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KPMG-Bericht Wirecard: Vertrauen ist gut – Kontrolle wäre besser

Wirecard-Zentrale in Aschheim bei München
Wirecard-Zentrale in Aschheim bei München
© dpa
Der in dieser Woche veröffentlichte Sonderprüfbericht von KPMG belastet Wirecard zwar nicht direkt – aber es bleiben viele offene Fragen. Viele interne Kontrollen im Unternehmen scheinen demnach nicht ausreichend. Die spannendsten Stellen aus dem Prüfbericht.

Es gab keinen direkten Schuldspruch der Wirtschaftsprüfer von KPMG, als sie diese Woche den Sonderprüfbericht zu Wirecard vorlegten . Sie sollten darin aufklären, ob der Aschheimer Dax-Konzern auch tatsächlich alle Umsatzerlöse und Geschäftspartner nachweisen kann, die er in seinen Bilanzen für 2016 bis 2018 ausgewiesen hat. Denn Presseberichte der Financial Times hatten behauptet, es ließen sich einige Zahlungsströme in den Wirecard-Tochtergesellschaften in Dubai und Irland sowie bei Drittpartnern nicht belegen. Zumindest diese Vorwürfe bestätigte der KPMG-Prüfbericht so nicht. Aber: Er widerlegte sie auch nicht als falsch. Die Bilanzen für 2016 bis 2018 muss Wirecard wohl auch nicht berichtigen. Das spricht laut alter Juristenregel erst einmal für den Angeklagten. Doch es gab im Ergebnisbericht der Wirtschaftsprüfer noch sehr viele andere große „Aber ...“-Aussagen.

Dadurch bekräftigt der Bericht zumindest eines: So richtig rund läuft es intern bei Wirecard nicht. Und viele Daten lassen sich aufgrund mangelnder Transparenz bisher nicht nachvollziehen. Und genau das sollte Anleger hellhörig machen.

Zumindest bei einigen Großinvestoren und Hedgefonds haben diese Ergebnisse bereits dazu geführt, dass sie nun lautstark den Rücktritt von Aufsichtsrat und Management fordern. Der bekannte Hedgefondsmanager Christopher Hohn etwa bekräftigte die Rücktrittsaufforderung in einem Interview : Es gebe offensichtliche Governance-Probleme bei Wirecard, die nun zu lösen seien. Der Hedgefonds spekuliert auf den weiteren Verfall der Wirecard-Aktie, die durch den Prüfbericht seit Montag einen rasanten Kursverfall von 132 auf 89 Euro erlebte. Unterdessen hat sich der Wirecard-Aufsichtsratschef Thomas Eichelmann am Mittwoch hinter Vorstandschef Markus Braun gestellt: Die Vorstandsverträge stünden erst zum Jahresende zur Erneuerung an, sagte er. Eine derzeitige Ablösung sehe er nicht als geboten. Eine Personaldebatte zur jetzigen Zeit sei auch sicherlich nicht förderlich für das Unternehmen.

Wirecard-Sonderprüfbericht wirft Fragen auf

Die großen Lücken, die der KPMG-Report aufzeigt, stimmen vor allem deshalb nachdenklich, weil Wirecard spätestens seit seinem Aufstieg in den deutschen Börsenleitindex Dax ein international präsentes Unternehmen ist. Das heißt, dass es sich verstärkt auch an globale Investoren richtet. Daher sollte es im Zweifel eher mehr Transparenz walten lassen als zu wenig und sich an bestimmte Governance-Prozesse halten. Stattdessen ist der Zahlungsprozessanbieter ausgerechnet bei der Sonderprüfung durch das genaue Gegenteil aufgefallen, obwohl er den Bericht ja selbst in Auftrag gegeben hatte: Dreimal hatte der Konzern die Fristen zu Veröffentlichung des Prüfberichts verstreichen lassen – zuletzt am Montag ohne Angabe von Gründen. Als die Ergebnisse dann am Dienstag verkündet wurden, erklärten die Wirtschaftsprüfer von KPMG, woran das lag: „Die Wirecard AG hat von KPMG im Verlauf der Untersuchung angeforderte Dokumente teilweise nicht beziehungsweise erst mehrere Monate nach Anforderung geliefert, wodurch sich die Untersuchung insgesamt verzögerte.“

