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Kolumne Wie cool ist der Google-Burger?

Wenn synthetisch erzeugtes Fleisch Erfolg haben soll, muss es mehr als nur ein effizient erzeugtes Produkt sein. Es muss den Nerv der Zeit treffen. Von Rebecca Cassidy
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© Getty Images

Rebecca Cassidy ist Professorin für Anthropologie am Goldsmiths College der University of London. Sie schreibt regelmäßig auf capital.de

Als ein Journalist gefragt wurde, was er vom unlängst präsentierten ersten synthetischen Burger halte, antwortete er kurz und knapp: „Ein bisschen trocken, aber immerhin steht Sergey Brin dahinter“ – unter Verweis auf den Google-Gründer, der das Projekt der Universität Maastricht mit seinem Geld unterstützt hatte. Bald kam die Frage auf, ob synthetisches Rindfleisch geeignet sei, die ökologische Krise Schwarzafrikas zu lösen, die durch den enormen Anstieg der chinesischen Nachfrage nach Fleisch mit ausgelöst worden war. Angesichts der Kosten für die erste Bulette – die bei etwa 300.000 Dollar lagen, muss diese Frage vorerst mit Nein beantwortet werden.

Über den Geschmack, den Wert und die globalen Auswirkungen des Google-Burgers kann man also streiten. Seine Entstehungsgeschichte aber wirkt wie ein großes Versprechen. Kann Technologie unsere Ernährung verändern, wenn sie von einem schlauen Investor unterstützt wird, dem der Tierschutz am Herzen liegt? Und kann ein solcher Burger künftig Vorschläge wie den der deutschen Grünen zu einem „Vegetarier-Tag“ gänzlich überflüssig machen?

Essen ist mehr als nur ein Kraftstoff. Es gibt in vielen Ländern Regeln, die den Verzehr einzelner Tierarten untersagen. Als ich mich beruflich mit Pferderennen in Zentralasien beschäftigte, wurde mir regelmäßig eine große Auswahl von Würsten angeboten, die aus den Innereien von Pferden hergestellt worden waren. In Ascot oder Berlin-Hoppegarten sieht die Speisekarte dann doch deutlich anders aus. Als Peking 2008 die Olympischen Spiele ausrichtete, mussten die 112 offiziellen Olympia-Restaurants Hundefleisch aus dem Programm nehmen, um empfindliche Gäste nicht zu verschrecken. Weithin bekannt sind die heiligen Kühe der Hindus und das Verbot des Verzehrs von Schweinefleisch im Judentum und im Islam. Wie kommt es zu derlei Unterschieden? Wie kann es sein, dass ein und dasselbe Tier in manchen Gesellschaften ein Familienmitglied ist und in anderen einen guten Imbiss abgibt?

Rebecca Cassidy
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© Rebecca Cassidy

In der Verhaltenstheorie werden Essverbote dadurch erklärt, dass der Wert des lebenden Tieres dem Wert des zu Nahrung verarbeiteten Tieres gegenübergestellt wird. Nach Ansicht des amerikanischen Anthropologen Marvin Harris bleiben Kühe bei den Hindus verschont, weil sie als Arbeitstiere gebraucht werden, Dung liefern (der als Brennstoff, Dünger oder Baumaterial zum Einsatz kommt) und Milch geben. Die damit verbundenen Kosten sind minimal, da Kühe aufgrund ihres heiligen Status überall mit Nahrung versorgt werden. Harris nennt dieses System die „kulturelle Ökologie der heiligen Kühe“.

