Bill Anderson wagte sich in dieser Saison stilistisch weit vor. Der Vorstandschef der Bayer AG trug beim diesjährigen Aktionärstreffen unter dem dunklen Sakko einen hellgrauen Pulli mit changierenden Dreiecken. Auch sonst fehlte es auf der virtuellen Hauptversammlung nicht an Showeinlagen. Aufsichtsratschef Norbert Winkeljohann ließ sich von Kameras umkreisen wie in einem Videoclip. Die wilden Farbflächen und gut zwei Dutzend Lichtspots erinnerten an einen Dance Club.
Bayer steht mit solchen Inszenierungen nicht alleine da. Kaum etwas hat sich im Jahreskanon der börsennotierten Konzerne so verändert wie die Hauptversammlung. Ob BASF, Mercedes, Deutsche Bank oder Eon – ein Großteil der Dax-40-Vertreter nutzt seit einer Gesetzesänderung, die 2022 im Zuge von Covid eingeführt wurde, die Möglichkeit eines Onlineevents. Zwar können die Aktionäre weiter Fragen einreichen – aber die Spannung ist weg.
Früher waren Hauptversammlungen die einzige Möglichkeit, um die Götter im blauen Anzug mit den Folgen ihrer Managemententscheidungen zu konfrontieren – unmittelbar, hart, manchmal auch unfair. Viele Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder hassten die oft stundenlangen Veranstaltungen und waren wohl froh, die virtuelle Bühne weiter nutzen zu können, als Covid schon lange kein Argument mehr war.
Hautversammlungen werden zur Show
The medium is the message – der Satz des kanadischen Philosophen und Begründers der modernen Medientheorie, Marshall McLuhan, bewahrheitet sich hier einmal mehr: Das Onlineformat verändert die Botschaft der Konzerne. Zwar erfüllen sie die Auflagen des Aktiengesetzes. Aber die Kontrolle der Gremien durch die Aktionäre rückt in den Hintergrund. Telekom-Chef Timotheus Höttges verwandelte seine Rede auf der letzten Hauptversammlung in eine Art Technologierevue und Zeitreise zum 30. Geburtstag des Konzerns. Alles sehr kurzweilig, aber nur bedingt nützlich für ein Urteil über die Managementleistung des Vorstands.
Wohin die Reise in Deutschland gehen könnte, sieht man in den USA. Dort sind viele Aktionärstreffen zur reinen Show verkommen. Elon Musk tanzt bei Tesla über die Bühne wie unter Drogen und verbreitet das, was ihm gerade so spontan einfällt. Das Shareholder-Meeting von Apple gleicht einer Verkaufsveranstaltung für die neusten Gadgets. Allerdings war das Interesse amerikanischer Aktionäre an solchen Treffen schon immer recht gering – anders als in Deutschland, wo Tausende zu den Veranstaltungen pilgerten. Und das sicherlich nicht nur wegen der kostenlosen Bockwurst am Mittag.
Vom hohen Ross herab klagen Vertreter der deutschen Wirtschaft immer mal wieder über die nur schwach ausgeprägte „Aktienkultur“ in Deutschland. Dabei tragen die Konzerne selbst eine gehörige Schuld an der Misere. Auf der einen Seite Showveranstaltungen ohne großen Informationswert. Auf der anderen Seite aufgeblähte Geschäftsberichte, die kein Laie verstehen kann: Allein der Bayer-Bericht über die Vergütung der Vorstände und Aufsichtsräte umfasst 42 Seiten. Die Unternehmen machen es den Kleinaktionären so schwer wie noch nie.