Die aktivsten Mitwirkenden waren die Verantwortlichen des Unternehmens offenbar generell nicht, so stellen die Prüfer mehrfach fest: „Die Wirecard AG hat einzelne vereinbarte Interview-Termine mit wesentlichen Wirecard-internen Ansprechpartnern mehrfach verschoben, wodurch ebenfalls erhebliche Verzögerungen der Untersuchungshandlungen entstanden.“ Und viele Unterlagen seien erst sehr kurz vor Ablauf des Prüfzeitraumes vorgelegt worden, weshalb sie „nicht mehr auf ihre Authentizität geprüft werden“ konnten. Dazu kam: „Untersuchungshandlungen konnten mangels verfügbarer Dokumente beziehungsweise IT-Systemzugänge nicht beziehungsweise nicht in der ursprünglich vorgesehenen Weise durchgeführt werden.“ KPMG habe den Aufsichtsrat daher „über erhebliche Verzögerungen informiert“. Doch der konnte die Prozesse anscheinend auch wenig beschleunigen. Und das, obwohl die gesamte Untersuchung fast sechs Monate dauerte und immerhin 40 KPMG-Prüfer am Werk waren. Auf der Basis dessen, was der Bericht feststellt – und was er dennoch offenlassen muss, möge sich jeder Investor selbst sein Bild davon machen, ob er dem Konzern weiterhin sein Vertrauen ausspricht.

Was der Bericht nicht kann: Wirecards Konzernabschlüsse bestätigen. Denn dazu sagt KPMG: „Die Beschränkung unserer Tätigkeit auf einzelne Aspekte bestimmter Sachverhalte oder Geschäftsfelder hat auch zur Folge, dass die Ergebnisse unserer Untersuchung keine Würdigung der Richtigkeit der veröffentlichten Jahres- bzw. Konzernabschlüsse als Ganzes beinhalten können. Die Beurteilung der Wesentlichkeit unserer Feststellungen für diese Jahres- bzw. Konzernabschlüsse ist nicht Gegenstand unseres Auftrages.“ Die Prüfer sollten vielmehr der Frage nachgehen, ob die von den Medien erhobenen Vorwürfe richtig sein könnten. Aber dazu hätten die Prüfer viel mehr Dokumente benötigt, als sie letztlich ausgehändigt bekamen, sagen sie:

„Grundlage unserer Untersuchung und Auswertung waren die erhaltenen Unterlagen, empfangenen Dokumentationen und erteilten Auskünfte, ohne dass es uns möglich gewesen wäre, die Vollständigkeit und Echtheit der uns überlassenen Unterlagen und Dokumentationen zu überprüfen. Demzufolge können wir auch keine abschließende Aussage darüber treffen, ob diese Unterlagen und Informationen vollständig, richtig und widerspruchsfrei sind. Wir können ebenfalls nicht abschließend beurteilen, ob uns alle beurteilungsrelevanten Informationen und Nachweise zugänglich gemacht wurden. Insofern können wir auch nicht ausschließen, dass wir bei Kenntnis weiterer Informationen und Dokumente zu einem anderen Ergebnis gekommen wären.“ Soweit, so uneindeutig.

Das Grundproblem bei der Untersuchung war: Viele Originale fehlten. Häufig konnten die Prüfer nur elektronische Belege sichten, über deren Echtheit sie wenig sagen können: „Bei den KPMG vorgelegten Dokumenten handelte es sich nahezu ausschließlich um elektronische Kopien“, schreiben sie und weiter: „Zahlreiche Unterlagen liegen KPMG nur in Form einer Kopie oder als Scan vor. KPMG kann nicht beurteilen, ob diese Versionen den Originalen entsprechen. Wir haben für unsere Arbeiten unterstellt, dass die vorgelegten Kopien den Originalen entsprechen.“

Es fehlten auch Protokolle von Vorstandssitzungen, die offenbar auch gar nicht erstellt worden waren. Darüber hinaus habe es Vorstandsbeschlüsse gegeben, die zwar umgesetzt aber in der schriftlichen Liste gefasster Vorstandsbeschlüsse nicht genannt worden waren. Die hausinterne Dokumentation scheint also auch auf Vorstandsebene noch nicht voll ausgereift.

