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Bundesliga Hertha BSC holt Berliner Unternehmer als Chefsanierer

Abstiegskampf: Nicht nur sportlich lief es bei Hertha zuletzt schlecht. Auch ökonomisch steckt der Club in der Krise
Abstiegskampf: Nicht nur sportlich lief es bei Hertha zuletzt schlecht. Auch ökonomisch steckt der Club in der Krise
© picture alliance / contrastphoto | O.Behrendt
Der finanziell angeschlagene Fußball-Zweitligist Hertha BSC setzt für seine Restrukturierung auf eine ungewöhnliche Personalie: Seit Monaten leitet Zeitfracht-CEO Wolfram Simon-Schröter im Nebenjob den internen Sanierungsstab. Der setzt auf harte Sparmaßnahmen

Zuletzt traf es auch noch die Cola-Flaschen. Jahrelang hatten sich die Mitarbeiter der Geschäftsstelle von Hertha BSC im Berliner Olympiapark kostenlos aus einem Sortiment an Softdrinks bedienen können. Doch damit ist nun Schluss – wie auch mit anderen Annehmlichkeiten, an die man sich bei dem Club über die Jahre gewöhnt hat. „Wir müssen jeden Euro umdrehen“, sagt Herthas Geschäftsführer Thomas Herrich.

Schon im Frühjahr hatte Herrich mit der Aussage für Alarm gesorgt, bei Hertha handele es sich um einen „Sanierungsfall“. Dann folgte im Mai auch noch der Abstieg aus der Bundesliga, der massive Folgen für die Finanzlage hat, etwa durch einbrechende TV-Einnahmen. Der Verein und seine Mitarbeiter bräuchten einen „Mindshift“, sagt Herrich heute.

Um den Sanierungskurs voranzutreiben, für den die gestrichenen Gratisgetränke nur ein kleines Symbol sind, haben Herrich und Herthas Vereinspräsident Kay Bernstein zu einer in der Branche ungewöhnlichen Lösung gegriffen. Für die Neuaufstellung holten sie keine Unternehmensberatung ins Haus, sondern ließen bei einem prominenten und sanierungserfahrenen Berliner Unternehmer anfragen: Nach Informationen von Capital leitet Wolfram Simon-Schröter, Chef der Zeitfracht-Gruppe, seit einigen Monaten hinter den Kulissen die Restrukturierung des Fußballunternehmens. Dafür führt Ex-Banker Simon-Schröter in seinem Nebenjob bei Hertha einen neu eingerichteten Sanierungsstab. Dieser besteht aus rund einem halben Dutzend Mitgliedern, darunter auch Mitarbeiter aus der Hertha-Geschäftsstelle und Vertreter des Clubpräsidiums.

„Hertha liegt noch auf der Intensivstation“

Für Simon-Schröter, 42, der mit dem ursprünglich in der Logistikbranche beheimateten Zeitfracht-Konzern in jüngerer Zeit reihenweise angeschlagene Firmen aufgekauft und aufgemöbelt hat, ist das Engagement im Profisport ein herausfordernder Fall. In den vergangenen Jahren ist Hertha immer tiefer in die Krise gerutscht: überteuerte Transfers, Dauerquerelen mit dem früheren Investor Lars Windhorst, die Folgen der Corona-Krise, Arbeitsgerichtsprozesse mit früheren Topmitarbeitern wie dem gekündigten Ex-Geschäftsführer Fredi Bobic, große Verunsicherung unter den Mitarbeitern.

Zeitfracht-Chef Wolfram Simon-Schröter: Nebenjob in der Bundesliga
Zeitfracht-Chef Wolfram Simon-Schröter: Nebenjob in der Bundesliga
© Christian Werner

Das Ergebnis: Von den 374 Mio. Euro, die Windhorst seit seinem Einstieg im Sommer 2019 bei Hertha investierte, um aus dem Hauptstadtverein einen „Big City Club“ zu machen, ist heute nichts mehr übrig. Stattdessen türmen sich horrende Verluste, allein in den Geschäftsjahren 2020/2021 und 2021/2022 waren es zusammen fast 160 Mio. Euro. Ohne die zugesagte Finanzspritze von 100 Mio. Euro des US-Finanzinvestors 777 Partners, der Windhorst jüngst seine Anteile abkaufte und nun fast 80 Prozent an der ausgegliederten Hertha-Profiabteilung hält, würde es düster aussehen.

