Er war einer der wichtigsten Edelmetallhändler der Welt – und manipulierte mit seinem Team die Preise. Nun wurde Michael Nowak von einem Gericht schuldig gesprochen
Es ist Dezember 2018, als ein Mann Anfang 30 bei der Ankunft am Flughafen Fort Lauderdale abgefangen und in einen Raum gebracht wird. Dort warten zwei FBI-Agenten auf ihn. Die Zielperson, augenscheinlich verängstigt, ist in höchster Alarmbereitschaft – einer seiner Partner hat kürzlich Verbrechen zugegeben, von denen er weiß, dass auch er sie begangen hat.
Christian Trunz ist weder ein Terrorist noch ein Drogenhändler, sondern ein Edelmetallhändler, der sich gerade auf der Rückreise von seiner Hochzeitsreise befindet. Vor allem: Truntz hat über Jahre für JPMorgan Chase gearbeitet, der größten Bank für den Handel mit Edelmetallen.
Für das FBI und die US-Strafverfolger ist der Hinterhalt am Flughafen ein entscheidender Schritt gegen JPMorgans Handelsabteilung für Edelmetalle. Vergangene Woche mündete das Verfahren in der Verurteilung von Michael Nowak, dem ehemals globalen Chef der Abteilung. Er, der einst die mächtigste Figur auf dem Goldmarkt war, wurde in 13 Punkten schuldig gesprochen.
Jahrelange Manipulation
Der Fall, der von Edelmetallhändlern auf der ganzen Welt mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen verfolgt wird, hat ein Schlaglicht darauf geworfen, wie die Händler von JPMorgan – darunter Nowak und der langjährige leitende Goldhändler der Bank, Gregg Smith – über Jahre hinweg die Märkte manipuliert haben sollen. Sie erteilten Scheinaufträge, um andere Marktteilnehmer in die Irre zu führen. Dabei hatten sie es vor allem auf algorithmische Händler abgesehen, die sich durch ihre Hochgeschwindigkeitsaktivitäten bestens für die schwindlerischen Geschäfte eigneten.
Nowak ist einer der ranghöchsten Banker, der seit der Finanzkrise in den USA verurteilt wurde. Ihm droht eine jahrzehntelange Haftstrafe, die aber auch deutlich geringer ausfallen könnte. Seine Anwälte behaupten nämlich, Nowak sei kein „kriminelles Superhirn“ gewesen. Entsprechend würden sie „weiterhin seine Rechte vor Gericht verteidigen“. Ein Anwalt von Smith sagte während der Schlussplädoyers im vergangenen Monat, dass die Aufträge seines Mandanten rechtmäßig waren und es andere Erklärungen für den gleichzeitigen Kauf und Verkauf von Terminverträgen im Namen von Kunden gegeben habe.
Es dauerte drei Wochen, bis die Staatsanwaltschaft die Geschworenen des Gerichts von der Schuld von Nowak und Smith überzeugen konnte. Jeffrey Ruffo, ein Sales-Mitarbeiter, der zusammen mit den beiden angeklagt war, wurde hingegen freigesprochen.
Gerüchte über Manipulationen hingen dem Trading Desk von JPMorgan schon mindestens ein Jahrzehnt an – lange bevor das FBI 2018 Christian Trunz am Flughafen abpasste.
„Die Räder der Justiz drehen sich langsam“
Alex Gerko, der Leiter einer Algo-Trading-Firma, beschwerte sich bereits 2012 bei der CME Group über Smiths Aktivitäten auf dem Goldmarkt. Die CME Group ist Eigentümerin der Terminbörsen, an denen den Staatsanwälten zufolge Tausende von Manipulationsgeschäften stattfanden. Smith und Nowak arbeiteten jedoch bis 2019 weiter bei der Bank, als die Anklage gegen sie enthüllt wurde. „Die Räder der Justiz drehen sich langsam", twitterte Gerko vergangenen Monat.
Schließlich entschloss sich das US-Justizministerium zur Jagd auf Händler, die gefälschte Angebote zum Kauf und Verkauf von Rohstoffen machten, die sie in Wahrheit nie ausführen wollten. Die für Betrugsdelikte zuständige Abteilung beauftragte Big-Data-Experten, die Milliarden von Dokumenten durchforsten sollten, um Muster von Marktmanipulatoren zu erkennen. Dabei fielen bestimmte Händler auf. Und die arbeiteten alle bei JPMorgan.
Nowaks Verhaftung sorgte für einen Schock
Mit den Daten in der Hand machten sich die Ermittler auf die Suche nach Beteiligten, die kooperieren würden – bei Trunz und seinem ehemaligen Kollegen Edmonds wurden sie fündig. Die beiden noch relativ jungen Händler bekannten sich für schuldig und erklärten sich bereit, gegen ihren Chef auszusagen. Nowak wurde schließlich im September 2019 verhaftet, was einen Schock in der Edelmetallbranche auslöste. Wegen der Pandemie sollte es aber noch weitere drei Jahre dauern, bis der Prozess endlich stattfand.
In seiner Aussage beschrieb Edmonds die Manipulation vom Schreibtisch aus als alltägliches Phänomen. Er habe sich verpflichtet gefühlt, daran teilzunehmen, es sei nunmal Teil der normalen Strategie gewesen.
Das Vorgehen des Justizministeriums gegen die ranghöchsten Goldhändler von JPMorgan wurde in einigen Ecken des Gold- und Silbermarktes gefeiert. Viele Anleger und Blogger beschuldigen die Bank seit langem, einen groß angelegten Plan zu haben, die Preise nach unten zu manipulieren. Diese Anschuldigungen führten zu mehreren Untersuchungen durch die Commodity Futures Trading Commission, von denen die letzte 2013 eingestellt wurde, nachdem keine Beweise für Fehlverhalten gefunden wurden.
