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Interview „Der Klimawandel erlaubt keine Fehlinvestitionen mehr“

Auf der griechischen Insel Euböa wüten seit Tagen Waldbrände
Auf der griechischen Insel Euböa wüten seit Tagen Waldbrände
© ANE Edition / IMAGO
Der jüngste Bericht des Weltklimarates verdeutlicht die ganze Dramatik des Klimawandels. Im Interview erläutert die IfW-Ökonomin Sonja Peterson, wie es gelingen kann, die CO2-Emissionen zu senken

Sonja Peterson ist Wirtschaftsmathematikerin und Volkswirtin. Seit 2002 arbeitet sie am Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Zwischen 2006 und 2010 leitete sie dort den Forschungsbereich Umwelt und Natürliche Ressourcen. Inzwischen ist sie für Forschungsmanagement und Transfer zuständig.

Capital: Frau Peterson, war die Nachricht des IPCC für Sie eine Überraschung?

Sonja Peterson
Sonja Peterson
© Michael Stefan

SONJA PERTERSON: Lassen Sie es mich so sagen: Die großen Linien waren keine Überraschung. Es ist ja seit langem bekannt, dass der Klimawandel menschengemacht ist und dass wir jetzt anfangen, die konkreten Auswirkungen zu sehen. Das war alles bekannt, aber es gibt in der Botschaft des IPCC dann doch ein paar Details, die ich überraschend fand.

Welche sind das?

Ich spreche ja aus einer politökonomischen Perspektive. Ich schaue mir an, welche Politiken sinnvoll sind, um den Klimawandel zu begrenzen. Für mich waren vor allem zwei Sachen nochmal sehr interessant. Zum einen hat der IPCC neue Erkenntnisse vorgestellt, wie viele Emissionen wir nun eigentlich noch ausstoßen dürfen, um die Ziele des Pariser Abkommens noch zu erreichen. Das ist doch noch ein bisschen mehr als die letzten Schätzungen. Das zweite war, dass der Bericht zwar sagt, dass es schwer werden wird, die gesetzten Ziele noch zu erreichen – aber dass sich alle Anstrengungen trotzdem lohnen. In dem Bericht heißt es ja, dass jedes vermiedene Zehntelgrad hilft.

Was nehmen Sie aus diesen beiden Details des Berichts mit?

Aus der Tatsache, dass wir vielleicht doch noch ein bisschen mehr von unserem Emissions-Budget übrig haben, sollten wir natürlich nicht den Schluss ziehen, dass wir jetzt so weitermachen sollten, wie wir das gerade tun. Aber es zeigt mir, dass die oft heißen Debatten um verbleibende Ausstoßmengen für ein einzelnes Land wie Deutschland vielleicht nicht ganz zielführend sind. Ich fand diese Diskussionen auch schon vor dem IPCC-Bericht problematisch. Er hat mich jetzt noch einmal darin bestätigt.

Warum?

Weil es davon ablenkt, wie die Emissionen so schnell und so effektiv wie möglich gesenkt werden können.

Was ist die zweite Botschaft, die Sie mitnehmen?

Sie leitet sich daraus ab, dass jedes Zehntelgrad hilft, den Klimawandel einzudämmen und wichtig ist. Wenn wir kleinteiliger denken, verlieren wir vielleicht nicht so schnell die Hoffnung. Wir kommen im Moment schnell in den Modus, dass wir das Gefühl haben, dass alle Anstrengungen ohnehin nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sind.

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In all den Hiobsbotschaften sind also doch auch halbwegs gute Nachrichten versteckt?

Ja und nein. Insgesamt sind das natürlich Hiobsbotschaften und der Bericht des IPCC macht das Ausmaß den Klimawandels und dessen Dramatik noch einmal bewusst. Wir sehen die Folgen alle, die Meldungen in den Nachrichten reißen ja nicht ab. Ob das das Hochwasser in Deutschland ist oder die Brände im Mittelmeerraum. Und wir wissen, dass dies keine einmaligen Ereignisse sein werden, sondern dass sich das noch verstärken wird. Der Bericht ist nochmal ein Weckruf – die beiden von mir genannten Punkte sind für unsere Arbeit trotzdem sehr wichtig, da wir uns anhand derer überlegen können, wie wir die Emissionsreduktion letztlich erreichen können.

Wie denn?

