Die überraschend schlechten Zahlen des letzten Quartals ? Die unselige Debatte über die Nachfolgefrage im Vorstand ? Die Abspaltung der Kraftwerkssparte? Es gibt viele Fragen, auf die man als Aktionär der Siemens AG gern ein paar Antworten hätte. Auf der Hauptversammlung des Konzerns in der Münchner Olympiahalle aber spielten diese Themen nur eine Nebenrolle. Über weite Strecken glich die Versammlung unter dem berühmten Zeltdach eher einem Klimaforum, auf der man sich mit sorgenvoller Miene über die richtige Strategie gegen die Erwärmung der Erde austauschte.
Und das lag gar nicht so sehr an den Demonstranten, die auf dem Olympiagelände eher verloren wirkten. Auch nicht an den jungen Damen, die extra aus Australien angereist waren, um auf der Hauptversammlung einen flammenden Protest gegen die Lieferung einer Siemens-Signalanlage für eine Kohleprojekt vorzutragen. Nein, den Ton gaben bereits Aufsichtsratschef Jim Hagemann Snabe und Vorstandschef Joe Kaeser in ihren Eröffnungsreden vor. Und auch die nachfolgenden Redner ließen vom Thema Klimaschutz nicht ab und unterschieden sich nur dadurch, ob sie Joe Kaesers Flirt mit der Ökoaktivistin Luisa Neubauer nun im Prinzip lobten oder doch eher verdammten. Aber reden wollten über die Causa alle.
Joe Kaeser - der Unternehmer-Philosoph
Daraus kann man nur zwei Schlüsse ziehen: Erstens ist die Debatte über den richtigen Weg zur dringend notwendigen Reduzierung der Kohlendioxidemissionen mitten in den deutschen Konzernen angekommen. Das ist sicherlich positiv, auch wenn man die Frage stellen darf, ob ein Treffen von Aktionären wirklich der geeignete Ort dafür ist. Und zweitens gibt es bei Siemens zurzeit wenig Bereitschaft, sich den heiklen betriebswirtschaftlichen Fragen zu stellen. Joe Kaeser gefiel sich am Mittwoch in der Rolle des Unternehmer-Philosophen und Global-Politikers, der lieber über die Zukunftsthemen der Menschheit redet als über die schnöden Fragen des Geschäfts.
Für die Kleinaktionäre, die sich mehr Einblick in die Strategie des Konzerns in den nächsten Monaten und vielleicht sogar Jahren erhofft hatten, waren die vielen Stunden in der Olympiahalle ein erkenntnistheoretischer Totalausfall. Von allen Hauptversammlungen dieser Dax-30-Saison war das Siemens-Treffen in dieser Hinsicht mit großem Abstand das langweiligste.
Kann man wenigstens davon ausgehen, dass Siemens nun in Sachen Klimaschutz den Vorreiter in der deutschen Industrie macht? Nein, das wäre übertrieben. Zwar will die Siemens AG in einigen Jahren insgesamt klimaneutral arbeiten – aber das dürfte auch nicht schwer sein. Gehört die Kraftwerkssparte ab Herbst offiziell nicht mehr zur Konzernmutter, fällt ein großer Teil des „schmutzigen“ Geschäfts nicht mehr in den Verantwortungsbereich des jetzigen Vorstands. Bisher macht der Konzern noch 20 Mrd. Euro Umsatz mit Technologien für fossile Brennstoffe, fast ein Viertel des gesamten Geschäfts. Wenigstens diese Zahl verriet Joe Kaeser am Mittwoch – man konnte sie sich aber auch schon vorher ausrechnen.