Der Fleischkonsum wirft aus dieser materialistischen Perspektive eine Reihe von Fragen auf. Vor allem ist interessant, warum er sich überhaupt durchgesetzt hat. Es ist allgemein bekannt, dass Fleisch ein vergleichsweise teures Nahrungsmittel ist. Es ist viel ineffizienter ein Tier für die Fleischproduktion aufzuziehen als einfach die vegetarische Nahrung zu konsumieren, die für dieses Tier benötigt wird. Für jedes Kilogramm Hühnerfleisch müssen 5,9 Kilogramm Getreide verfüttert werden. Für jedes Kilo Schweinefleisch gehen 7,7 Kilo Getreide drauf und ein Kilo Rindfleisch erfordert sogar den Einsatz von 22 Kilo Getreide. Jeder Kalorie tierischer Nahrung gehen fünf bis acht Kalorien voraus, die hineingesteckt wurden. Das ändert nichts daran, dass unter bestimmten Umständen die Viehwirtschaft trotz allem die effizienteste Art ist, an Proteine zu gelangen. In der Mongolei zum Beispiel kann nur ein Prozent des Landes für den Ackerbau genutzt werden. Bei einem Besuch dort ernährte ich mich ausschließlich von Hammelfleisch, gegorener Pferdemilch und Yak-Wodka.

Der materialistische Erklärungsansatz für Essverbote hat durchaus Kritiker, da er nach Ansicht einiger Anthropologen die emotionale Komponente außer Acht lässt – und dabei vor allem den Ekelfaktor. Edmund Leach suchte vor diesem Hintergrund nach einem Zusammenhang zwischen dem Inzesttabu und dem Verzehrverbot für bestimmte Arten von Tieren. Dabei verglich er englische Verwandtschaftsverhältnisse mit Tierkategorien um die Verbindung von drei Stufen sozialer Distanz aufzuzeigen: sexuelle Beziehungen, räumliche Kategorien und Essbarkeit. Haustiere, die uns auch räumlich am nächsten sind, werden prinzipiell nicht gegessen, so wie Sex mit nahen Verwandten ein Tabu ist. Wilde Tiere sind ebenfalls nicht für den Verzehr geeignet, so wie Fremde (vor der Erfindung des Internets) auch nicht als potenzielle Ehepartner in Frage kamen. Zwischen diesen beiden Extremen liegen essbare Haustiere und entfernte Verwandte.

Kosten-Nutzen-Analyse reicht nicht aus

Mary Douglas wies zudem darauf hin, dass Essverbote auch dann einem gewissen Sinn folgen, wenn sie sich aus einer systematischen Ordnung ergeben – wie sie zum Beispiel im dritten Buch Mose vorgegeben wird. Diesem System zufolge müssen „saubere“ Tiere der Lüfte Federn und Flügel haben, was den Verzehr fliegender Insekten ausschließt. „Saubere Tiere“ der Erde müssen danach vier Beine haben, Paarhufer sein und wiederkäuen, wodurch das Schwein zu einer Scheußlichkeit wird. „Saubere“ Tiere des Wassers schließlich sollten Flossen haben, weswegen Shrimps nicht gegessen werden können. Für sich genommen scheint jedes dieser Verbote willkürlich, als geschlossenes System aber liefern sie Verhaltensregeln für fromme Juden, die mit dem Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel ihre Zugehörigkeit zu einem Kollektiv unter Beweis stellen.

Wie also wird vor diesem Hintergrund der Google-Burger aufgenommen und welches Schicksal steht ihm bevor? Wird der Konsum synthetischen Rindfleischs zum Erkennungssignal einer optimistischen, neuen Techniken aufgeschlossenen Gemeinde von Vegetariern? Wird er im Gegenzug von jenen abgelehnt werden, die eine authentischere, „natürlichere“ Beziehung zu unserer Umwelt herbeisehnen? Was können wir aus der Reaktion auf genetisch veränderte Getreidesorten ableiten?

Wer sich über den Google-Burger Gedanken macht, muss weit über eine einfache Kosten-Nutzen-Analyse hinausgehen, er muss auch den Ekelfaktor einbeziehen. Bei einer Technologie, die von unserem Körper aufgenommen werden soll, reicht es nicht aus, wenn sie als „sicher“ oder „effizient“ eingestuft wird. Sie muss auch und vor allem unseren kulturellen Erwartungen Rechnung tragen – darüber wer wir sind und was uns im Innersten zusammen hält.

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Foto: © Getty Images; Rebecca Cassidy

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