Immer mehr Länder haben es sich zum Ziel gemacht, bis zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu sein. Das ist ein Ziel, das wir sehr, sehr ernst nehmen sollten. Und die Forschung zeigt uns, dass es sinnvoll ist, jetzt mehr zu machen und nicht alles auf die spätere Zukunft zu schieben. Wenn wir über Klimawandel und Klimaschutz sprechen, reden wir von sehr langen Investitions-Zyklen, es gibt sehr viele langlebige Güter, Kraftwerke haben eine Lebensdauer von 30, 40 Jahren – das zeigt uns, dass wir jetzt keine Fehlinvestitionen mehr machen sollten. Aber es zeigt uns auch, dass es vielleicht nicht so wichtig ist, ob Deutschland im Jahr 2030 zwei oder drei Prozent mehr oder weniger emittiert. Wichtig ist doch, dass wir bis 2050 komplett klimaneutral sind – und das bis dahin der Weg stimmt.

Was sind Ihrer Meinung nach konkrete Wege, die wir beschreiten müssen?

Es ist schon so, dass wir global ein konkretes CO2-Budget zur Verfügung haben. Die aktuelle Schätzung ist der beste Orientierungspunkt, den wir bisher haben. Daran sollten wir uns global orientieren und uns überlegen, welchen fairen Anteil daran Deutschland oder Europa haben.

Was ist denn ein fairer Anteil?

Das Problem dabei ist, dass sich die Verteilung dieses Budgets nicht nach rein wissenschaftlichen Methoden klären lässt. Das muss die Politik regeln. Aber ich würde mich in dieser Diskussion auch nicht versteifen. Wichtig ist, dass wir eine konkrete Emissionsmenge benennen, die wir noch verbrauchen dürfen. Und dann müssen wir Jahr für Jahr die Mengen an Treibhausgasemissionen senken, die wir ausstoßen. Ich halte ein Emissionshandelssystem wo immer möglich für einen sehr guten Ansatz. Denn so gewährleisten wir, dass die Ziele erreicht werden und dass gleichzeitig marktwirtschaftliche Mechanismen wirken. Über Preissignale können wir es schaffen, dass Emissionen dort vermieden werden, wo es am sinnvollsten und günstigsten ist und dass durch die Preise Innovationsanreize entstehen. Daran können sich Bürger*innen und Unternehmen orientieren.

Der Markt regelt das also?

Der Markt alleine wird es nicht regeln. Dafür ist das Problem an vielen Stellen zu komplex. Die EU hat bereits ein Emissionshandelssystem implementiert und wird es an einigen Stellen auch noch erweitern. Immer da, wo Kohle, Gas und Öl verbrannt wird ist ein Emissionshandel relativ einfach. Man kann deren Verbrauch messen und in CO2-Äquivalente umrechnen. Wenn wir uns aber etwa die Landnutzung ansehen, müssen wir feststellen, dass das schon viel komplexer ist. In dem Bereich ist eine Bepreisung schwerer. Insgesamt braucht es eben doch verschiedene Begleitinstrumente, damit wir auch die Innovationen, die wir brauchen, erreichen. Trotzdem denke ich, dass eine CO2-Bepreisung ein sehr wichtiges Instrument ist. Aus einem ganz konkreten Grund.

Welcher ist das?

Weil dies Vermeidung zu möglichst geringen Kosten erlaubt und wir sonst an sehr vielen einzelnen Stellschrauben drehen müssten. Und so lassen wir viele Freiheiten, wie Unternehmen und Bürger*innen die festgesetzten Ziele erreichen können.

Das heißt, Unternehmen müssen sich umstellen. Wieso sollten sie mitmachen?

Weil sie sonst keine Zukunft haben in einer klimaneutralen Welt, weil die Politik diesen Rahmen vorgibt. Es ist für die Unternehmen sehr wichtig, dass die Politik eine klare Richtung vorgibt. Wir sehen das in der Elektromobilität. Da gab es lange kaum klare Vorgaben und das hat suggeriert, dass es weitergeht wie bisher. Das darf nicht passieren.

Wenn wir in Deutschland Regeln einführen, weichen Unternehmen doch einfach ins Ausland aus, wo diese nicht existieren, würden Kritiker jetzt sagen.

Ja, das stimmt und das ist ein Problem. In einer Wunschwelt würde es überall dieselben Regeln im Umgang mit dem Klimawandel geben, dann würde diese Ungleichheit verschwinden. Wir erkennen da auch einen positiven Trend. Aber so weit sind wir noch nicht. Bis dahin können Instrumente wie ein Grenzausgleich das Problem zumindest reduzieren.

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