Viele Unternehmen bilden sich etwas auf ihre Rationalität ein: Entscheidungen werden angeblich auf Grund von Fakten getroffen, es gibt scheinbar vernunftorientierte Zahlenwerke zu Gewinn und Kosten und durch die Managementtheorie geistern immer wieder vordergründig rational orientierte Modelle wie die SWOT-Analyse, das Benchmarking, Lean Management und ähnliches.
Ich will diese Versuche, ein Regiment aus Zahlen, Daten, Fakten zu bauen, gar nicht lächerlich machen oder kleinreden. Im Gegenteil: Ich möchte auf einen Bereich hinweisen, der massiv unterbelichtet ist, wenn es um die wissenschaftliche Argumentation geht. Und das ist das Personalwesen.
Manchmal habe ich den Eindruck, beim Thema Mensch im Unternehmen sind den Verantwortlichen wissenschaftliche Erkenntnisse zu Führung, Teamwork und so weiter unbekannt bis völlig gleichgültig. Gegenüber den eigenen Personalern herrscht bisweilen jene nonchalante Arroganz, die man auch gegenüber Kindergärtnerinnen zeigt: Was, das kann man studieren? Kinder hüten und ein paar Liedchen singen kann doch jeder.
Unternehmen verlieren durch ihre Ignoranz viel Geld
Nur diese Ignoranz oder Hilflosigkeit gegenüber dem „Faktor Mensch“ kann erklären, weshalb man in Büros und Fabriken immer noch auf hoffnungslos veraltete Führungsmodelle trifft, auf Instrumente der Personalauswahl, die jeder Beschreibung spotten, auf zwielichtige Weiterbildungsanbieter, die ihr wissenschaftlich unhaltbares Persönlichkeitsmodell immer noch verkaufen können.
Dabei müsste man nur die Augen aufmachen und etwas Zeit in aktuelle Forschungslektüre investieren. In der Psychologie und Soziologie gibt es längst gesicherte Erkenntnisse darüber, wie Führung auf Distanz nachhaltig funktioniert, wie man möglichst treffsicher neues Personal auswählt oder wie man Teams richtig zusammenstellt. Das alles ist da, es müsste nur eben umgesetzt werden.
Und teuer ist diese Ignoranz ja auch noch. Eine Kündigung mit erneuter Stellenbesetzung kostet ein Unternehmen schnell ein bis zwei Jahresgehälter. Wenn man in der aktuellen Arbeitsmarktsituation überhaupt noch neue Kräfte bekommt.
Unternehmen brauchen einen Chief Human Science Officer
Deshalb fordere ich die Schaffung einer neuen Position im Unternehmen: den Chief Human Science Officer (CHSO). Sein technologisches Pendant in Form des traditionellen Chief Science Officer gibt es ja schon; dieser kümmert sich allerdings meist nur um den technologischen Teil, um stoffliche Innovationen.
Unternehmen brauchen hingegen auch den Chief Human Science Officer, um neue (oder auch bereits alte!) Erkenntnisse aus der psychologischen und soziologischen Forschung umzusetzen. Nicht weil es moralisch ist. Nicht weil die Personaler einen neuen Titel brauchen. Sondern weil es sich rechnet. Weil die Menschen im Unternehmen es verdient haben, dass auch mit ihnen nach modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen gearbeitet wird.