Zuletzt musste man auch eine auslaufende Anleihe mit einem Volumen von 40 Mio. Euro, die Hertha im Herbst 2018 für den Rückkauf der Minderheitsanteile des US-Finanzinvestors KKR auf dem Kapitalmarkt platziert hatte, zu saftigen Zinsen verlängern. Die Zustimmung der Anleihegläubiger zu der Verlängerung war ein entscheidender Schritt, um nach wochenlangem Bangen die DFL-Lizenz für die neue Saison zu erhalten – eines der wichtigsten Themen, mit denen auch Chefsanierer Simon-Schröter beschäftigt war.

Wie dramatisch die Lage auch weiterhin ist, will der seit Sommer 2022 amtierende Geschäftsführer Herrich nicht schönreden. „Hertha liegt noch auf der Intensivstation. Jetzt müssen wir schauen, dass wir den Patienten auf die Normalstation bekommen“, sagte Herrich Capital. Die Notoperation leitet nun seit Anfang des Jahres jener Mann, der mit dem Zeitfracht-Konzern bereits eine Reihe insolventer Firmen wiederbelebt hat – etwa die Modekette Adler, den Buchgroßhändler KNV oder den Pralinenhersteller Leysieffer. Durch die zahlreichen Zukäufe kam die Zeitfracht-Gruppe laut dem jüngsten verfügbaren Jahresabschluss für 2021 auf einen Umsatz von 910 Mio. Euro.

Expansion ins Sportbusiness

„Wolfram Simon-Schröter hat schon viele Unternehmen erfolgreich restrukturiert und saniert. Das ist eine Riesenchance für uns“, sagte Hertha-Boss Herrich. Die Krise sei eine Zäsur. „Wir haben jetzt die Chance, das Unternehmen auf ein vernünftiges Fundament zu stellen und sauber zu wirtschaften.“ Für kommendes Jahr strebt Herrich ein ausgeglichenes Betriebsergebnis (Ebitda) an – was allerdings voraussetzen dürfte, dass die Mannschaft in der nächsten Saison den sofortigen Wiederaufstieg schafft. Bis Hertha ganz ohne Investor auskommt, wie Clubpräsident Bernstein jüngst als Wunsch äußerte, dürfte noch viel Zeit vergehen.

Der Zeitfracht-Konzern, der Simon-Schröters Ehefrau Jasmin Schröter gehört, hatte in letzter Zeit auch den Sport als Geschäftsfeld entdeckt. Im vergangenen Jahr stieg Zeitfracht bei dem American-Football-Team Frankfurt Galaxy ein. Zugleich stellte Simon-Schröter einen Sportchef ein: Ex-Bundesligamanager Martin Bader, der vor vielen Jahren auch einmal bei Hertha arbeitete. An seinen ungewöhnlichen Nebenjob im Fußballbusiness kam der Zeitfracht-Chef allerdings eher aus Zufall: Es sei „kein Pitch“ gewesen, sagte Simon-Schröter Capital. „Ich bin angesprochen worden und habe gesagt: Ich kann mir das ja mal anschauen.“

Daraus entstand der Plan mit dem Sanierungsstab. Hertha aus der Krise zu helfen, sei für ihn „eine Herzensangelegenheit“, sagte der Unternehmer, der selbst auch Vereinsmitglied bei Hertha BSC ist. An einigen Tagen macht Simon-Schröter nun auf dem Weg in die Zeitfracht-Zentrale in Kleinmachnow oder am Abend einen Zwischenstopp in der Hertha-Geschäftsstelle oder nimmt sich Unterlagen mit nach Hause. Als es in den letzten Wochen um die DFL-Lizenz ging, um dem Traditionsclub den Verbleib im Profifußball zu sichern, gingen auch manche Nächte drauf. Für seinen Nebenjob erhält Simon-Schröter nach eigenen Angaben eine Aufwandsentschädigung für entstandene Kosten. „Ich bekomme keinen Bonus“, betonte er.

