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Wichtiges Industriegas Warum jetzt auch noch Neon Mangelware ist

Wafer für Mikrochips zur Bestückung von Pässen in einer russischen Fabrik
Wafer für Mikrochips zur Bestückung von Pässen in einer russischen Fabrik
© IMAGO / ITAR-TASS
In Mariupol und Odessa haben zwei zentrale Produzenten von Neon aufgegeben. Ihr Weltmarktanteil von 50 Prozent ist schwer zu ersetzen. Die Folgen werden vor allem Chiphersteller zu spüren bekommen

Zuletzt war es der weltgrößte Lieferant von Druckmaschinen für Computerchips, der deutlich warnte: Laut dem niederländischen Konzern ASML würde die Halbleiterbranche zwar expandieren, doch der steigende Bedarf könne wohl erst in zwei Jahren gedeckt werden. Denn Engpässe bei den Zulieferern bremsten den Marktführer für Lithographiesysteme aus.

Der Ukrainekrieg hinterlässt auch hier seine Spuren. Im Süden des Landes haben gleich zwei solcher Firmen, die auf Neon spezialisiert sind, den Totalausfall erklärt: Das Gas ist bei der Gravur von Chips unverzichtbar. Aber auch Industriegase für Satellitenbauer könnten bald Mangelware sein.

,Ingas und Cryoin, die beiden Unternehmen aus Mariupol und Odessa, haben den Weltmarkt für Neon zu rund 50 Prozent versorgt. Die Nachricht über ihren kriegsbedingten Betriebsstopp hat die Branche aufgeschreckt. Wegen Ausfällen in den Lieferketten hat schon die Corona-Pandemie die Verfügbarkeit wichtiger Bauteile beeinträchtigt – sei es für Autos, Laptops oder Mobiltelefone. Ganze Produktionsstraßen stehen still, weil Mikroprozessoren fehlen. Nun schürt Wladimir Putins Krieg die Halbleiterkrise zusätzlich an.

„Die beiden Lieferanten werden so schnell nicht zu ersetzen sein“, sagt Leonid Weinstein, Geschäftsführer von Aerogas in Mülheim an der Ruhr. Seine Firma handelt mit Industriegasen, kauft auch in der Ukraine ein, und beliefert Kunden in der ganzen Welt. Das Werk von Ingas in Mariupol sei ausradiert, sagt er.

Es gebe noch eine Betriebsstätte in Odessa, die „in ein paar Wochen“ wieder hochgefahren werden soll. Auch Cryoin könnte dort die Veredelung wieder aufnehmen. Allerdings seien beide für ihren Rohstoff auf Stahlwerke angewiesen. Und die stehen im umkämpften Südosten – und in Russland.

Ein Gasgemisch von Neon und Helium entsteht durch Luftzerlegung bei der Sauerstoffgewinnung im Stahlwerk. In den Anlagen der beiden Firmen wird Neon veredelt und auf den höchsten Reinheitsgrad gebracht. So kommt es bei der Halbleiterherstellung als Medium zur Erzeugung der Lichtwellen für die Gravur zum Einsatz. Jedoch liegt die Stahlproduktion in der Ukraine weitgehend brach. Zwei Werke in Mariupol seien zerbombt, sagt Weinstein. Damit fielen fast 30 Prozent des Rohstoffs aus dem Inland weg. Ganze 70 Prozent stammten aus Russland. Natürlich sei auch diese Verbindung durch den Krieg unterbrochen. 

Knappheit absehbar?

„Es wird knapp“, sagt Weinstein, „vielleicht weniger dramatisch für Europa als für Asien und die USA.“ Chipherstellern von Infineon bis Samsung drohten Probleme, „weil Neon bei der Gravur von Halbleitern mit Lasern nicht zu ersetzen ist.“ Wohl stelle China große Mengen her. Doch den Ausfall der Ukraine, die Taiwan, Südkorea und China ebenso beliefert wie die USA und Europa, könne das so leicht nicht ausgleichen.

