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Protest gegen Werk in China Turbulente Hauptversammlung: Der Makel, der an VW klebt

Wolfgang Porsche sitzt auf dem Podium, an dem man einen Abdruck nach einem Tortenwurf sieht
Eine Torte flog in Richtung Wolfgang Porsche. Und der Fleck wollte einfach nicht verschwinden 
© Britta Pedersen / picture alliance/dpa
VW-Chef Oliver Blume bekommt auf der Hauptversammlung ungewohnten Druck: Große Fondsgesellschaften und Menschenrechtsaktivisten reden mit einer Stimme, wenn es um das umstrittene VW-Werk in Chinas Region Xinjiang geht, wo die Regierung Krieg gegen eine Bevölkerungsminderheit führt

Eine gewisse Protestkultur gehört zur Folklore bei den Aktionärstreffen vieler großer Industriekonzerne – und besonders bei Volkswagen. Autokritiker, Umweltschützer, Menschenrechtler: ein Versammlungsleiter wie der VW-Aufsichtsratschef Hans-Dieter Pötsch ist ein Meister darin, derlei gnädig wegzulächeln. Doch am Mittwoch in der Berliner Messehalle Citycube gerät selbst er an seine Grenzen. Schon 20 Minuten nach der Eröffnung fliegt eine Torte in Richtung von Aufsichtsrat Wolfgang Porsche, dessen Familie Haupteigner des Konzerns ist. Porsche feiert heute seinen 80. Geburtstag, aber nicht das ist der Grund für die Torte.

Wachleute führen den Werfer ab, einen jungen Mann in blassgrünem Jackett, der ein Transparent entfaltet, auf dem steht: „Wir können uns Wolfgang nicht mehr leisten.“ Gemeint ist vermutlich: wegen seiner Milliarden und der globalen Klimakrise. So formuliert es jedenfalls später ein kritischer Redner, der mit den Protesten sympathisiert, an die Adresse Porsches.

Ein eher ratloser Sicherheitsmann postiert sich dann viel zu spät mit einem geschlossenen Regenschirm neben Pötsch, der am Rednerpult steht. Irgendwie ist man vorbereitet, aber irgendwie auch nicht so richtig: Über Stunden wird später an dem Tortenfleck am Podium gleich unterhalb von Wolfgang Porsche herumgewerkelt. Erst gefegt, dann gewischt, dann gesprüht. Irgendwann kommen zwei Leute und kleben eine große weiße Folie drüber, die aber dann später wieder entfernt werden muss. So wird der inzwischen hässlich und braun gewordene Fleck durch die Aktionen nur noch viel sichtbarer. Wie ein Makel der durch emsige Beseitigungsversuche nur größer wird wie in einer alten Fabel.

Ein Hauch von chinesischem Volkskongress

Immer wieder stehen während der Reden und Prozeduren der Hauptversammlung an verschiedenen Ecken im Saal zurückhaltend gekleidete junge Menschen auf, rufen Parolen und verstreuen mit Blut besudelte Geldscheinkopien, was auf Menschenrechtsverletzungen verweisen soll, die dem Konzern vorgeworfen werden. Eine Frau protestiert mit nacktem Oberkörper. Ein Mann verteilt still seine Flugblätter. „Kannst Du den rausholen?“, murmelt der bullige Sicherheitschef in sein Handy. Der Mann folgt der Aufforderung zu gehen, eskortiert von zwei Schwarzgekleideten. Er ist nicht der Einzige, der herausgeholt wird.

Das riesige Podium mit den Aufsichtsräten und Vorständen verändert im Laufe dieser Vorgänge sein Aussehen. Während am Anfang nur ein Kordon von sitzenden Wachleuten still und sitzend im Dunkel verharrt, stehen bald drei Reihen Sicherheitsleute martialisch blickend und schwarz gekleidet zwischen Managern und Aktionären.

Ein Hauch von chinesischem Volkskongress macht sich breit im Saal. Und genau darum geht es bei den meisten der Proteste: Um das enge Verhältnis des Autoherstellers Volkswagen zur chinesischen Diktatur und um das der Pekinger Führung zuliebe erbaute Werk in der Provinz Xinjiang, wo die Regierung die Minderheit der Uiguren brutal unterdrückt und Vertreter der Uiguren dem Konzern vorwerfen, sich an dieser Unterdrückung zu beteiligen. „Uigurische Zwangsarbeit bei VW beenden“, steht auf einem Plakat.