Geschworene weisen Teile der Anklage zurück
Die Anklage gegen Nowak und Smith enthielt keine Behauptungen über eine systematische Verschwörung, die Preise drücken zu wollen. Stattdessen heißt es, dass sie die Märkte über sehr kurze Zeiträume und in beide Richtungen manipuliert hätten – stets zum Vorteil der wichtigsten Hedgefonds-Kunden von JPMorgan.
Und obwohl die Verurteilungen ein Sieg für die Staatsanwaltschaft sind, wiesen die Geschworenen die weitreichendsten Anschuldigungen der Regierung – die unter dem Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act (RICO) erhoben wurden – zurück, wonach die Männer Teil einer Verschwörung gewesen seien und die Edelmetallabteilung von JPMorgan ein kriminelles Unternehmen dargestellt hätte.
Bei JPMorgan, so Edmonds, wurde die Praxis eher als „Klicken" denn als Manipulation bezeichnet, und die Händler hätten nie darüber gesprochen, dass es illegal sei – obwohl die firmeneigenen Compliance-Richtlinien diesbezüglich eindeutig waren. Laut Trunz habe es intern über Smith sogar geheißen, er klicke mit seiner Maus so schnell, um Aufträge zu platzieren und zu stornieren, dass seine Kollegen ihn aufforderten, kühlendes Eis auf seine Finger zu legen.
Im Jahr 2012 beschwerte sich Gerko, Gründer der Handelsfirma XTX Markets, bei der CME über Smiths Handel mit Gold-Termingeschäften, bei dem er Aufträge schnell eingab und wieder stornierte. Die CME leitete eine Untersuchung ein, die sich über drei Jahre hinzog, bevor sie zu dem Schluss kam, dass er wahrscheinlich manipuliert hatte. „Nach 2010 hat es lange gedauert, bis eine konsequente Durchsetzung erfolgte“, so Gerko in einem Tweet. Er bezog sich dabei auf das Dodd-Frank-Gesetz, das die Manipulation definiert und für illegal erklärt.
Nachdem ein anderer JPMorgan-Händler, Michel Simonian, 2014 wegen Manipulation gefeuert wurde, rief Nowak seine Händler in sein Büro, um sie zu fragen, ob auch sie es getan hätten. Keiner sagte etwas. Der Vorfall habe Edmonds schockiert, da Nowak gewusst habe, dass dies schon seit Jahren der Fall gewesen sei.
Rührende Aussagen vor Gericht
Während des Prozesses wirkte Nowak weitgehend teilnahmslos, sein Gesicht hinter einer Schutzmaske verborgen. Brancheninsider beschrieben ihn als introvertiert und intelligent. Auch die Zeugenaussagen während des Prozesses stellten ihn als beliebten Manager dar. Mit Trunz freundete er sich an, als die beiden in der Londoner Niederlassung von JPMorgan arbeiteten.
Als Trunz während des Prozesses gefragt wurde, ob er Nowak mochte, antwortete der ehemalige Händler: „Ich habe ihn geliebt.“ Die Beziehung wurde jedoch komplizierter, nachdem Trunz 2018 am Flughafen vom FBI abgefangen wurde. Als er erwog, einen Deal mit der Regierung zu machen, riet Nowak ihm davon ab, sagte Trunz. Bei seiner Aussage war er hörbar gerührt. Die Anwälte der Verteidigung stellten Trunz und Edmonds als unzuverlässige, erwiesene Lügner dar, die gegen ihre Mandanten aussagten, um lange Haftstrafen zu vermeiden.
Nowak und Smith werden erst im nächsten Jahr verurteilt. Zum Vergleich: Zwei Händler der Deutschen Bank, die im Jahr 2020 wegen Marktmanipulation verurteilt wurden, erhielten jeweils eine Haftstrafe von etwa einem Jahr. Die Verurteilung von vergangener Woche stellt den Höhepunkt des harten Vorgehens des US-Justizministeriums gegen Manipulation dar. Bislang ist es den Staatsanwälten gelungen, zehn Händler von fünf verschiedenen Banken zu verurteilen. JPMorgan hat bereits 920 Mio. Dollar gezahlt, um die Manipulationsvorwürfe gegen das Unternehmen aus der Welt zu schaffen.
Weitere Fälle befürchtet
„Auch wenn die Geschworenen die Verschwörungs- und RICO-Anklagen zurückgewiesen haben, werden sie dies als einen Sieg betrachten", sagte der Anwalt Matthew Mazur, der einen der Händler der Deutschen Bank verteidigt hat. „Dies ist wahrscheinlich das Ende der Edelmetall-Razzia, aber ich denke, es wird weitere Fälle geben."
Auch einige andere Marktteilnehmer sind der Meinung, dass auch nach der Razzia noch immer gefälscht wird. Als Warentermingeschäfte noch in den Pits gehandelt wurden, mussten die Makler von Angesicht zu Angesicht handeln. Wenn man sich hinter einem Bildschirm versteckt, ist es viel einfacher, Aufträge nach Belieben zu platzieren und abzuziehen.
„Wir sehen immer noch regelmäßig Manipulationen“, sagt Eric Zuccarelli, ein unabhängiger Rohstoffhändler, der 1986 an der New York Mercantile Exchange zu arbeiten begann. „Aber wenn man damals manipuliert hat, kamen alle rüber und schlugen einem ins Gesicht, und der Börsenausschuss kam rüber und verhängte eine Geldstrafe, weil man ein Arschloch war.“
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