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Sanktionen „Deutsche Unternehmen brauchen einen Notfallplan für China“

Ein Messestand von Volkswagen
Ein Stand von Volkswagen beim Mobile World Congress (MWC) in Shanghai 2018
© picture alliance/dpa/HPIC | Dycj
Im Falle eines Konflikts zwischen China und Taiwan könnte die EU nach russischem Vorbild Sanktionen verhängen. Doch darauf wäre die deutsche Wirtschaft nicht vorbereitet, warnt Sanktionsexperte Viktor Winkler

CAPITAL: Herr Winkler, viele fürchten, dass zwischen China und Taiwan ein ähnlicher Konflikt droht wie zwischen Russland und der Ukraine. Was würde das für das Geschäft deutscher Unternehmen bedeuten? 
VIKTOR WINKLER: Das Risiko, dass daraus westliche China-Sanktionen entstehen, halte ich für die mit Abstand größte ökonomische Gefahr der 2020er Jahre für die deutsche Wirtschaft. Die Europäische Union hat ja in diesem Jahr gegen Russland bereits das größte und komplexeste Sanktionspaket der modernen Wirtschaftsgeschichte erlassen. Wohl mehr als die Hälfte der deutschen Wirtschaft ist inzwischen in unterschiedlicher Ausprägung von den Sanktionen betroffen. Viele Firmen mussten sich überhaupt zum ersten Mal mit dem für sie völlig fremden Thema Sanktionen beschäftigen – und das unter enormem Zeitdruck. Wir erleben hier durchaus eine regulatorische Revolution, vor allem in den Rechts- oder Compliance-Abteilungen der Industrie. Und im Fall China stellt sich die Herausforderung noch einmal hundertfach größer.

Viktor Winkler, 44, ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Sanktionsrecht. Zuvor arbeitete er bei der Commerzbank als Head of Global Standards Sanctions. Studiert hat Winkler an der Frankfurter Goethe-Universität und der Harvard University.

Weshalb?
Die deutsche Wirtschaft verfügt bisher überhaupt nicht über die angemessenen Instrumente, um im Fall von plötzlichen China-Sanktionen Geschäftsverbindungen, Transaktionen und Warenausfuhren schnell und ohne ein Kostendesaster zu stoppen und auch intern richtig zu reagieren. Leider erlebe ich hier ausgerechnet die Wirtschaftsverbände und Industrie- und Handelskammern in Deutschland in einem Winterschlaf. Die Mandanten, die ich zum Thema Sanktions-Prävention bei China berate, hören von ihren Verbänden und IHKs dazu regelmäßig gar nichts.

Was sollten deutsche Firmen mit China-Geschäft tun – rausgehen aus dem Land?
Das wäre utopisch. Das kann sich die große Mehrheit gar nicht leisten. Vorsorglich einzelne Geschäfte runterzufahren und Geschäftsbeziehungen zu kappen, wäre Stand heute ebenfalls verfrüht. Die deutsche Wirtschaft muss sich aber mit drei Dingen jetzt schon dringend auseinandersetzen: Erstens brauchen Unternehmen einen Notfallplan, ähnlich wie bei einem Feueralarm. Kaum eine Firma weiß, was ein plötzliches Sanktionspaket ganz konkret für die Abläufe bedeutet, quasi am Tag des Erlasses der Sanktionen – die ja fast nie vorab verkündet werden.

Was muss ein solcher Notfallplan regeln?
Es muss ganz konkret mit internen Richtlinien festgelegt werden: Dürfen zum Beispiel Mitarbeiter noch ein Telefonat annehmen aus China? Und wenn ja, was ist dabei zu beachten? Was ist eigentlich mit Ware, die sich bereits auf dem Schiffsweg nach China befindet – muss oder darf sie zurückgerufen werden? Zweitens müssen Firmen jetzt neue Klauseln in den Verträgen mit ihren Lieferanten und chinesischen Partnern beginnen durchzusetzen. Sie helfen, bei einer Sanktionierung einen vernünftigen, kostenschonenden aber auch rechtlich zulässigen Kompromiss zu finden. Das wird die große Aufgabe werden in den nächsten Jahren und ist schon deshalb extrem schwierig, weil die Verhandlungsmacht bei China liegt und man dort solche Klauseln, vorsichtig ausgedrückt, kritisch sieht. Aber wir brauchen eine neue Generation dieser Klauseln. Zurzeit sind wir völlig blank. Die deutsche Wirtschaft hat nahezu keine vertragliche Möglichkeit, vertragstreu auf plötzliche Sanktionierungen zu reagieren, insbesondere wenn Letztere keine Übergangsfrist vorsehen. Drittens sollte die deutsche Wirtschaft jetzt Klagewege prüfen, damit Firmen im Fall der Fälle eine Entschädigung vom Staat für die Sanktionen erhalten und nicht, wie im Fall Ukraine, von der Großzügigkeit der Ampelregierung abhängig sind, was finanziellen Ausgleich angeht.