Welche Transaktionen gab es wirklich? Und existieren alle Transaktionspartner wirklich? Das waren nun die spannendsten Fragen, die der Bericht aufklären sollte. Denn hierzu hatte ja allen voran die britische Financial Times große Zweifel angemeldet. Die etwas ernüchternde Antwort des Reports darauf: Das ist bisher nicht eindeutig zu sagen. Denn dazu fehlen insbesondere die Daten, von den Transaktionspartnern selber: „Für die Übergabe von Transaktionsdaten zumindest für die Jahre 2016 und 2017 bedurfte es der Unterstützung durch die TPA-Partner, die jedoch bisher ausblieb.“ Deshalb kommt KPMG zu dem Schluss: „Hinsichtlich der Höhe und Existenz der Umsatzerlöse aus den TPA-Geschäftsbeziehungen (...) kann KPMG als Ergebnis der durchgeführten forensisch geprägten Untersuchungshandlungen in Bezug auf den Untersuchungszeitraum 2016 bis 2018 weder eine Aussage treffen, dass die Umsatzerlöse existieren und der Höhe nach korrekt sind – noch die Aussage treffen, dass die Umsatzerlöse nicht existent und in der Höhe nicht korrekt sind. Insoweit liegt ein Untersuchungshemmnis vor.“ Das beziehe sich auf die Abwicklungen zwischen der Cardsystems Middle East, der Wirecard UK & Ireland sowie der Wirecard Technologies und den jeweils relevanten TPA-Partnern.

Eine Reihe von Unterlagen seien nämlich in den vergangenen sechs Monaten „bislang nicht zur Verfügung gestellt“ worden, darunter Settlement-Nachweise für 2016 bis 2018, relevante Verträge sowie Kontoauszüge und Bankbestätigungen für Treuhandkonten. Und „die diesbezüglich bereitgestellten Nachweise (...) stellten keine für unsere forensische Untersuchung ausreichenden Nachweise dar, da sie nur die Beziehung zum TPA-Partner und nicht die gesamte Transaktionskette betrachten. Insoweit war es KPMG nicht hinreichend möglich die Existenz der Transaktionsvolumina im Untersuchungszeitraum 2016 bis 2018 forensisch nachzuvollziehen.“ Es fehlten auch die Jahresabschlüsse eines wichtigen TPA-Partners von dreien: „Wirecard hat uns bis zum Abschluss unserer Untersuchung keine Jahresabschlüsse des TPA-Partners 2 vorgelegt, obwohl ein entsprechendes Auskunftsrecht ausweislich der vertraglichen Vereinbarungen ab 2018 bestand.“

Nun stellen die Wirtschaftsprüfer zwar auch fest, dass für Dezember 2019 umfangreiche Abwicklungsdaten vorlägen, wegen einer neu eingerichteten technischen Datenplattform, und in diesem Zeitraum bestünden keine wesentlichen Zweifel an den Daten: „Nach dem aktuellen Zwischenstand der Datenanalysen hat KPMG in diesem Teilbereich bisher keine Anhaltspunkte, dass die in den Abrechnungen für den Monat Dezember 2019 ausgewiesenen Transaktionsvolumina in wesentlichen Belangen von den durch KPMG auf Basis des KPMG zur Verfügung gestellten Datenbestandes ermittelten Transaktionsvolumina abweichen.“ Abschließend beurteilen könne man das jedoch noch nicht, KPMG werde daher „keine Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit der Umsatzerlöse des gesamten Jahres 2019 ziehen.“

Die Existenz der 34 fragwürdigen Kundebeziehungen: Medienartikel hatten ebenfalls bezweifelt, dass es einige der angegebenen Geschäftspartner von Wirecard wirklich gibt. Denn sie tauchten lediglich mit Aliasnamen in unternehmenseigenen Buchungen auf, was ungewöhnlich sei. Dazu stellte KPMG fest: „Da uns die hinter den 34 in der Presse zitierten angeblichen Kunden (Alias-Namen) stehenden tatsächlichen Kundennamen nicht vorgelegt werden konnten, konnte die Existenz dieser Kundenbeziehungen für den Untersuchungszeitraum 2016 bis 2018 durch KPMG nicht verifiziert werden.“ Allerdings hätten die Wirtschaftsprüfer daraufhin in den Abrechnungen eines TPA-Partners von 2019 selbst weiter recherchiert und hätten dadurch zumindest einige Namen von Unternehmen herausgefunden: „Im Verlauf der Untersuchung wurden uns jedoch Listen der (...) verwendeten (Kurz-)Bezeichnungen mit diesen zugeordneten tatsächlichen Unternehmen zur Verfügung gestellt. Unsere Recherchen zu (...) 33 Unternehmen führten für 2019 zu dem Ergebnis, dass 32 der insgesamt 33 angegebenen Unternehmen in den Unternehmensregistern der entsprechenden Länder recherchiert werden konnten.“ Sie sind also zumindest in ausländischen Firmenregistern eingetragen.

