Auf den ersten Blick sieht es aus, als rutsche der gesamte erweiterte Nahe Osten ins Chaos ab. In Syrien wütet nach wie vor ein Bürgerkrieg, während Syriens Nachbarländer – vor allem Jordanien und der ohnehin fragile Libanon – unter der Last von mehr als zwei Millionen Flüchtlingen ächzen. Libyen ist weitestgehend in durch Stammesfehden bedingter Anarchie versunken, und in Afghanistan bereitet sich das schwache Regime auf einen Abzug der Nato im kommenden Jahr vor. Ägyptens vom Militär gestützte Regierung hat den Ausnahmezustand verlängert, und der Irak erlebt eine Welle religiös motivierter Gewalt, bei der im bisherigen Jahresverlauf mehr als 5000 Zivilisten getötet und fast 14.000 verletzt wurden.
Und doch gibt es eine Ausnahme von diesem Muster – und zwar dort, wo man sie vielleicht am wenigsten erwartet hätte. Jahrzehnte lang hat der Iran einen düsteren Schatten der Konfrontation über den Nahen Osten geworfen. Nun scheint es, als sei die Islamische Republik bestrebt, den Showdown mit dem Westen über ihr Nuklearprogramm zu beenden.
Dieser Wandel – und Irans überraschende Rolle als einzelner Lichtblick in einer zerrütteten Region – lädt ein zur Reflektion über Amerikas globale Führung und darüber, was die USA erreichen können, wenn sie das Potenzial des Multilateralismus (und insbesondere des Transatlantizismus) voll ausschöpfen. In einer Zeit, in der Amerika häufig ein Bild der Unentschlossenheit und Schwäche abgibt – das sich in dem unglücklichen Motto der „Führung von hinten“ widerspiegelt –, ist der Iran ein Beispiel für das Potenzial einer internationalen Reaktion, bei der die USA voranschreiten.
Iraner wollen aus der Isolation
Die US haben den Iran seit Mitte der 1990er-Jahre mit umfassenden Sanktionen belegt und diese entschlossen durchgesetzt. So haben sie im letzten Jahr Strafgelder von 1,9 Mrd. Dollar gegen die Großbank HSBC verhängt und Unternehmen auf ihre Schwarze Liste gesetzt, die dem Iran bei der Umgehung der Finanzbeschränkungen geholfen haben. Doch erst mit der wachsenden Beteiligung vieler Länder begannen die Sanktionen wirklich weh zu tun.
Das spiegelte sich deutlich im überwältigenden Wahlsieg des iranischen Präsidenten Hassan Rouhani im Juni wider. Rouhani versprach im Wahlkampf, eine Politik des „konstruktiven Dialogs“ mit der internationalen Gemeinschaft zu verfolgen. Die frühzeitige Dynamik zu seinen Gunsten und die anscheinende Unterstützung – oder mindestens Duldung – durch den Obersten Religionsgelehrten, Ayatollah Ali Khamenei, zeigen den Überdruss, den die Iraner gegenüber ihrer internationalen Isolation empfinden, und ihre Verbitterung über das wirtschaftliche Chaos, das die stetig verschärften Sanktionen verursachen.
Die zunehmende Wirksamkeit der gegen den Iran verhängten internationalen Sanktionen rührt natürlich daher, dass die Schlupflöcher, die sich dem Land zunächst noch boten, eins nach dem anderen geschlossen wurden. Nach Aufgabe ihrer ursprünglichen Zurückhaltung hat die Europäische Union ihre Sanktionspolitik gegenüber iranischen Unternehmen, die mit Nuklearaktivitäten in Verbindung standen, deutlich verschärft (auch wenn jüngste Gerichtsurteile Zweifel an einigen Maßnahmen haben aufkommen lassen). Die Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication (SWIFT) hat 2012 auf Ersuchen der EU beschlossen, 14 iranische Banken aus ihrem Netz auszuschließen (dem wichtigsten Kanal für internationale elektronische Interbankengeschäfte). Der Wunsch, diesen Schritt rückgängig zu machen, sei, so heißt es, ein zentraler Grund für den diplomatischen Kurswechsel des Iran.