Das würde sehr teuer werden für den Staat. Hätten solche Entschädigungsforderungen überhaupt Aussicht auf Erfolg?
Zunächst mal wäre das nicht so teuer wie die Beträge, über die wir aktuell im Zusammenhang mit Energie, Waffenlieferungen und anderem sprechen. Hier geht es um diejenigen Unternehmen, die ganz konkret besonders schwere Nachteile durch individuelle China-Sanktionen erleiden würden, also nicht um Ausgleich für die Wirtschaft als Ganzes. Und dann handelt es sich schlicht um die Rechtslage. Bei dem Anspruch geht man davon aus, dass entsprechende Firmen aufgrund der Sanktionen des Westens als Wirtschaftsteilnehmer ein sogenanntes Sonderopfer erbringen. Sie erleiden im Dienst des Gemeinwohls einen besonders hohen Schaden, den die Gesellschaft nicht beabsichtigt, und haben deshalb einen Anspruch gegen den Staat auf eine angemessene Entschädigung. Der entgangene Gewinn wird dadurch nicht ersetzt. Ich habe das für Mandanten bereits für die Russland-Sanktionen geprüft und die Erfolgsaussichten sind durchaus gegeben. Dass alle diese Mandanten sich letztlich gegen einen Rechtsstreit entschieden haben, kann ich im Fall Russland gut verstehen, nicht zuletzt aus politischen und moralischen Gründen und Reputationserwägungen. Im Fall von China-Sanktionen erwarte ich aber durchaus eine andere Bewertung in den Leitungsgremien der deutschen Wirtschaft.

Welche Sanktionen gegen China erwarten Sie, wenn es tatsächlich zu einer Eskalation im Südchinesischen Meer käme?
Bislang gilt nur ein Waffenembargo gegen China sowie eine sehr schmale Gruppe von Einzelsanktionen seit 2021. Ich halte es für wahrscheinlich, dass zunächst ebenfalls Einzelsanktionierungen kämen, allerdings dann breiter und, anders als jetzt, auch mit wichtigen Wirtschaftslenkern und sogar einzelnen Unternehmen. Schon das wäre enorm kritisch für die deutsche Wirtschaft. Aufgrund des mittelbaren Bereitstellungsverbotes wären hier sehr viele Lieferketten neu zu bewerten. Die größte Gefahr für die deutsche Wirtschaft wären aber sogenannte Comprehensive Sanctions. Das bedeutet, dass nicht einzelne Personen oder Unternehmen sanktioniert werden, sondern Transaktionen, Laufzeiten, Finanzprodukte, Warenausfuhren – also die Geschäftsverbindungen selbst und unmittelbar. Dort wären selbst kleinste Beschränkungen fatal. Denn wir haben uns bei den Russland-Sanktionen an die sogenannte Overcompliance gewöhnt, bei der Gesellschaft und Wirtschaft freiwillig und ohne rechtliches Verbot weiterhin legale Geschäfte nicht machen. Ich bin überzeugt, dass diese Praxis im Fall von China-Sanktionen nachwirken würde und dann insbesondere die Banken aus einem ganzen Segment von Finanzierungen pauschal unter Verweis auf Geschäftspolitik aussteigen würden. Dem Mittelständler, der mit einem Anteil von 70 Prozent chinesischer Einzelteile produziert, bräche dann die finanzielle Grundlage weg. Ich nenne das den „Ripple-Effekt“ der Sanktionen.

Im Auswärtigen Amt kursiert ein Strategie-Papier, wirtschaftliche Abhängigkeiten von China zügig und mit für die deutsche Volkswirtschaft vertretbaren Kosten zu verringern. Ist das überhaupt umsetzbar?
Ich finde dieses Konzept richtig und wertvoll. Natürlich ist es gerade aus rechtlicher Sicht die allerklügste Strategie, wenn man – soweit man das kann – ein China-Engagement im Hinblick auf die aktuelle Weltlage langfristig reduziert. Und als jemand, der im Auswärtigen Amt tätig war, möchte ich schon betonen, dass solche Konzepte zu erörtern und aufzustellen, die ureigenste Aufgabe des Auswärtigen Amtes ist. Für die nächsten zwölf Monate mindert dieses Konzept die Gefahr von Sanktionen aber natürlich kein bisschen. Die meisten können jetzt nicht einfach aussteigen oder herunterfahren, so wie das bei Russland sehr häufig möglich war. Vor allem in der deutschen Technologie- und Automobilbranche ist ein China-Ausstieg aktuell nicht realistisch.

Das klingt nach einer Patt-Situation …
Ja, es ist schwierig. Aber die deutsche Wirtschaft hat keine Zeit. Unternehmen müssen jetzt anfangen, interne Sanktions-Notfallpläne zu erstellen, Klagewege bereit zu halten, und sich vor allem zu überlegen „Wie kann ich den chinesischen Partner in sinnvolle Klauseln drängen?“. Es wird ein Machtspiel, denn die Chinesen wissen ganz genau um den Bedarf an solchen Klauseln und haben sich bisher gesperrt. Man braucht hier eine völlig neue Strategie. Das gilt auch gegenüber dem Bund und der EU. Wenn die EU signifikante Sanktionen gegen China erlassen würde, dann muss die deutsche Wirtschaft endlich probieren, von Anfang an eine angemessene Entschädigung geltend zu machen. Sonst wird sie nämlich keinen Cent bekommen. Diese Ansprüche müssen aber in der Rechtsprechung erst mal verankert werden. Noch sind sie es nicht. Wo kein Kläger, da kein Richter. Moralisch richtig sind diese Ansprüche übrigens auch: Wir sanktionieren im Gemeinwohlinteresse, denn wir alle profitieren von diesen Maßnahmen. Dass dann die Solidargemeinschaft denjenigen helfen muss, die ungewöhnlich große Lasten für dieses gemeinsame Ziel tragen, finde ich selbstverständlich.

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