Anzeige

Telefónica-Personalchefin „Es hat eine Entgrenzung von Arbeit und Privatleben stattgefunden“

Burn-out
Burn-out, psychische Probleme, Unzufriedenheit im Job – Menschen leiden zunehmend an ihrer Arbeit
© IMAGO / Westend61
Burn-out, Work-Life-Balance und Homeoffice: Nicole Gerhardt, Personalchefin bei Telefónica Deutschland, über Generationenunterschiede und wie sie damit umgeht

Capital: Frau Gerhardt, wie steht es um die Arbeitsmoral der Deutschen?
NICOLE GERHARDT: Diese Frage kann man nicht pauschal beantworten. Häufig wird auf eine unterschiedlich ausgeprägte Arbeitsmoral zwischen Jung und Alt verwiesen – selbst dieser Unterscheidung würde ich nicht zustimmen. Ich glaube aber, dass die Diskussion um die Arbeitsmoral in allen Firmen ähnlich geführt wird. Dabei ist die Situation komplex.

© Telefónica

Nicole Gerhardt ist Chief Human Resources Officer und Mitglied des Vorstandes der Telefónica Deutschland Holding AG.

Das müssen Sie erklären.
Auf der einen Seite haben wir viele Menschen, Jüngere wie Ältere, die wirklich Spaß an ihrer Arbeit haben, die ihren Beitrag leisten wollen, die wachsen wollen, die Chancen erkennen. Auf der anderen Seite gibt es viele, die eine neue Perspektive auf die Arbeit an sich und ihr Verhältnis zum Arbeitgeber einnehmen. Hier werden grundsätzliche Fragen zu Arbeitsmodellen und Work-Life-Balance gestellt. Ich glaube, das ist ein Diskurs, den jetzt gerade fast alle Unternehmen führen. Und er ist wichtig. Aber ich fürchte, dass es hier keine einfachen Antworten gibt.

Wie moderieren Sie diesen Diskurs in Ihrem eigenen Unternehmen?
In meiner Wahrnehmung war die Debatte zuletzt emotional sehr aufgeladen. Wir sind gut beraten, hier die Emotionen ein Stück weit rauszunehmen und eine realistische Betrachtung anzustreben. Erstmal sollten wir die verschiedenen Positionen anhören und versuchen zu verstehen, ohne diese direkt als gut oder schlecht zu bewerten.

Wie sieht das genau aus?
Natürlich ist es die Aufgabe von uns Unternehmensvertretern, für attraktive Arbeitsbedingungen und Entwicklungschancen im Job zu sorgen. Viele Jobs werden sich in den nächsten Jahren verändern. Hierauf gilt es als Unternehmen Antworten zu finden. Wir investieren beispielsweise bewusst in interne Mobilität und digitale Kompetenzen. Aber auch Arbeitnehmende müssen sich Gedanken über die Veränderungen machen – und dabei die Machbarkeit im Blick behalten. Die Idee etwa, weniger zu arbeiten und gleichzeitig mehr zu verdienen, ist wirtschaftlich nicht umsetzbar. Man muss bereit sein, für weniger Arbeit Kompromisse einzugehen. Bei all dem gibt es nicht die eine Lösung für alle.

Hat sich denn eher die Arbeitsbelastung verändert oder unsere Einstellung zur Arbeit?
Beides. Aus meiner Sicht ist aber der Mentalitätswandel besonders deutlich. Der Anspruch an den Job hat sich verändert. Aber auch früher war die Arbeit anspruchsvoll. Ich glaube, die Menschen sind mit vielen Krisen auf der Welt konfrontiert, die zu Recht Ängste und Überforderung verursachen. Dazu kommen Sorgen, nicht mehr mithalten zu können oder aber auch ein stärkeres Bewusstsein für die Selbstverwirklichung abseits des Jobs. Diese Umstände führen zu einem Wandel in den Prioritäten und Interessen der Menschen. Wo früher mitunter materielle Ziele an erster Stelle standen, rücken zunehmend persönliche Werte wie Familie, Freunde und Hobbys in den Vordergrund. Als Arbeitgeber müssen wir diesen Wandel gemeinsam mit den Mitarbeitenden aktiv gestalten.

Trotzdem belegen Studien, dass es mehr Burn-out gibt, mehr psychische Probleme, mehr Unzufriedenheit im Job. Wie sollen Arbeitgeber darauf reagieren?
Es hat eine Entgrenzung von Arbeit und Privatleben stattgefunden. Flexibilisierung und Digitalisierung von Arbeit bringt viele Vorteile, erfordert aber auch mehr Verantwortung beim Einzelnen, die oft fließenden Übergänge bewusst zu managen. Und gerade auch außerhalb ihres Berufes sind Menschen massiven Stressoren ausgesetzt. Das Erstarken populistischer Kräfte, Systeme an der Belastungsgrenze oder geopolitische Krisen: Das macht vielen Menschen, auch mir, Sorgen. Medial sind wir zudem dauerhaft mit diesen Themen konfrontiert. Das geht an der individuellen Belastbarkeit nicht spurlos vorbei.

Wie soll man diesen Problemen begegnen?
Es ist ungemein wichtig, die aktuelle Situation ernst zu nehmen. Bei uns im Unternehmen setzen wir unter anderem auf ein breites psychosoziales Beratungsangebot, Burn-Out-Prävention und fördern die Medienkompetenz unserer Mitarbeitenden. Auch Führungskräfte haben wir zuletzt im Bewusstsein für mentale Gesundheit geschult. Eine gute Arbeitsumgebung kann nämlich auch dazu beitragen, dass Menschen aus ihrer privaten Bubble hinaustreten und sich in Diskussionsräumen konstruktiv miteinander auseinandersetzen. Bei o2 Telefónica tauschen sich Mitarbeitende beispielsweise im Rahmen von unternehmensweiten Communities zu wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Fragestellungen aus.

Wie versuchen Sie denn in Ihrem Unternehmen die Arbeitsmoral zu stärken?
Indem man sich am Arbeitsplatz auf Augenhöhe begegnet und offen und transparent kommuniziert. Es ist ebenfalls wichtig, das soziale Miteinander zu stärken. Viele vermissen das Büroleben, obwohl sie gerne im Homeoffice arbeiten. Wir müssen nicht alle jeden Tag zurück ins Büro, aber den Wert des Zusammenkommens als Team betonen und leben. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Investition in Weiterbildung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Rasante technologische Entwicklungen können Menschen Angst machen, den Anschluss zu verlieren. Wir bieten daher regelmäßige Schulungen zu technologischen Trends an und wollen allen die Gelegenheit bieten, hier Schritt zu halten. Gesellschaftlich stehen wir aber auch vor der großen Aufgabe, Arbeit wieder positiv aufzuladen: Denn Arbeit kann Freude machen, Erfüllung bringen und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen.

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel