Dorothea Schäfer ist Direktorin für den Bereich Finanzmärkte am Berliner Forschungsinstitut DIW.
Wie schnell sich an den Finanzmärkten doch der Wind drehen kann. Noch Anfang Oktober sinnierte der Crashprophet Nouriel Roubini über die „Bequemlichkeit“, die an den Finanzmärkten trotz der vielfältigen Krisenherde herrsche. Und in der Tat, bis vor wenigen Wochen kannten die wichtigen internationalen Aktienindizes nur eine Richtung: die nach oben. Spiegelbildlich bewegten sich die sogenannten Angstbarometer, mit denen die Heftigkeit der Preisschwankungen gemessen wird, nach unten. Auch die Preise für Staatsanleihen in der Eurozone stiegen kontinuierlich und drückten die Renditen. Fast schon vergessen schienen da die Zeiten, als die Renditeabstände der Anleihen von Euro-Krisenländern zu denen Deutschlands immer riesiger wurden. Schließlich waren sie so groß, dass Griechenland, Irland, Portugal und Spanien vom Markt genommen werden und von den stärkeren Eurostaaten mit frischem Geld versorgt werden mussten.
Was Ebola, Ukraine-Krise und Kampf gegen den Islamischen Staat nicht geschafft haben, ist der Konjunktur gelungen. Die Angst davor, die Eurozone könnte wieder zurückfallen in die Rezession und auf Jahre hinaus nicht mehr vom Pfad der Stagnation abkommen, hat die Märkte aufgeschreckt. Kombiniert mit der Unsicherheit über die Ergebnisse der Bankenstresstest, genügte dieser Verdacht offenbar, um das „Fass der schlechten Nachrichten zum Überlaufen“ zu bringen. Innerhalb kurzer Zeit erreichte das Angstbarometer der deutschen Börse, der V-Dax, Werte so hoch wie seit 2 Jahren nicht mehr. Und der Dax selbst bewegte sich auf die Marke von 8000 Punkten zu anstatt nach neuen Höchstständen zu streben. Nur mit Mühe konnte er sich in den letzten Tagen bei zehn Prozent unter seinem Juli-Höchststand von über 10000 Punkten einigermaßen fangen.
Krisenländer immer noch fragil
Zwar steht nun fest, dass 105 europäische Banken den Stresstest bestanden haben und 25 Kreditinstitute durchgefallen sind. Es ist aber noch nicht abzusehen, wohin die Reise an den Aktien- und Anleihemärkten geht. Zu viel Vertrauen in die Stabilität der europäischen Großbanken ist in den letzten Jahren verloren gegangen. Und zu wenig sagt es über die Robustheit ihrer Gesamtbilanz aus, wenn eine Bank auch bei starkem wirtschaftlichen Stress eine sogenannte risikogewichtete Kernkapitalquote von fünfeinhalb Prozent halten kann. Die risikogewichteten Vermögenswerte, auf die sich die fünfeinhalb Prozent beziehen, machen bei Großbanken häufig genug höchstens ein Drittel der gesamten Bilanzsumme aus.
Zu fragil ist auch immer noch die Situation der Krisenländer im Euroraum. Obwohl bereits überall nach der Zinswende gerufen wird, die Schuldenwende im Euroraum ist noch lange nicht geschafft. Und ohne Schuldenwende ist eigentlich auch keine Zinswende vorstellbar. Viele Eurostaaten können ihre Schulden ja nur deshalb tragen, weil die dafür notwendigen Zinszahlungen in den letzten Jahren so stark gesunken sind. Die Verschuldungskrise im Euroraum ist noch nicht vorbei, ebenso wenig wie die europäische Bankenkrise.
Die EZB kann es sich in der Wachstumsdelle noch weniger leisten, sich von den historisch niedrigen Leitzinsen und der Flutung der Märkte mit Geld zu verabschieden, sei der Ruf nach der Zinswende noch so laut. Das Schmiermittel für den Aktienmarkt ist also weiterhin vorhanden. Die heftige Abwärtsbewegung beim DAX war jedoch ein Weckruf. Die sich plötzlich in den Vordergrund schiebende Angst vor einem erneuten Krisen-Deja Vue wird den Aktienmärkten weiter zusetzen. Es könnte sein, dass wir uns wieder auf unruhigere Zeiten einstellen müssen.