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Kommentar Weisheit der Vielen

Auch wenn es nach der 1:5-Auftaktschlappe schlecht für Spanien aussieht, verteidigt Gert G. Wagner seine Prognose.
Kaum zu ertragen: Spanische Fans beim 1:5 ihres Teams gegen die Niederlande
Kaum zu ertragen: Spanische Fans beim 1:5 ihres Teams gegen die Niederlande
© Getty Images

Es gibt ganz bestimmt wichtigeres als eine Fußball-Weltmeisterschaft. Und trotzdem steht die WM in Brasilien seit Wochen im Fokus der Öffentlichkeit und schon Tage vor dem Anpfiff rückte sie – trotz Krieg und Krisen in vielen Teilen der Welt – in den Mittelpunkt des Medieninteresses. Man kann den Eindruck gewinnen, dass die Berichterstattung noch umfassender ist als 2006, als die WM in Deutschland stattfand. Auch das DIW Berlin hat sich diesem Hype nicht verschlossen und zwei ganz unterschiedliche Analysen abgeliefert.

Die erste Analyse, die Karl Brenke und der Autor dieses Kommentars vorgelegt haben, beschäftigt sich mit den wirtschaftlichen Auswirkungen des WM-Spektakels auf Brasilien. Sie sind – wie schon in Südafrika – eher negativ (während sie 2006 in Deutschland nur belanglos waren). Sportliche Großereignisse haben keine Konjunktur- oder Wachstumseffekte. Und für ein Land wie Brasilien ist es schlicht überflüssig zwölf neue Stadien für zig Milliarden Euro über das Land zu verteilen. WM-Stimmung kann auch durch Public Viewing aufkommen. Und acht Stadien hätten es auch getan. Genau das schlägt das DIW auch für künftige FIFA-Weltmeisterschaften vor.

Gert G. Wagner ist Vorstandsmitglied des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Er beschäftigt sich seit Jahren immer wieder mit sportökonomischen Fragen
Gert G. Wagner Vorstandsmitglied des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Mitglied der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech)
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Die zweite DIW-Analyse prognostiziert – in Zusammenarbeit mit den Soziologen Jürgen Gerhards und Michael Mutz von der FU Berlin und der Universität Göttingen – den Gewinner der WM. Eine derartige Prognose hat auf den ersten Blick nichts mit der Kompetenz des DIW zu tun. Das aber täuscht: Die gewählte Methode – das Ausnutzen der „Weisheit der Vielen“ – könnte sogar für viele Voraussagen nützlich sein. Auch wenn die desaströse Niederlage der spanischen Mannschaft im Moment nicht für unsere Prognose spricht. Nach den Marktwerten der Spieler liegt nämlich Spanien an der Spitze, gefolgt von der Mannschaft des Deutschen Fußballbundes. Erst dann kommen Brasilien und Argentinien.

Die WM-Prognose basiert auf der sehr einfachen Überlegung, dass sich die Spielstärke einer Mannschaft bzw. eines Team-Kaders heutzutage im Marktwert der Spieler ausdrückt. Bei den Weltmeisterschaften 2006 und 2010 konnten so der Überraschungssieger Italien wie der erwartete Gewinner Spanien vorausgesagt werden.

Hohe Trefferquote

Der Marktwert ist interessant, weil er nur selten direkt beobachtet werden kann – nämlich beim Vereinswechsel eines Spielers. Und selbst dann ist die „Beobachtung“ sehr ungenau, da so gut wie nie das gesamte Vertragswerk – einschließlich aller Nebenabsprachen und -geräuschen – öffentlich gemacht wird. Auch die tatsächlich gezahlten Ablösesummen („Transferentschädigungen“) werden meistens nicht bekannt, sondern nur Schätzungen. Zum Teil dürften die Meldungen, die in den Zeitungen stehen, nichts anderes sein als die Bewertungen, die vorher bekannt waren. Quelle dafür ist die Internetseite transfermarkt.de, für die Experten die Marktwerte permanent schätzen. Die dort genannten Werte erte sind das Kondensat der „Weisheit der Vielen“, nämlich der Fußballinteressierten, die bei transfermarkt.de mitmachen.

Die Korrelation zwischen dem vor einem Wechsel geschätzten Marktwert mit dem bekannt gewordenen nach einem Transfer beträgt 0,93 (das Maximum wäre 1). Da kann man nicht von zwei unabhängigen Messungen ausgehen. Auch könnten die Schätzwerte verzerrt sein, da es sich bei transfermarkt.de um ein Expertenforum handelt, das in Deutschland sitzt und von Deutschen dominiert werden dürfte. Andererseits gilt aber auch: Etwa 70 Prozent der bei der jetzigen WM in den Kadern stehende Spieler verdienen ihr Geld bei europäischen Vereinen. Die deutschen Experten dürften daher einen recht guten Überblick haben.

Zufall und Glück spielen bei der WM eine größere Rolle

Es ist aber ziemlich gleichgültig ob die auf transfermarkt.de veröffentlichten Marktwerte exakt der Realität entsprechen oder nicht. Für die Prognose kommt es nur darauf an, dass in den Marktwerten die aktuellen Spielstärken der Spieler auf einen einheitlichen Nenner gebracht werden; nämlich einen monetären Nenner, mit dem man einfach rechnen kann. Und diese Rechnungen besagen, dass man mit Hilfe der Marktwerte von Spielerkadern nationale Fußballmeister sehr gut voraussagen kann. Bei den letzten vier großen Turnieren gelang das nahezu perfekt (EM und WM). 2006 lag in den Marktwerten Italien – mit dem die Fußball-Fachleute damals nicht gerechnet hatten – knapp vorne und hat sich schließlich durchgesetzt. Der Vorzug der Marktwerte besteht darin, dass sie für jedermann verständlich und transparent nachlesbar sind. Komplizierte Rechnungen, an denen es nicht mangelt, kann man sich sparen.

Klar ist aber auch: Bei über 30 Meisterschaftsspielen spielt der Zufall eine viel kleinere Rolle als bei maximal sieben WM-Spielen pro Team. Insbesondere in den K.-o.-Runden spielt neben der Tagesform auch Glück eine Rolle - spätestens im Elfmeterschießen.

Auch wenn man im Moment den Eindruck hat, dass das spanische Team auf dem absteigenden Ast sitzt, sollte man bedenken: Hätten die Spanier vor der Halbzeit das 2:0 geschossen oder wäre das 3:1 der Niederländer wegen der Behinderung des Towrhüters nicht anerkannt worden, hätte das Spiel ganz anders ausgehen können. Wegen der vielen Körbe pro Spiel gewinnt im Basketball fast immer die stärker besetzte Mannschaft. Im Fußball ist das nicht so. Genau deswegen schauen wir beim Fußball so gerne zu.

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