Die Sache mit den Treuhändern: Probleme gab es insbesondere auch bei den Treuhandkonten, auf die viele Drittpartner und Unterhändler die Provisionen einzahlten, die in Wirecards Bilanzen verbucht sind, gab es Schwierigkeiten bei der Verifizierung. Hier konnten viele Zahlungen nicht überprüft werden, weil keine belegbaren Bankbestätigungen und Kontoauszüge vorgelegen hätten, heißt es weiter. Vor allem machte „Treuhänder 1“ den Prüfern das Leben schwer: Er habe inzwischen das Vertragsverhältnis mit Wirecard beendet und reagiere nicht mehr auf Wirecards Anfragen. „Insoweit konnte auch nicht hinreichend belegt werden, dass die Einzahlungen im Untersuchungszeitraum tatsächlich durch die TPA-Partner erfolgt sind.“ Es geht dabei immerhin um rund 1 Mrd. Euro an Umsatzerlösen.

Interessant sind auch die Passagen, in denen KMPG Aussagen darüber trifft, als wie zuverlässig die betreffenden Treuhänder – insbesondere der abgetauchte Treuhänder 1 - eingeschätzt werden können: „Nachweise (...) zur Zuverlässigkeit von Treuhänder 1 als Treuhänder wurden uns nicht vorgelegt.“ Auch der neue Treuhänder 2, der an seine Stelle trat, sollte eine Zuverlässigkeitsprüfung vorlegen. Es ist eine Anwaltskanzlei, doch auch sie habe die Zuverlässigkeitsbescheinigung nicht vorgelegt. Und man darf schon fragen, warum sie es innerhalb von sechs Monaten nicht tat.

Fragezeichen rund um Treuhänder

Ferner stellt KPMG fest: Der Vorstandbeschluss von Wirecard, den neuen Treuhänder 2 einzusetzen, datiere zwar vom 20. Februar 2020. Aber: „Das Treuhandverhältnis wurde allerdings bereits im November 2019 übertragen.“ Und das habe die Wirecard AG offenbar getan, ohne andere Treuhänder-Alternativen in Betracht zu ziehen: „Aus dem Beschlussprotokoll ist nicht ersichtlich, dass Alternativen zu der Beauftragung von Treuhänder 2 erwogen und die Zuverlässigkeit von Treuhänder 2 im Vorfeld der Entscheidung geprüft worden sind.“

Einmal unabhängig davon, was die Gründe für all diese Dinge sind, so lasse sich daraus zumindest schließen, dass Wirecard größere Lücken bei internen Abläufen offenbare, so die Prüfer: „Vor diesem Hintergrund sind die eingerichteten internen Kontrollen aus Sicht von KPMG nicht vollumfänglich ausreichend, um die Höhe und Existenz der Umsatzerlöse im Untersuchungszeitraum vollumfänglich sicherzustellen. Dementsprechend konnten wir die Höhe und Existenz der Umsatzerlöse, insbesondere für Zwecke unserer unter forensischen Aspekten durchgeführten Sonderuntersuchung nicht hinreichend aus Kontrolldokumentationen ableiten.“

Die ungeklärte Frage der Erlöse: Gehe man davon aus, dass alle vorgelegten und nicht verifizierbaren Dokumente dennoch ihre Richtigkeit hätten, dann scheint zumindest knapp die Hälfte der Umsätze gesichert: „Für ca. 40 Prozent der Umsatzerlöse der TPA-Partner im Untersuchungszeitraum war uns in Bezug auf die einzelnen Abrechnungen eine Überprüfung der Vertragskonformität nahezu vollständig möglich“, heißt es im Bericht und weiter: „Für weitere zirka 35 Prozent war eine Überprüfung der Vertragskonformität – aufgrund der nicht für alle Account-Name-Bezeichnungen eindeutig zuzuordnenden Konditionen – nur teilweise möglich.“

