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Omikron Warum die globale Impfkampagne ihre Ziele verfehlt

Ein Impfzentrum in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Die Furcht vor der Variante Omikron bringt wieder mehr Zulauf.
Ein Impfzentrum in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Die Furcht vor der Variante Omikron bringt wieder mehr Zulauf.
© IMAGO / ZUMA Wire
Ist der Impfegoismus der reichen Länder schuld für die Verbreitung der neuen Omikron-Variante? Richtig ist, dass die globale Impfoffensive Covax ihre Ziele verfehlt hat. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit

Kein Land der Welt kann sich alleine aus der Pandemie herausimpfen, sagte der Chef der Weltgesundheitsorganisation Tedros Adhanom Ghebreyesus Anfang dieser Woche. „Je länger wir keine Impfgerechtigkeit haben, desto freier kann sich das Virus verbreiten und sich auf unvorhersehbare und unaufhaltbare Weise verändern.“ Wenn die Welt sich darauf konzentriere, für jede neue Variante spezifische Booster zu finden, warnt der Chef der Impfallianz Gavi , Seth Berkley, dann lenke das von den 3,6 Milliarden Menschen ab, die noch ungeimpft seien, „und wir könnten in einem scheinbar endlosen Zyklus neu auftauchender Varianten enden“.

Die beiden Vorreiter einer gerechten Verteilung von Impfstoffen zwischen Arm und Reich sehen sich durch die neue, in Südafrika identifizierte Mutante Omikron in ihrem Argument bestärkt: Keiner ist vor Covid-19 sicher, bevor wir nicht alle sicher sind. Solange große Teile der sich entwickelnden Welt ungeimpft sind, bleiben sie Brutstätten für potenziell gefährlichere Varianten, die unweigerlich auf den globalen Norden übergreifen. Ergo sollten die Wohlhabenden – schon aus purem Eigennutz – arme Länder mit ausreichend Impfschutz versorgen.

Omikron soll noch aggressiver sein, als die aktuell dominierende Delta-Variante des Virus, deren Ursprung nach Indien zurückverfolgt wurde. Unklar ist, ob es schwerere Krankheitsverläufe verursacht. Unklar ist auch angesichts der Verbreitung in mittlerweile mehr als 20 Länder die exakte Herkunft. Es könnte aus irgendeinem afrikanischen Land stammen, dem die Test- und Laborkapazitäten für regelmäßige Sequenzierungen neuer Eigenschaften fehlen.

Dabei ist Südafrika, neben Nigeria die größte Volkswirtschaft des Kontinents, immerhin zu einem Viertel der über zwölf Jahre alten Bevölkerung durchgeimpft. Der Rest des Kontinents ist weit weniger geschützt. In nur drei Staaten ist mehr als jeder Fünfte immunisiert. Südafrikas Nachbarland Botswana weist eine Quote von 18 Prozent auf. Länder mit 10 bis 20 Prozent kann man an einer Hand abzählen. Zentralafrika ist ein Totalausfall. Im Schnitt waren Ende November etwa 6,5 Prozent der Bevölkerung des Kontinents vollständig geimpft. Wurden in der EU bislang 611 Millionen Impfdosen verabreicht, waren es in Afrika mit mehr als doppelt so vielen Menschen nur 116 Millionen.

Rächt sich der Egoismus?

Die Impfinitiative Covax wurde gegründet, um für eine gerechte Verteilung der Vakzine rund um den Globus zu sorgen. Die länderübergreifende Initiative soll dazu beitragen, dass einkommensschwache Länder bei der globalen Impfkampagne den Anschluss halten. Dass sie jedoch „deutlich hinter den Erwartungen und Zielen zurückbleibt“, stellte der Gesundheitsexperte Christoph Strupat vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik DIE schon vor Monaten fest. Covax wird von der WHO, der Impftstoffinitiative CEPI (aus Staaten, Stiftungen, Forschern und Pharmakonzernen) und der Impfallianz Gavi geführt – und logistisch von Unicef unterstützt.

Der Verbund wurde so konzipiert, dass auch wohlhabende Länder einen Teil ihrer Vakzine über Covax einkaufen – und so bessere Konditionen auch für die Belieferung ärmerer Länder schaffen. Zusätzlich kanalisiert er Spenden. Anfangs sollten die Impfstoffdosen vorrangig dorthin gehen, wo sie am dringendsten gebraucht wurden. Inzwischen will man nur so gerecht sein wie möglich. Als unrealistisch stellte sich auch das Ziel heraus, in allen Ländern – arm oder reich – zunächst 20 Prozent ihrer Bevölkerung zu immunisieren. Die Initiative musste sich auf Mangelverwaltung beschränken.

