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Kolumne Wolfgang Reitzles Weg nach unten

Bernd Ziesemer
Bernd Ziesemer
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Einst schien alles zu glücken, was er in die Hand nahm. Doch jetzt schrumpft einer der mächtigsten deutschen Aufsichtsräte wieder auf Normalmaß. Bernd Ziesemer über die Überforderung des Multiaufsehers Wolfgang Reitzle

Wolfgang Reitzle hat, man kann es nicht anders sagen, keinen guten Lauf in den letzten Wochen. Die Fusion der deutschen Linde AG und der amerikanischen Praxair Inc wackelt gefährlich. Bei Continental sinkt der Kurs der Aktie schneller als sich die Reifen des Konzerns drehen. Und bei der Modefirma Bogner ist nichts erkennbar, was den stetigen Niedergang der Traditionsmarke stoppen könnte. Und was die drei ganz unterschiedlichen Unternehmen einzig verbindet, ist sein Name: Wolfgang Reitzle. Als Aufsichtsratschef soll der frühere BMW-Vorstand und Linde-Chef eigentlich für Ruhe und Berechenbarkeit in den drei Firmen sorgen. Doch der Mann mit dem Menjou-Bärtchen präsidiert in letzter Zeit eher über das Chaos.

Diese Entwicklung verwundert auf den ersten Blick. Lange Zeit galt Reitzle als ein Manager, dem alles gelingt. Viele hielten den gelernten Ingenieur schon früh für einen der besten Autoleute seiner Generation. Nach dem Wechsel zu Linde baute der Vorstandsvorsitzende Reitzle einen verschlafenen Konzern zu einem Weltmarktführer um. Auch in seinen ersten Jahren als Multiaufsichtsrat hörte man nichts als Lob. Ohne Reitzle wäre das überschuldete Riesenreich der Familie Schaeffler, die sich mit der Übernahme von Continental gefährlich übernommen hatte, aller Wahrscheinlichkeit nach auseinandergebrochen.

Reitzle leitete aus seinen vielen Erfolgen und seiner langen Erfahrung das Recht ab, als Aufsichtsratsvorsitzender „seiner“ Unternehmen eher wie ein Über-Chef zu agieren. Und trotz steigender Arbeitslast fühlte sich der 69-Jährige dabei niemals überfordert. Neben seinen drei Ämtern als Oberaufseher sitzt Reitzle deshalb noch in zwei weiteren Aufsichtsräten. Viele Fonds und Aktionärsschützer reiben sich daran schon lange. Reitzle aber machte noch nie den Eindruck, als ob ihn diese Kritik erreichen könnte.

Keine Zukunft für Multiaufseher

Reitzle ist keineswegs der einzige Vertreter der Deutschland AG, der sich mit der großen Zahl seiner Mandate, Aufgaben und Ehrenposten übernommen hat. Auch der Multiaufseher Ulrich Lehner (Telekom, Thyssen-Krupp, Eon, Porsche, Henkel) sonnte sich beispielsweise lange Zeit im wohligen Gefühl seiner absoluten Unentbehrlichkeit. Bis ihn der Machtkampf bei Thyssen-Krupp wieder auf Normalmaß stutzte. Ende August legte der frühere Henkel-Chef den Aufsichtsratsvorsitz bei Thyssen-Krupp nach heftigen Querelen mit den wichtigsten Anteilseignern nieder – ohne einen Nachfolger zu präsentieren. So heftig scheiterte in den letzten Jahren wohl kein zweiter Aufsichtsratschef.

Am Beispiel der beiden Manager kann man zeigen, wie stark die Anforderungen an Aufsichtsräte gestiegen sind. Selbst Überflieger wie Reitzle und Lehner schaffen es nicht mehr, drei Gremien gleichzeitig zu leiten. Was in normalen Zeiten vielleicht gerade noch funktioniert, erweist sich spätestens in einer Krise als Überforderung. Die Zahl der Termine explodiert, die Zahl der Entscheidungen multipliziert sich und die juristischen Risiken erfordern ein Höchstmaß an ständiger Aufmerksamkeit. Die Zeit der mächtigen Multiaufsichtsräte geht deshalb allmählich zu Ende. Mehr als einen Aufsichtsratsvorsitz sollte kein Manager übernehmen.

Bernd Ziesemerist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint jeden Montag auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.

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