Das alles wäre wahrscheinlich immer noch kein Problem für Vorstandschef Oliver Blume, wenn wie sonst üblich durch die Proteste ein Einvernehmen entstände zwischen der Unternehmensführung und den „ernsthaften“ Anteilseignern. Ein Einvernehmen, bei dem man die Protestler als unvermeidliche Spinner betrachtet, die den Ablauf stören mögen, aber auch nicht zu viel.

„Wir sehen die Aktivitäten von VW in Xinjiang kritisch“

Doch genau das stellt sich heute nicht ein. Denn große Fondsgesellschaften die beträchtliche Mengen an Aktien halten, schließen sich der Kritik an. Ingo Speich von der Sparkassen-Fondsorganisation Deka verlangt von Blume mit Blick auf Xinjiang: „Bringen Sie Licht ins Dunkel!“. Und stellt dann noch eine Verbindung her, die dem Vorstandschef nicht schmecken kann. Der werde VW am Finanzmarkt nur dann wieder zu Erfolgen führen, wenn er in Sachen Menschenrechte mehr Offenheit zeige: „Eine solche Transparenzinitiative macht sich auch auf dem Kapitalmarkt bezahlt“, ruft Speich.

Jan Werning von Union Invest haut in die gleiche Kerbe. „Wir sehen die Aktivitäten von VW in Xinjiang kritisch“, sagt er. „Wann beauftragen Sie endlich eine unabhängige Prüfungsgesellschaft?“ Bislang hat der Konzern immer bestritten, dass er sich in der nordostchinesischen Provinz an Unterdrückungsmaßnahmen beteiligt. Gleichzeitig aber hat er die Forderungen, das Werk von unabhängigen Experten begutachten zu lassen, stets abgelehnt.

Da muss der Vertreter der Kritischen Aktionäre – die auf anderen Versammlungen meist allein mit ihrer Kritik bleiben – nur noch zustimmend auf die Großinvestoren von den Fonds verweisen. Und Mark Liebscher von der Aktionärsvereinigung SDK, die sonst oft auch am liebsten die Dividendenhöhen in den Blick nimmt, fasst den Einklang von Protestlen und Profi-Investoren zusammen: „Die Formen mögen andere sein, aber die Fragen, die sie stellen, sind die gleichen,“ sagt er. „Die Fragen werden sowohl von junger, wütender Seite, als auch von ständiger Fonds-Seite gestellt“, sagt er. Und fügt mit Bezug auf die Klimaproteste hinzu: „Die Ziele, die die jungen Menschen einfordern, sind schließlich gesetzlich festgelegt“. Auch die als „Klimakleber“ geschmähten Vertreter der „Letzten Generation“ und der „Scientist Rebellion“ waren in Berlin vertreten. So fand auf dem Messedamm, der zur Veranstaltungshalle führt, am Morgen eine Sitz- und Klebeblockade statt.

Und das ist es was deren antikapitalistische Fraktion vielleicht am meisten überraschen könnte bei der Veranstaltung: Wie inzwischen auch Hardcore-Kapitalisten mitunter ins gleiche Horn stoßen. Das könnte das Resultat der ESG-Kriterien sein, die für institutionelle Investoren an Bedeutung gewinnen. Nur wenige Investorenbeiträge auf der Versammlung kommen ohne Verweis auf die Prinzipien für ökologische und sozialverträgliche Investments aus.

Der Konzern selbst nahm auf der Versammlung selbst nicht umfangreich Stellung zu den Menschenrechtsvorwürfen. In einer später verbreiteten Stellungnahme kritisierte er die Proteste: Friedliche Proteste seien ein demokratisches Mittel der freien Meinungsäußerung. Aber Beschädigung von fremdem Eigentum und Eingriff in die Rechte anderer stehe dazu in Widerspruch. Gleichzeitig aber sei man zum Dialog mit Kritikern bereit. Am Podium bleibt braun und hässlich der Fleck unter dem Platz von Wolfgang Porsche.

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