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Neue Arbeitswelt „Wenn alle gestresst und erschöpft sind, verlieren auch die Unternehmen“

Autorin Sara Weber
Autorin Sara Weber
© Maya Claussen
Die Vielzahl an Krisen haben das Stresslevel vieler Arbeitnehmer nach oben getrieben, sagt Autorin Sara Weber. Was muss sich in der Arbeitswelt der Zukunft ändern? 

Capital: Die These Ihres neuen Buchs lautet: Arbeit, wie sie heute aussieht, funktioniert für uns nicht mehr. Was genau läuft falsch aus Ihrer Sicht?
SARA WEBER: Ein zentraler Punkt ist, wie es den Menschen geht. Studien zeigen, dass der Stress bei vielen sehr hoch ist und sie erschöpft sind. Die Vollzeit-Arbeitszeit hat sich seit Jahrzehnten nicht verändert, Frauen leisten immer noch den Großteil der unbezahlten Sorgearbeit und sind deswegen stärker belastet. Außerdem fehlen uns klare Regeln für die neue flexible Arbeitswelt. Anstatt all das auf einem größeren Level anzugehen, schieben wir es auf die einzelnen und das ist falsch.

Was meinen Sie mit dem größeren Level: die Unternehmen, die Politik?
Alle, die Unternehmen, die Politik und uns als Gesellschaft. Idealerweise greift alles ineinander. Sorgearbeit ist hier ein gutes Beispiel: Wenn Eltern keine Betreuung finden und stärker belastet sind, wirkt sich das auf die Unternehmen aus. Und da Frauen hier besonders betroffen sind, sinkt auch ihr Vertrauen in die Politik. So hängt alles miteinander zusammen und deswegen brauchen wir überall Veränderung.

Sie beschreiben in Ihrem Buch das Phänomen der „Great Resignation“, einer Kündigungswelle, die in den USA im zweiten Corona-Jahr eingesetzt und einen Trend ausgelöst hat. Erleben wir das auch in Deutschland?
Diese große übergreifende Kündigungswelle sehen wir bei uns nicht. Aber einige Branchen wie die Gastronomie sind dennoch betroffen. Hier hat man einen anstrengenden Job, ungünstige Arbeitszeiten, verdient wenig und während der Pandemie war der Job nicht einmal sicher. Was sich in Deutschland insgesamt verändert hat: Der Wechselwille ist größer geworden und die Arbeit hat im Leben vieler Menschen weniger Bedeutung als früher.

Corona ist nur eine Krise der vergangenen Jahre. Dazu kommen der Klimawandel, der Krieg in der Ukraine und die Inflation. Sie schreiben, das habe uns in einen Zustand des „kollektiven Burnouts“ versetzt. Was meinen Sie damit?
Wir haben schon vor Beginn der Pandemie gesehen, dass das Stresslevel angestiegen ist, und das schon seit Jahren. 2013 waren laut TK-Stressstudie im Schnitt 57 Prozent der Deutschen gestresst, 2016 waren es 60 Prozent. Ähnliche Zahlen sehen wir auch in anderen Studien. Mit Corona gab es dann einen deutlichen Sprung nach oben, weil es eben Auswirkung auf das Leben aller hatte. 2021 waren es bereits 64 Prozent, die gestresst waren. Auch mit viel Geld konnte man sich in der Hochphase der Pandemie kaum „rauskaufen“, sondern musste sich zu Hause um die Kinder kümmern und sich im Homeoffice einrichten. Was sich da noch einmal an Stress aufgetürmt hat, fällt jetzt nicht einfach wieder ab, sondern bleibt oder wird durch neue Krisenbotschaften schlimmer.

Was hat denn der Klimawandel oder der Ukraine-Krieg konkret mit meiner Arbeitssituation zu tun? Ist es angemessen, gegenüber Menschen, die wirklich von Katastrophen betroffen sind, vom „Luxusproblem“ Stress zu sprechen?
Es ist klar, dass es Menschen gibt, denen es viel schlechter geht als uns und natürlich ist unser Stresslevel anders als das von Menschen in Krisengebieten. Das ist aber kein Vergleich, den wir wollen. Wir sollten es in unserer Rolle als Vorreiternation selber besser machen und nicht darauf zeigen, dass es woanders schlechter ist. Die Klimakrise betrifft uns zum Beispiel sehr direkt und massiv. Wir tragen aber auch die Verantwortung für viele Emissionen und müssen den Anspruch haben, eine Lösung zu erarbeiten, die die Situation für alle besser macht.

Was sind Ihre Lösungsansätze, um das Stresslevel zu senken?
Wir müssen über kürzere Arbeitszeiten nachdenken. Seit den 1960er-Jahren liegt die Vollarbeitszeit bei 40 Stunden pro Woche. Dabei haben wir bessere Technologien, viel mehr erwerbstätige Frauen und die Arbeitsproduktivität ist laut Statistischem Bundesamt gestiegen.Gleichzeitig geht es den Menschen nicht gut. Wenn alle gestresst und erschöpft sind, macht das krank und dann wird die Rechnung für die Unternehmen auch nicht aufgehen. In anderen Ländern wie Island funktionieren kürzere Arbeitszeiten, ohne dass die Wirtschaftsleistung abstürzt.