Und Neon an anderen Stahlstandorten zu gewinnen, setze wiederum die Nachrüstung mit Anlagen voraus, wie etwa aus dem Hause Linde Gas. Auch der französische Konkurrent Air Liquide ist in der Neongewinnung aktiv – laut Weinstein aber ebenfalls aus russischen Rohstoffen, die nun wegen der Sanktionen versperrt sind.

Der Münchner Hersteller Infineon, einer der wenigen Halbleiterproduzenten in Europa, hält die Risiken für überschaubar. „Wir erwarten derzeit keine Auswirkungen auf unsere Produktionskapazitäten“, heißt es auf Anfrage. Es würden nur geringe Mengen Neongas für einige Prozesse und in der Entwicklung gebraucht. Das werde von einer „grundsätzlich verfolgten Multi-Sourcing-Strategie mit Lieferanten in verschiedenen Ländern“ abgedeckt. Zudem habe man Lagerbestände an potenziell betroffenen Rohstoffen und Edelgasen erhöht.

Auf gut gefüllte Lager und diverse Lieferanten verweisen auch andere Chiphersteller – etwa im Branchenverband Semiconductor Industry Association, zu dem auch Intel, Nvidia und Samsung gehören. Die Lieferketten seien bereits unter dem Eindruck der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 mit weiteren Bezugsquellen diversifiziert worden, heißt es dort, um Risiken aus Abhängigkeit von einzelnen Zulieferern zu reduzieren.

Preisschub gewiss

Schätzungen über die Neon-Vorräte der Halbleiter-Produzenten variieren. Doch ein von der Nachrichtenagentur Reuters zitierter Analyst warnt, die Situation könne sich verschärfen, je länger der Ukrainekrieg dauere. „Sollten die Lagerbestände im April aufgebraucht sein und keine Bestellungen aus anderen Weltregionen ausstehen, sind weitere Engpässe in den Lieferketten und Ausfälle von Endprodukten wahrscheinlich.“

Kurzfristig verfügen Ingas und Cryoin noch über einige Monate Lieferkapazität aus den Lagerbeständen, heißt es. Laut dem Analysehaus Techcet wurden im vergangenen Jahr global 540 Tonnen Neongas eingesetzt. Inzwischen kann das Gas mit hohem Gewinn abverkauft werden, wie Händler Weinstein betont. War vor sechs Monaten ein Kubikmeter des Edelgases noch für 100 Dollar zu haben, so seien es in der letzten Märzwoche bereits 3000 Dollar gewesen – um einiges über der Spitze von etwa 2000 Dollar im Jahr 2015 nach der Krim-Krise.

Wenn die Verfügbarkeit am Ende eine Preisfrage wird, haben Branchenriesen wie der taiwanesische Vertragsfertiger TSMC oder Intel mit großer Einkaufsmacht potenziell einen Vorteil. Somit beschert der Ukrainekrieg den Chipherstellern vielleicht keine substanzielle Materialknappheit, aber doch einen kräftigen Preisanstieg. Was Händler Weinstein damit rechnen lässt, dass Neon-Reiniger in der Volksrepublik – motiviert durch die Preisexplosion – ihre Kapazitäten so schnell wie möglich hochfahren werden.

Ein großes Stahlvolumen dafür hätten sie. China ist einer der größten Stahlproduzenten der Welt und könnte auch in dieser Hinsicht zum Kriegsprofiteur werden. „Sie werden alles in ihrer Möglichkeit tun, um auf die Preise zu reagieren“, sagt Weinstein – und verweist auch noch auf zwei weitere Edelgase, deren Produktionsketten vom Ukrainekrieg zerschlagen werden: Xenon und Krypton werden zwar nicht in gleicher Breite und Menge gebraucht wie Neon. Aber in dem spitzen Markt von Satellitenbauern wie Airbus oder Starlink könnte eine Knappheit ebenfalls empfindlich treffen.

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