Denn die führenden 20 Industrienationen sicherten sich 80 Prozent aller verfügbaren Impfstoffe, wie WTO-Chef Tedros dieser Tage in Erinnerung rief. In weniger als einem Jahr wurden weltweit acht Milliarden Spritzen gesetzt, die größte Impfkampagnen der Geschichte. Auf die einkommensschwachen Länder – die meisten davon in Afrika – entfielen nur 0,6 Prozent. Als neues Ziel wollen WHO und Covax bis Ende des Jahres in allen Ländern 40 Prozent der Bevölkerung erreichen – und 70 Prozent bis Mitte 2022.

Erstimpfungen statt Booster?

Dass von den anvisierten 40 Prozent mehr als 100 Länder noch weit entfernt sind, ist dem Impfnationalismus der wohlhabenden Staaten geschuldet. Covax hat inzwischen 550 Millionen Dosen verschifft, davon 250 Millionen allein in den vergangenen zwei Monaten. Ein herber Rückschlag war dabei zweifellos die Entscheidung Indiens, inmitten einer dramatischen dritten Welle die Exporte einzustellen. In scharfen Worten warf WHO-Chef Tedros zuletzt Ländern mit einer hohen Impfquote vor, den Markt nun auch noch für Auffrischungen leerzufegen. Schon würden sechsmal mehr Booster als Erstimpfungen im globalen Süden verabreicht.

Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn musste sich Kritik anhören, als er vor kurzem eine für Covax vorgesehene Spenden-Charge zurückhielt, um hierzulande Vorräte für den Booster-Boom gegen die vierte Welle vorzuhalten. Ginge es nach der WHO , sollten alle Länder mit einer Immunisierungsquote von 70 Prozent alle verfügbaren Mengen an Covax umleiten – nach dem Muster der Schweiz. Es kann nur besser werden: Bis Ende 2022 haben die G7 rund 2,3 Milliarden Impfdosen in Aussicht gestellt – wobei Deutschland nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel 350 Millionen Dosen beisteuern wird.

Allerdings ist ein Teil der Impflücke im globalen Süden offenbar auch hausgemacht. Wohl leiden die Empfängerländer unter oft kurzfristig abgesagten Spenden und fordern, dass Impfstofflieferungen berechenbarer sein müssten. Erst dann mache es Sinn, stärker die Werbetrommel für die Immunisierung zu rühren. Aber häufig schlägt den Regierungen und Gesundheitsbehörden auch Misstrauen entgegen. Unwissen und Verschwörungstheorien kommen hinzu. Auch in Südafrika hat sich Impfskepsis breit gemacht: Im November verzichtete die Regierung auf neue Zuteilungen der Hersteller Johnson & Johnson und Pfizer. Man habe mit 16 Millionen Dosen Vorrat für mehr als 150 Tage auf Halde.

Mutationen unaufhaltsam

Nun schreckt Omikron die Menschen am Kap auf – und wieder verstärkt in die Impfzentren. Dennoch wird das von Präsident Cyril Ramaphosa ausgegebene Ziel, in diesem Jahr zwei Drittel der Bevölkerung zu erreichen, weit verfehlt. Und es liegt nicht (nur) am fehlenden Angebot. Auch in Namibia, Simbabwe, Mosambik und Malawi sank die Nachfrage. Impfstoffproduzenten wurden laut „New York Times“ gebeten, Lieferungen zurückzuhalten. Um eine Debatte über die Einführung einer Impfpflicht werden weder sie noch große Schwellenländer wie Südafrika und Indien herumkommen.

Wenn Südafrikas Chefin des Ärzteverbands, Angelique Coetzee sagt, dass erst eine vollständige Impfung Afrikas verhindern werde, dass neue, potenziell gefährlichere Varianten zirkulieren, dann ist das nur eine Seite der Medaille. So berechtigt die Frage nach Impfgerechtigkeit sei, so unmöglich sei es doch, neue Mutanten zu verhindern, widerspricht etwa der „Economist“. Die EU verzeichne trotz einer Impfquote von 79 Prozent aller Über-Zwölfjährigen wöchentlich 2,5 Millionen Neuinfektionen. Es zirkuliere in Europa derzeit sehr viel Virus – mit sehr viel Raum für neue Mutanten.

In Afrika seien hingegen bislang insgesamt 3,5 Millionen Infektionen dokumentiert wurden, davon laut der Seuchenschutzbehörde der Afrikanischen Union (Africa CDC) mehr als 220.000 tödlich. Dass es hier sicherlich eine große Dunkelziffer gebe, räumt auch der „Economist“ ein. Nach einer Schätzung der WHO dürften sich auf dem Kontinent mindestens siebenmal so viele Menschen infiziert haben, als offiziell erfasst.

Doch selbst eine dramatisch ansteigende Impfquote im globalen Süden dürfte nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht verhindern, dass irgendwann eine neue Variante auftaucht, weil das Virus in isolierten Populationen, Tieren oder Menschen mit Immunschwäche weiterhin seine Eigenschaften verändern wird.

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