Um 12,2 Prozent ist die irische Wirtschaft im vergangenen Jahr gewachsen. Damit hat sie alleine dafür gesorgt, dass die Eurozone nicht stagnierte. Das Wachstum der Iren ist in vielerlei Hinsicht besonders – vor allem aber wird es von den Aktivitäten der großen Technologie- und Pharmakonzerne getrieben, die in Irland extrem günstige Steuerbedingungen vorfinden. Deshalb bezeichnen immer mehr Ökonomen das Wachstum nun als „künstlich“.
Der Gouverneur der irischen Zentralbank hat das weltweit überragende Wirtschaftswachstum des Landes jetzt gegen diesen Vorwurf verteidigt. Gabriel Makhlouf betonte gegenüber der Financial Times, dass ein Großteil der irischen Wirtschaftsleistung aus „echten Fabriken mit echten Menschen“ stamme, auch wenn ein bedeutender Teil der Wirtschaftstätigkeit von großen Technologie- und Pharmakonzernen ausgehe.
„Zu viele Leute denken oder ziehen vorschnell den Schluss, dass es hier nur um geistiges Eigentum geht, das sich irgendwie künstlich bewegt und nicht real ist. Das ist aber falsch“, sagte Makhlouf. „Diese Produkte, besonders in der Pharmazie, werden in Irland hergestellt. Es gibt Menschen in Irland. Ein bemerkenswerter Anteil der zehn wichtigsten Medikamente der Welt wird in Irland hergestellt“, sagte er. „Einer der ältesten multinationalen Konzerne in Irland ist Intel, und auch dort werden echte Produkte hergestellt.“
Krugmann spricht von „Koboldökonomie“
Die Debatte über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Irlands ist nicht neu – flammte aber erst vor kurzem wieder auf, nachdem das irische BIP im letzten Quartal um 3,5 Prozent gewachsen ist und die Eurozonen-Wirtschaft damit vor einer Stagnation rettete.
Kritiker behaupten, dass das irische BIP durch die Buchhaltungsmanöver großer multinationaler US-Konzerne verzerrt wird, die von den niedrigen irischen Steuersätzen profitieren. Als Apple 2015 sein geistiges Eigentum nach Irland verlagerte, trug dies dazu bei, dass das irische BIP um 25 Prozent anstieg, was der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman daraufhin als „Koboldökonomie“ bezeichnete.
Nachdem das irische Zentralamt für Statistik im vergangenen Monat seine Wachstumsschätzung für 2022 in Höhe von 12,2 Prozent veröffentlicht hatte – die höchste im OECD-Raum –, schrieb die Irish Times, dass die Wirtschaftsdaten des Landes „mit einer Gesundheitswarnung versehen werden sollten“, da sie „als Leitfaden für die Entwicklung der Wirtschaft bedeutungslos“ seien.
12,5 Prozent Körperschaftssteuer
Viele große US-Unternehmen – darunter Google, Apple, Meta, Intel und Pfizer – haben ihre Europa-Zentralen in Irland, das einen extrem niedrigen Körperschaftssteuersatz von 12,5 Prozent hat. Das Land ist auch ein weltweites Drehkreuz für Flugzeugleasing. Dies trug zu dem starken Aufschwung der irische Wirtschaft bei, deren Boom durch die Finanzkrise 2008 ein jähes Ende gefunden hatte.
Schon vor dem Wachstum des letzten Jahres hat sich das irische BIP seit 2014 mehr als verdoppelt, wie die EU-Statistikbehörde Eurostat berichtete. Damit übertrifft Irland das Wachstum der gesamten EU-Wirtschaft von 23 Prozent im selben Zeitraum um ein Vielfaches.
Die irische Zentralbank verwendet andere Wachstumsparameter, um die Auswirkungen multinationaler Unternehmen auf das BIP herauszurechnen und ein besseres Bild der Binnennachfrage zu erhalten. Eine davon ist eine Version des Bruttonationaleinkommens, bekannt als „BNE-Star“, von dem die Zentralbank erwartet, dass es ein viel langsameres Wachstum von 5,9 Prozent im Jahr 2022 zeigt.
Makhlouf sagte, dass die Exporte der multinationalen Unternehmen in Irland „gestiegen sind und eine wichtige Triebkraft“ für das Wachstum des Landes darstellten. „Sie verzerren unsere Statistiken, weil ein Großteil der Gewinne an die Muttergesellschaft zurückfließt – sie bleiben nicht in Irland – wir verwenden das BIP nicht.“
Die Aussichten für das irische Wachstum haben sich laut Makhlouf in letzter Zeit aufgrund der hohen Inflation, der steigenden Zinssätze und der Verlangsamung des globalen Wachstums verschlechtert. Ein weiterer Schlag könnte von einer Welle von Stellenstreichungen kommen, die kürzlich von mehreren großen Technologiekonzernen angekündigt wurden. Davon dürften auch ihre irischen Niederlassungen betroffen sein.
BIP wird durch Zahlungsströme verzerrt
Im vergangenen Jahr zeigten die irischen Daten zur Industrieproduktion ungewöhnliche Schwankungen, die von einem Monat zum anderen um mehr als zehn Prozent stiegen oder fielen. Das Statistikamt sah sich dazu veranlasst, die Berechnung der Saisonbereinigung zu überprüfen.
Die irische Zentralbank erklärte, ein Teil dieser Volatilität sei auf die „Verlagerung von Bilanzen nach Irland“ durch große multinationale Unternehmen sowie auf die „Volatilität der Produktion“ dieser Konzerne in Sektoren wie der Chemie- und Pharmaindustrie zurückzuführen.
„Das BIP war insbesondere seit 2015 ein durchweg unzuverlässiger Indikator für die zugrunde liegende Leistung der irischen Wirtschaft“, sagte Dermot O'Leary, Chefökonom des Maklerunternehmens Goodbody. Er sagte, dass die Aktivitäten multinationaler Unternehmen, einschließlich der "Verlagerung von geistigem Eigentum, Handelsgeschäften und Auftragsfertigung" dazu beigetragen hätten, "das irische BIP zu verzerren, vor allem auf kurze Sicht".
Aber er fügte hinzu: „Die Aktivitäten der multinationalen Unternehmen sind real und hatten in den letzten Jahren einen sichtbaren Einfluss auf den Aufschwung der irischen Wirtschaft.“ Die Beschäftigung durch ausländische Direktinvestitionen sei in den letzten fünf Jahren in Irland um durchschnittlich acht Prozent gestiegen. „Es handelt sich dabei um hoch bezahlte Arbeitsplätze, die zu einem außerordentlichen Anstieg der Steuereinnahmen beigetragen haben, zusätzlich zu dem Boom bei den Körperschaftssteuereinnahmen“, sagte O'Leary.
Die irische Arbeitslosenquote hat sich in den letzten sieben Jahren mehr als halbiert und lag im Januar bei 4,4 Prozent. Die Körperschaftssteuereinnahmen des Landes stiegen im vergangenen Jahr um 48 Prozent auf ein Allzeithoch von 22,6 Mrd. Euro. Die irischen Exporte stiegen im vergangenen Jahr um 25 Prozent und erreichten einen Rekordwert von 208 Mrd. Euro.
©The Financial Times Ltd. 2023