Neuaufstellung: Hertha-Geschäftsführer Thomas Herrich (rechts) und Club-Präsident Kay Bernstein (links) mit 777-Partners-Gründer Josh Wander im März 2023
Neuaufstellung: Hertha-Geschäftsführer Thomas Herrich (rechts) und Club-Präsident Kay Bernstein (links) mit 777-Partners-Gründer Josh Wander im März 2023
© IMAGO / Matthias Koch

Bislang, sagte der Unternehmer, sei es für ihn bei Hertha viel um „Anamnese“ gegangen: alle Verträge anschauen, verzichtbare Kosten und neue Erlösquellen identifizieren, Gespräche mit Banken und Partnern führen. Aus einem Bereich hält sich Simon-Schröter dagegen heraus: Spielertransfers. Darum kümmern sich Geschäftsführer Herrich und Sportdirektor Benjamin Weber. Auf der Payroll des Clubs stehen noch einige hoch bezahlte Stars wie Krzysztof Piatek und Dodi Lukebakio, die sich Hertha in der zweiten Liga nicht mehr leisten kann – und von denen man sich noch hohe Transfererlöse erhofft.

Seine Rolle als Sanierer bei Hertha sei anders als bei den Unternehmen, die Zeitfracht kaufe, sagte Simon-Schröter. Bei einem Verein wie Hertha könne man nicht „durchregieren“ wie etwa bei einem Pralinenhersteller – das müsse er aber auch nicht, denn die meisten Unternehmen, die Zeitfracht übernehme, seien schon wirtschaftlich tot gewesen, Hertha hingegen nicht. „Die Situation ist hier eine andere“, sagte der Manager. Es gehe sehr viel um Kommunikation und Moderation: mit Mitarbeitern, dem Vereinspräsidium und anderen Stakeholdern. „Ich muss nicht jede Excel-Tabelle selbst machen.“ Seine Rolle sei es beispielsweise, in bestimmten Situationen mit Nachdruck zu sagen: Hier wird es gefährlich. Unterstützt wird Simon-Schröter dabei auch von einer Zeitfracht-Managerin, die schon bei mehreren Firmenbeteiligungen des Konzerns für die Restrukturierung verantwortlich war, zuletzt bei Leysieffer.

Umfangreicher Stellenabbau

Manche der konkreten Sparmaßnahmen, die der Sanierungsstab entwickelt hat, haben bereits für einigen Wirbel gesorgt – kleine wie die Streichung der kostenlosen Würstchen bei den Mitgliederversammlungen und des Gratisessens für Mitarbeiter der Nachwuchsakademie, aber auch große wie die Kündigung zahlreicher Topmitarbeiter, die der Anfang 2023 gekündigte Sport-Geschäftsführer Bobic mit nach Berlin gebracht hatte. Aktuell gibt es intern auch Ärger um die Gründung eines Betriebsrats.

Zu den bereits in die Wege geleiteten Sparmaßnahmen zählt ein kräftiger Stellenabbau im Personalapparat, der in den vergangenen Jahren ziemlich aufgebläht worden war. Im Vergleich zum Bestand von mehr als 350 Mitarbeitern Ende 2022, wie er in der jüngsten verfügbaren Halbjahresbilanz ausgewiesen wird, fallen mehrere Dutzend Stellen weg. Von „schmerzlichen Entscheidungen“, die man in den vergangenen Wochen gerade im Personalbereich getroffen habe, spricht Geschäftsführer Herrich.

„Wenn immer Geld da ist, ist es schwierig, Kostendisziplin zu üben“, sagte Simon-Schröter. Mit Blick auf die zwingende Sanierung hält er den Abstieg im Mai daher sogar für eine Chance. „Auch als Erstligist hätten wir harte Maßnahmen treffen müssen. Aber es hätte wohl diesen Ruck nicht gegeben.“ Das Ziel sei es, bei einem Wiederaufstieg sagen zu können: „Wir können uns die Bundesliga auch wirtschaftlich wieder leisten.“

Bei allen notwendigen Kostenkürzungen, betonen Simon-Schröter und Herrich, müsse man allerdings darauf achten, dass sich der Club nicht kaputt spare. Ziel sei es, solider zu wirtschaften, aber dabei auch einen wettbewerbsfähigen Kader zu haben, um im Kerngeschäft Profifußball erfolgreich sein zu können, sagte Herrich. „Das ist eine Herkulesaufgabe.“

Für welche Dauer der Hertha-Boss bei dieser Aufgabe auf die Unterstützung seines Chefsanierers aus der Wirtschaft bauen kann, ist noch offen. Wie lange sein Nebenjob gehe? „Keine Ahnung“, sagt Simon-Schröter. Vielleicht bis Weihnachten. Auf jeden Fall so lange wie nötig.

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