Aktuelle Zahlen zeigen, dass unsere Produktivität in den vergangenen Jahren kaum gestiegen ist und wir eigentlich sogar längere Arbeitszeiten brauchen.
Aber nur weil ich mehr arbeite, bin ich nicht unbedingt produktiver. Das gilt natürlich mehr für Wissensberufe als Pflege oder Einzelhandel. Ein großer Denkfehler in dieser Diskussion ist, dass immer so getan wird, als ob alle in Vollzeit arbeiten würden. Aber tatsächlich arbeiten viele in Teilzeit, würden teilweise vielleicht gerne mehr arbeiten, müssen aber beispielsweise auf die Kinder aufpassen. Das sorgt für eine Schieflage, die man ausgleichen und damit Stress rausnehmen könnte.

Welche Rolle spielen neue Technologien dabei?
In Fabriken übernehmen Roboter schon sich oft wiederholende oder anstrengende Aufgaben, sodass die Menschen sich auf andere Sachen konzentrieren können. Bei Bürojobs müssen wir das noch viel mehr nutzen. Im Moment ist digitale Kommunikation einerseits sehr hilfreich, digitale Tools sorgen aber oft für noch mehr Arbeit.

Digitale Kommunikation hat uns eine neue Flexibilität in der Arbeitswelt gebracht. Ist sie Fluch oder Segen?
Flexibilität ist gut, wenn sie aus Sicht der Menschen gedacht ist, also, wenn wir dadurch Freizeit, Job und Sorgearbeit besser unter einen Hut bringen können. Wenn Flexibilität bedeutet, ständig erreichbar sein zu müssen und man keine Grenzen mehr ziehen kann, ist sie gefährlich. Wir brauchen feste Rahmenbedingungen für Remote-Work, um uns nicht zu überarbeiten.

Wer trägt dafür die Verantwortung, Arbeitgeber oder Arbeitnehmer?
Hier zitiere ich gerne das Bild der Grenzen und Leitplanken, das Anne Helen Petersen und Charlie Warzel entwickelt haben. Grenzen sind persönlich, die verteidige ich selbst. Allerdings verschieben die sich leicht, sobald der Vorgesetzte anruft. Leitplanken sind dagegen institutionalisiert und klare Regeln, nach denen sich alle richten. Die können im Kleinen vom Team oder Unternehmen aufgestellt werden und im Großen von der Politik. Leider gibt es das bisher kaum.

Inwiefern haben die Krisen der vergangenen Jahre die Motivation junger Menschen beeinflusst?
Wir sehen, dass der Stellenwert von Arbeit gerade in der jungen Generation sinkt. Nur 55 Prozent der unter 25-Jährigen in Deutschland sagen, dass ihr Beruf ihnen sehr viel bedeutet – das ist weniger als in den vergangenen Jahren und weniger als im Bundesschnitt.  Dabei spielt der Klimawandel sicher eine Rolle: er ist schließlich die größte Sorge der jungen Generationen, wie der Millennial-Monitor von Deloitte zeigt. Außerdem gibt es das Aufstiegsversprechen früherer Generationen nicht mehr. Was haben junge Menschen noch davon, hart zu arbeiten, außer ihre Miete bezahlen zu können? Die Immobilienpreise sind hoch, die Rente ist nicht sicher und wahrscheinlich wird unsere Welt in Zukunft weniger lebenswert sein. Nicht zu vergessen ist, dass eine ganze Generation wegen der Pandemie auf grundlegende Dinge verzichten musste und Studierende bis jetzt immer noch keine Unterstützung bei den steigenden Energiepreisen erhalten haben.

Wie sollen wir als Gesellschaft mit dieser veränderten Perspektive der Jüngeren umgehen?
Wir müssen sie vor allem verstehen. Die ältere Generation rümpft die Nase darüber, dass Jüngere keine Überstunden machen und lieber eine Vier-Tage-Woche wollen. Dabei verkennen sie, dass es nicht nur um Geld geht und das muss auch den Unternehmen klar sein.

Wer muss den ersten Schritt machen, damit es zur Verständigung kommen kann?
Ich glaube, dass der Unterschied zwischen den Generationen letztlich gar nicht so groß ist. Es kommt immer häufiger vor, dass Menschen in Frührente gehen, weil sie nicht mehr arbeiten wollen oder können. Über alle Altersgruppen sinkt die Bedeutung von Arbeit. Hier nähern sich die Generationen an und sind sich zunehmend einig, sich nicht kaputt arbeiten und die Welt besser hinterlassen zu wollen. Nur weil die jüngere Generation hier von Anfang an klare Grenzen setzt, arbeitet und engagiert sie sich trotzdem. Wir sollten miteinander reden und versuchen über gegenseitige Vorurteile hinwegzukommen.

Der Titel Ihres Buchs wird vielen Menschen aus der Seele sprechen, er drückt auch eine Sehnsucht aus. Was kann diesen Menschen Hoffnung machen?
Dass sie nicht alleine sind, viele kämpfen gerade. Das ist einerseits traurig und deprimierend, heißt andererseits aber auch, dass es nicht an einzelnen liegt. Außerdem kann dieses kollektive Gefühl zu Veränderungen führen. Der Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung ist da und das finde ich tatsächlich etwas sehr Positives. Wenn der Druck auf den Arbeitsmarkt groß genug ist, wird sich etwas verändern müssen, weil Unternehmen sonst keine Fachkräfte mehr finden und nicht mehr konkurrenzfähig sind. Idealerweise sind das dann langfristige Lösungen, die gut für Menschen und für das Klima sind.

Sara Weber arbeitet selbstständig als Journalistin und Beraterin. Davor war sie Redaktionsleiterin beim Karrierenetzwerk LinkedIn. Ihr erstes Buch „Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?“ ist im Januar bei Kiepenheuer & Witsch erschienen

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