Für weitere zirka 12 Prozent der Erlöse konnte KPMG „lediglich eine Plausibilisierung der Umsatzerlöse und Materialaufwendungen vornehmen“. Der Erwartungswert der Wirtschaftsprüfer weiche dabei von gebuchten Umsatzerlösen und Materialaufwendungen um zirka 6 bis 10 Prozent ab. Und „für die verbleibenden 13 Prozent der Umsatzerlöse konnte KPMG aufgrund der oben genannten Einschränkungen keine Überprüfung im Hinblick auf die Vertragskonformität im Untersuchungszeitraum durchführen.“ Denn die „angeforderten Verträge und Konditionsvereinbarungen wurden KPMG teilweise nicht oder nur mit Verzögerungen von teilweise mehreren Monaten vorgelegt. Auf den KPMG im Rahmen der Untersuchung vorgelegten Vertragskopien fehlten teilweise Unterschriften der Vertragspartner. Die KPMG vorliegenden Vertragskopien enthalten Vereinbarungen, die zum Teil nicht eingehalten wurden beziehungsweise vertraglich vereinbarte Rechte, die nicht nachweislich eingefordert wurden.“

Die Liste der Lücken ist lang - auch bei „buchungsrelevanten Unterlagen“, im externen Rechnungswesen und im Vertragsarchiv und Vertragsmanagement, das nicht angemessen sei. Insgesamt halte KPMG wegen der Bilanzierungsvorgaben und Kontrollmaßnahmen das Erarbeiten eines umfassenderen, „auch in formaler Hinsicht vollständigen und konsistenten Vertragswerks (zu jedem Zeitpunkt) für zwingend erforderlich“. Bisher jedenfalls, sagen die Prüfer „konnten wir die Angemessenheit der von Wirecard gewählten ‚Brutto-Bilanzierung‘ der mit den TPA-Partnern erzielten Umsatzerlöse mangels ausreichender Nachweise unter anderem zu den jeweiligen Vertragsbeziehungen nicht vollständig nachvollziehen.“

In einigen Punkten kommt KPMG sogar zu dem Urteil, dass Argumente gegen die erfolgte Bilanzierung sprechen, wie sie Wirecard vornimmt. Bei den Treuhandkonten nämlich. Es geht darum, ob es sich bei dem Geld auf den Konten um finanzielle Vermögenswerte handelt (wie KPMG meint) oder um Zahlungsmittel (wie Wirecard meint). Die Auslegung ist offenbar umstritten.

Auch im Hinblick auf das Singapur-Geschäft, das bereits von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY unter die Lupe genommen worden war, deckte KMPG Schwächen auf. Hier habe es zu hoch ausgewiesene Umsätze und Kreislaufbuchungen gegeben, lautete der ursprüngliche Vorwurf. „Bei den von KPMG untersuchten Sachverhalten ist eine Häufung von Software-Verträgen ohne wirtschaftliche Substanz erkennbar, die nicht oder nicht korrekt in der Buchhaltung der jeweiligen Gesellschaft erfasst wurden“, sagt der Bericht dazu, „die von KPMG in Bezug auf diese Transaktionen erlangten Kenntnisse entsprechen den bereits von EY Audit und den Rechtsanwaltskanzleien gewonnenen Erkenntnissen. Die Vorwürfe sind in Singapur noch Gegenstand einer behördlichen Untersuchung.“

Mangelnde Kontrolle

Ein übliches internes Kontrollsystem war demnach bei diesen Vorgängen nicht eingerichtet. Es habe Schwächen in den Bereichen Forderungsmanagement und Mahnwesen gegeben, beim Vertragsmanagement und bei der Vertragskontrolle, sowie in der Berichterstattung. Genau dasselbe habe EY ebenfalls im Rahmen der Jahresabschlussprüfung 2018 angemerkt. KPMG sagt es nun so: „Der Hintergrund sowie die Motivation, warum Buchungen getätigt wurden, die die Umsatzerlöse erhöhten, obwohl nachweislich keine wirtschaftliche Substanz bestand, konnten durch die Rechtsanwaltskanzleien und in den „extended audit procedures“ dokumentierten Prüfungshandlungen nicht aufgeklärt werden. Die Begründung für die Buchung dieser Transaktionen ließ sich auch durch KPMG nicht ermitteln.“

Wenn man all das zusammenfasst, dann ergibt sich zumindest ein Fazit: Es gibt noch viele, ja sogar sehr viele Fragen im Fall Wirecard. Denn selbst die Forensiker haben nach sechs Monaten akribischer Suche noch längst nicht alle Antworten gefunden und überdies viele Lücken in den Kontrollsystemen entdeckt. Daher wäre eine dringende Forderung an den Vorstand, für mehr Klarheit zu sorgen – auch im Eigeninteresse. Denn dass viele Aktionäre dem Dax-Unternehmen noch die Treue halten, das zeugt zwar von einem Rest an Vertrauen. Und Vertrauen ist bekanntlich gut. Doch mehr Kontrolle wäre in diesem Falle deutlich besser.

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