Weitblick und Geduld
Die amerikanischen Bemühungen, seine internationalen Partner von der Verringerung ihrer Abhängigkeit vom iranischen Öl zu überzeugen – teilweise mit der Drohung von Sanktionen gegen ihre Finanzinstitute –, waren ebenfalls hochgradig effektiv. Die iranischen Ölexporte sind seit 2011 deutlich von rund 2,5 Millionen auf rund 1,3 Millionen Barrel pro Tag gefallen, was zum Teil auf das Verbot sämtlicher Ölexporte in die EU und auf den deutlichen Rückgang der Exporte nach China, Japan, Indien und Südafrika zurückzuführen ist. Dies hat zu einer steilen Verringerung der iranischen Nettoerlöse aus dem Ölexport geführt – von 95 Mrd. Dollar 2011 auf 69 Mrd. Dollar 2012. Für ein Land, das 80 Prozent seiner Exporterlöse und 50 Prozent der Staatseinnahmen aus dem Ölverkauf erzielt, ist das eine Katastrophe.
Diese multilaterale Reaktion ist das Ergebnis von Weitblick und geduldigem Engagement. Die USA haben dabei durch Anstrengung und Schweiß geführt. Statt eine Armee von Uniformträgern loszuschicken, haben sie eine Armee von Anzugträgern in Marsch gesetzt – bewaffnet mit Argumentationshilfen, um die Vorteile einer verstärkten Sanktionsdurchsetzung herauszustreichen.
Zudem war das Engagement der USA nicht auf Regierungen beschränkt. Seit vielen Jahren gehen die USA auch auf die multilateralen Organisationen und den privaten Sektor zu. (Ich erinnere mich, während meiner Zeit als Chefsyndikus der Weltbankgruppe wiederholt detaillierte Gespräche mit amerikanischen Delegationen über die Positionen der USA geführt zu haben.) Diese Bemühungen wurden unter der Regierung Obama fortgesetzt; das US-Finanzministerium steht seit 2010 im Dialog mit 145 Finanzinstituten in mehr als 60 Ländern.
Zusammenbruch des Rial
Die Auswirkungen auf die iranische Volkswirtschaft waren verheerend. Das iranische BIP ist zwischen März 2012 und März 2013 um 1,9 Prozent geschrumpft, und der Internationale Währungsfonds prognostiziert einen weiteren Rückgang um 1,3 Prozent im laufenden Jahr. Die iranische Währung ist zusammengebrochen: Der inoffizielle Kurs des Rial ist von etwa 13.000 Rial pro US-Dollar im September 2011 auf rund 30.000 Rial pro Dollar im Sommer gefallen. Es überrascht deshalb nicht, dass die Inflation in die Höhe geschossen ist; für den Zwölf-Monats-Zeitraum bis August hat die iranische Notenbank eine offizielle Inflationsrate von 39 Prozent bekanntgegeben.
Diese Zahlen stützen die Sichtweise, dass die neue diplomatische Positionierung des Iran mehr ist als bloße Fassade. Doch sie sind nicht nur wichtig, weil die Lösung der Nuklearfrage „als eine Grundlage für einen breiter angelegten Frieden dienen kann“, wie Obama der Vollversammlung der Vereinten Nationen im vergangenen Monat erklärte. Sie zeigen auch, was machbar ist.
Seit Amerikas Erfahrungen im Irak und in Afghanistan wurde zu viel darüber geredet, wozu Amerika nicht in der Lage ist. Aber hier haben wir ein klares Beispiel dafür, was sich durch eine echte multilaterale Anstrengung unter amerikanischer Führung, gestützt auf harte Arbeit, erreichen lässt. Es steht zu hoffen, dass dieser Erfolg Obama und die USA ermutigt, derartige Anstrengungen häufiger zu unternehmen, damit Durchbrüche wie jetzt im Falle des Iran nicht länger die Ausnahme bleiben.
Aus dem Englischen von Jan Doolan
Copyright: Project Syndicate, 2013. www.project-syndicate.org
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