneren stark mit der Wertschöpfung verwoben. So wird Recruiting gemacht, um mit mehr Mitarbeitern mehr Wertschöpfung zu erzielen. Und Führungskräfteentwicklung, damit die Wertschöpfung besser funktioniert. Selbst die Frage, wer wo wann arbeitet, spielt stark in die Wertschöpfung hinein.

Die gegenseitigen Abhängigkeiten sind über die Jahre immer verwickelter und durch die zahlreichen Wechselwirkungen immer komplexer geworden.

Daraus folgt, dass HR sich immer intensiver mit der Wertschöpfung auseinandersetzen müsste. Doch das tut sie kaum.

Ich sehe dafür drei Gründe.

Wertschöpfung? Nein, danke!

Erstens wird in manchen Unternehmen HR regelrecht von der Auseinandersetzung mit der Wertschöpfung ferngehalten. Da heißt es „Besorg mir einfach drei Leute, den Rest mache ich dann schon!“ oder „Macht mal eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat zum Homeoffice, damit die Unruhe aufhört!“

In anderen Firmen gehört es nicht zum Selbstverständnis von HR, sich um die Wertschöpfung Gedanken zu machen. Ihre Mitarbeiter glauben, sich isoliert um die Ansprüche kümmern zu können, die ihnen wichtig sind. In einem Kommentar zu einem meiner letzten Linkedin-Posts zu dem Thema schrieb jemand sinngemäß: „Solange die Antwort von HRlern auf die Frage, warum sie in HR sind, lautet: ‚Ich arbeite gerne mit Menschen‘, wird sich daran nichts ändern.“ Da ist was dran.

Doch es gibt noch einen dritten Grund, warum HR die Wertschöpfung nicht im Blick hat, und der scheint mir fast der triftigste.

Weit weg, weit weg von hier!

Wertschöpfung ist verdammt komplex geworden: Die Formen der Zusammenarbeit sind vielfältiger geworden, die Abhängigkeiten auch, das Maß an Überraschungen aus dem Markt größer, die Geschwindigkeit, in der ein Unternehmen Ideen generieren muss, etc.

Für diese Komplexität ein Gefühl zu entwickeln, ist anspruchsvoll und aufwendig. Und je weiter weg HR von der Wertschöpfung sitzt, umso anspruchsvoller wird es – und gleichzeitig umso weniger offensichtlich, dass diese Kenntnisse nötig sind, um die Bedürfnisse der Business-Einheit wirklich zu verstehen.

Da rächt sich die funktionale Entkoppelung im tayloristischen Geist bitter.

Die Gründe, warum HR die Wertschöpfung nicht im Blick hat, sind also durchaus unterschiedlich. Die Folge ist aber immer dieselbe: Zwischen HR und den Business-Bereichen entsteht eine asymmetrische Schnittstelle. Ich nenne diese die „Weihnachtsmann-Schnittstelle“.

Die Weihnachtsmann-Schnittstelle

Stellen Sie sich vor, die wohlmeinende Großtante will dem jüngsten Spross der Familie etwas Schönes zu Weihnachten schenken. Sie sieht das Kind nicht allzu oft, also kennt sie seine Bedürfnisse nicht so genau. Aber sie ist voller guter Absichten und kauft das, was ihr passend erscheint, und lässt es den Weihnachtsmann unter den Baum legen. Doch leider passt es eben nicht.

Entweder bedankt sich der Sprössling trotzdem artig und stellt das Spielzeug klammheimlich in die Ecke. Oder die Großtante bekommt das Ding zurück mit den Hinweis: „Bitte umtauschen“. Weil ihr aber keiner sagt, in was genau, wird immer noch nicht das Richtige daraus. Und auf beiden Seite wächst der Unmut.

Ähnlich ist es im Unternehmen: HR erarbeitet in bester Absicht, evidenzbasiert und mit großer Sorgfalt zum Beispiel ein Personalentwicklungsprogramm. Die Ergebnisse sind auch wirklich gut, nur leider nicht genau passend zu den hochkomplexen Ansprüchen der Business-Einheit.

Die Einheit ahnt das sofort, will aber auch nicht einfach alles ablehnen, was von HR kommt – HR sitzt schließlich im Vorstand.

Unterwegs aufs Abstellgleis

Die Einheit macht also trotz Bauchgrummeln aus Etikette ein bisschen mit, geht zu den Workshops, lässt zwei Leute durch das Entwicklungsprogramm durchlaufen. Aber es bleibt dabei: Es passt einfach nicht.

Daraufhin fängt die Einheit an, entweder die Maßnahmen zu unterwandern oder sie unauffällig zu ignorieren. Oder sie gibt das Angebot zur Nacharbeit an HR zurück und anschließend geht das Spiel von vorne los.

Und mit jeder Runde vertieft sich das gegenseitige Misstrauen. In HR wird irgendwann offen gelästert: „Die sind veränderungsresistent, die wollen gar nicht.“ Und in der Business-Einheit wird geschimpft: „Die verstehen unser Geschäft nicht.“

So manövriert sich die Funktion HR immer mehr aus dem Geschäft. Die Abteilung wird samt und sonders abgehängt.

Hilfe, hört uns denn keiner?

Wie gesagt: Das liegt nicht an den HR-Mitarbeitern, die sind gut. Das Konstrukt der funktionalen Teilung ist im Umfeld komplexer Wertschöpfung das falsche.

Dabei ließe sich das Problem auf verschiedene Weise lösen. Sie können die asymmetrische Schnittstelle symmetrisieren, indem Sie zum Beispiel die Business-Bereiche komplexe Teilaufgaben selbst übernehmen lassen. Oder einzelne HR-Mitarbeiter gehen in die Business-Einheit – nicht als Entsandte wie seit Ende der 1990er-Jahre die HR-Business-Partner, sondern als fest integrierter Bestandteil ohne separate Ziele.

Lösungen gibt es, doch muss die Ursache des Problems erst einmal in den Köpfen ankommen. Der Schmerz ist schon da: Die Abgehängten schreien richtiggehend um Hilfe, weil niemand im Unternehmen ihre tolle Arbeit schätzt.

Ich hoffe sehr, dass immer mehr HR-Leiter erkennen, dass ihre Abteilung im Unternehmen auf Dauer auf dem Abstellgleis landet, wenn sie sich weiterhin von der Wertschöpfung entkoppeln.

Wie sieht das denn mit Ihrer Personalabteilung aus?

Ihr Lars Vollmer

PS: Die Wertschöpfungsferne schlägt sich inzwischen auch in boomenden Job-Bezeichnungen wie „People&Culture-Manager“ nieder. Da signalisiert schon der Titel, dass diese Funktion mit Wertschöpfung nichts zu tun hat. Allerdings basiert gerade dieser Titel auf dem Trugschluss, dass die „People“ die Kultur erschaffen – das tun sie nicht, aber darüber schreibe ich gerne ein anderes Mal an dieser Stelle …

Lars Vollmer ist Unternehmer, Vortragsredner und Bestsellerautor. In seinem Buch „Der Führerfluch – Wie wir unseren fatalen Hang zum Autoritären überwinden“ stellt er den aktuellen Krisen die Idee einer Verantwortungsgesellschaft entgegen.

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