Die Arbeitergeberverbände, die sich hinter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft verstecken, trommeln zum Kampf gegen die „Bürokratische Republik Deutschland“. Und um einen besonders groben Keil auf den groben Klotz der Beamtenherrschaft zu setzen, verzieren sie ihre Kampagne in den Medien auch noch mit einer Art DDR-Fahne. Soll wohl bedeuten: Wir sind auf dem Weg zurück in einer Art Honecker-Staat. Und in der Tat kennt ja so gut wie jeder Unternehmer Beispiele für unsinnige staatliche Regeln in seiner Branche.
Aber sind wir tatsächlich so besonders gebeutelt mit der Bürokratie? Bei genauem Hinsehen beginnen die Schwierigkeiten mit der simplen Frage, wie man Bürokratie überhaupt definieren soll. Zunächst einmal geht es bei dem Wort, das zum negativen Kampfbegriff geworden ist, historisch um etwas sehr Positives: Die Herrschaft der Verwaltung nach klaren Regeln und nach eindeutigen Zuständigkeitsbereichen auf der Grundlage von Verordnungen und Gesetzen. Also das genaue Gegenteil von Willkürherrschaft, wie sie in Diktaturen und absolutistischen Monarchien herrscht. Was für den einen als gute Bürokratie gilt, sehen andere als schlechte Bürokratie. Zum Beispiel beim Lieferkettengesetz: Seine Befürworter wollen die weltweite Beachtung der Menschenrechte fördern, seine Gegner fühlen sich in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit gegängelt.
Die Ökonomen sprechen bei internationalen Vergleichen ungern von Bürokratie, sondern lieber von der Effizienz staatlicher Handlungen – und sie werten die Verwaltung als nur einen Aspekt dabei. In den entsprechenden globalen Ranglisten findet man Deutschland weit hinter den besten Staaten wie vor allem der Schweiz, den Niederlanden oder Singapur. Aber in der Regel trotzdem noch vor den USA, England oder Frankreich. Wir könnten also durchaus noch ein gutes Stück besser werden und sollten auch danach streben, aber müssen auch nicht in Sack und Asche gehen.
Manchmal nützt die Bürokratie den eigenen Interessen
Interessanterweise verweisen die Kritiker der angeblichen „Bürokratischen Republik Deutschland“ gern auf das Beispiel eines Landes, wo es in der Wirtschaft angeblich besonders fix und unbürokratisch zugeht: die Volksrepublik China. Doch im Ranking von „The Global Economy“ rangiert das kommunistische Regime auf Platz 56, die Bundesrepublik auf Platz 25. Sicherlich kann die kommunistische Führung alles per Federstrich entscheiden und dabei ausländischen Investoren große Gefallen tun. Mit guter Verwaltung aber hat das nichts zu tun – im Gegenteil. Diese Art von „guter Bürokratie“ ist nur die Kehrseite von Willkürherrschaft.
Aus Sicht vieler deutscher Unternehmer sind es immer die anderen, die für mehr Bürokratie verantwortlich sind. Dabei bastelt die Wirtschaft gern selbst haarfeine bürokratische Regeln, wenn es ihren eigenen Interessen nutzt. So strickt die deutsche Stahlindustrie beispielsweise gerade mit der Politik an einem neuen Regelwerk, um künftig „grünen“ deutschen Stahl vor „schmutzigem“ ausländischen Stahl zu schützen. Weil aber „grüner“ Stahl durchaus nicht gleich „grüner Stahl“ ist, weil man besondere Vorschriften für besondere Sorten durchsetzen will und weil es selbstredend Übergangsfristen geben soll, sofern sie den deutschen Herstellern nützen, kann man schon jetzt prophezeien: Die Branche gebiert ein neues bürokratisches Monster. Und kann sich dann später trotzdem über die üble Bürokratie in Deutschland beklagen – schließlich gehört die Stahlindustrie zu den Mitfinanziers der jetzigen Kampagne.