Fieber- und Schmerzsäfte für Kinder, die auf den Wirkstoffen Paracetamol oder Ibuprofen basieren, sind in Deutschland knapp geworden. Der aktuelle Engpass geht zwar nicht auf Probleme mit Lieferungen aus China zurück, sondern liegen vor allem an extremer Nachfrage. Doch die Knappheit der Präparate kann als Warnschuss verstanden werden. Denn auch bei der Versorgung mit Fiebermitteln ist Deutschland von Importen abhängig. Und die wichtigsten Herkunftsländer sind Indien und China.
Weltweit produzieren heute nur noch sechs Hersteller Ibuprofen-Generika, davon vier in Asien:
- Hubei Biocause und Shandong Xinhua in China,
- Solara und IOLPC in Indien sowie
- BASF und die SI Group in den USA.
Diese sechs Firmen also pressen den Wirkstoff Ibuprofen mit geeigneten Hilfsstoffen zu einer Tablette zusammen und verpacken die Pillen dann. Es ist eine typische Konstellation: Immer weniger Hersteller haben immer größere Marktanteile, auch in Asien.
Doch selbst die Verteilung auf drei Länder täuscht größere Vielfalt vor, als tatsächlich gegeben ist. Denn die Pillen-Fabriken in anderen Weltgegenden beziehen ihre Vorprodukte ihrerseits von wenigen Anbietern. „Das Problem ist nicht, dass die Wirkstoffe aus China und Indien kommen, sondern dass sie nur aus China und Indien kommen“, sagt Anna Steinbach, Sprecherin des Verbands Pro Generika. „Wir können die Abhängigkeit nicht reduzieren, aber wir können Lieferketten stärker diversifizieren.“
China produziert 40 Prozent der Wirkstoffe
Zu Beginn der Pandemie Anfang 2020 in Wuhan tauchten erstmals Probleme auf. Biocause hat seinen Standort in der damals abgeriegelten chinesischen Provinz Hubei. China produziert aber nicht nur die fertigen Ibuprofen-Generika, sondern an vielen Standorten auch den Wirkstoff Ibuprofen, der eben dann in Indien oder den USA zur Pille oder zum Saft wird. Auch die chinesischen Wirkstoffhersteller waren im Laufe der Pandemie von Lockdowns betroffen. Den indischen Anbietern ging daher das Ausgangsmaterial aus. Indien ist also zum Teil ebenfalls von China abhängig.
Das Zentrum der Pharma-Produktion des Landes ist das Jangtse-Delta, das vor allem 2022 infolge des strikten Lockdowns im nahe gelegenen Shanghai von vielen lokalen Transportbeschränkungen betroffen war. Firmen konnten wochenlang nicht produzieren. Und das, was noch für den Export vom Band lief, gelangte vielfach nicht zum Shanghaier Hafen oder blieb dort hängen. Vor dem Jangtse-Delta bildete sich ein riesiger Schiffsstau.
China selbst hat erhöhten Bedarf
Ursachen für plötzliche Engpässe können auch Fabrikunfälle in China und Indien sein. 2019 kam es zum Beispiel nach einem Unfall bei Schweißarbeiten zu einer Explosion bei Qilu Tianhe Pharmaceutical in Shandong. Das Unternehmen stellt unter anderem das Breitspektrum-Antibiotikum Piperacillin her, einen Penicillin-Typ. Ganze 85 Prozent des weltweiten Bedarfs an Penicillin stammen aus China. Im Jahr 2021 brannte es bei Tyche Industrie in Indien, das den Anti-Durchfall-Wirkstoff Racecadotril sowie den Anti-Depressiva-Wirkstoff Sertralin produziert.
China braucht seine Arzneien zudem derzeit selbst. Angesichts der aktuellen Omikron-Welle explodiert gerade die Nachfrage nach Medikamenten wie Ibuprofen im Herstellerland selbst. Erkältungs- und Fiebermedikamente sind in fast allen Pekinger Apotheke ausverkauft, weil sich viele Menschen in Erwartung der Corona-Tsunami damit eindecken. Ein Medikamentenmangel in China dürfte für die Ausfuhren kaum förderlich sein.
Es fehlt an Vorräten für Krisen
China produziert nach Angaben des Beratungsunternehmens Daxue Consulting in Peking rund 40 Prozent der weltweiten Medikamenten-Wirkstoffe. Etwa 70 Prozent aller in Europa und Japan produzierten Medikamente enthalten demnach Wirkstoffe aus der Volksrepublik. „China und Indien haben in den vergangenen 15 Jahren viel dafür getan, um federführend bei der Herstellung von Wirkstoffen und Arznei-Vorprodukten zu werden“, sagte Steinbach. „Diese Länder haben Bedingungen etabliert, unter denen europäische Hersteller schwer produzieren können.“ Laut Pro Generika wird nur jeder sechste Wirkstoff überhaupt noch in Europa produziert.
Fällt ein Hersteller mit einem riesigen Marktanteil aus, könnten das kleinere Lieferfirmen nicht ausgleichen. „Es ist kein Puffer mehr da. Wenn es zu Engpässen kommt, weil die Lieferketten unter Druck sind – weil es mal an Glas fehlt oder an Blisterpackungen – dann gibt es keine nennenswerte Zahl an Anbietern mehr, die das auffangen könnte“, erklärt Anna Steinbach.
Nur jeder sechste Wirkstoff kommt noch aus Europa
Die Gründe sowohl für den aktuellen Mangel als auch für die Risiken der Importabhängigkeit sind das Ergebnis von Entscheidungen der vergangenen Jahrzehnte. Viele der betroffenen Medikamente sind Generika – also Wirkstoffe, deren Patente abgelaufen sind, und die jedes Unternehmen produzieren und unter eigener Marke vermarkten darf. Der Wettbewerb der Generika-Hersteller läuft vor allem über den meist günstigen Preis.
So wurde die Produktion vor allem der Wirkstoffe für die Generika in den vergangenen 20 Jahren immer stärker von Europa nach Asien verlagert. Zwei Drittel dieser Wirkstoffe stammen einer Studie der Unternehmensberatung MundiCare im Auftrag von Pro Generika heute aus Ländern wie China oder Indien.