Es ist nicht das erste Mal, dass zum G7-Gipfel der westlichen Industrienationen Staatenlenker der aufstrebenden Wirtschaftsmächte geladen sind. Aber in dieser Zeitenwende nach dem völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine, will die Bundesregierung doch ein Zeichen setzen: Es soll keine Blockbildung geben zwischen Russland und China auf der einen Seite und dem Westen auf der anderen, in die der Rest der Welt sich dann irgendwie einsortieren darf. Das sei eine Falle, die Putin lege, warnt Bundeskanzler Olaf Scholz. Vielmehr liege es im Interesse aller globalen Demokratien des 21. Jahrhunderts weiter zusammenzuarbeiten.
Geopolitsich sieht so ungefähr die Welt aus, wie sie dem Kanzleramt gefällt. Die Zeiten seien vorbei, in denen einzelne Mächte die Welt unter sich aufteilten und in Einflusssphären dächten. Es gehe um unterschiedliche Kraftzentren. Und unter den fünf Demokratien, die Bundeskanzler Olaf Scholz zum Gipfel in Elmau geladen hat, sind die großen Schwellenländer Indien, Indonesien, Südafrika und Senegal als Vertreter der Afrikanischen Union (AU) sowie Argentinien. Zusammengenommen vertreten sie fast ein Viertel der Weltbevölkerung. Drei der fünf Gäste aus dem Süden haben sich allerdings in der UN-Generalversammlung enthalten, als es darum ging, Russlands Aggression auf der Weltbühne zu verurteilen.
Tatsächlich ist es das erste Mal, dass Deutschland in der G7 die Wehrhaftigkeit von Demokratien auf die Tagesordnung setzt. Es soll dazu in einer Erklärung ein gemeinsames Fundament geschaffen werden. Es geht darin um den Respekt internationaler Regeln, die Souveränität von Staaten und die Anerkennung ihrer Grenzen. Das ist eine andere Art der Reaktion auf den brutalen Bruch des Völkerrechts durch Russlands Präsident Wladimir Putin. Wenn auch weit weniger direkt und wirkungsvoll, als es eine Unterstützung der westlichen Sanktionen gegen Moskau wäre.
Überzeugungsarbeit
Dieses Ansinnen steht so nicht auf der Tagesordnung, schwingt aber unausgesprochen mit. So heißt es auch aus dem Weißen Haus: Es gehe nicht darum, diese Länder von einem Bruch mit Moskau zu überzeugen, sondern gemeinsam die Konsequenzen von Putins Handelns zu besprechen. Dabei sollen die Gäste auch hören, was der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij per Video zu sagen hat. Die Bundesregierung setzt darauf, dass der wiederholte intensive Austausch mit den Partnern „auch zu einer Annäherung der Positionen führt“.
Unter dem Motto „Fortschritt für eine gerechte Welt“ soll den Schwellenländern für einen Schulterschluss mit dem Kraftzentrum des Westens auch einiges geboten werden. So will eine geschlossene G7 im Dialog mit den Ländern des globalen Südens Modelle der internationalen Kooperation diskutieren, wo diese durchaus eine Schlüsselrolle spielen: angefangen von der Erreichung der Klimaneutralität, über die Verfügbarkeit von Ressourcen für die Energiewende, bis hin zur weltweiten Ernährungssicherheit, die durch die aktuelle Preiskrise für Energie, Nahrungsmittel und Dünger akut gefährdet wird.
In drei Arbeitssitzungen mit den Gästen – teilweise mit den internationalen Organisationen IWF, OECD, WHO, IEA, Weltbank, WTO und Vereinte Nationen – sollte der von Deutschland vorgeschlagen Klimaklub das Bindeglied sein, das vieles zusammenhält. Ein Instrument dafür: sogenannte Just Energy Transition Partnerships, in denen Partnerländern „offen und inklusiv“ Unterstützung für ihre Energiewenden angeboten wird. Neben Südafrika und Senegal stehen dabei auch Indonesien, Indien und Vietnam auf der Liste.
Konkrete Finanzzusagen soll es auch geben – teilweise sicherlich aus dem 600 Mrd. Dollar umfassenden Infrastrukturpaket für die Schwellen- und Entwicklungsländer, mit dem die G7 ein Gegenstück zu Chinas Initiative der Neuen Seidenstraße schaffen wollen. Nach Angaben Italiens wird dabei auch die Gasinfrastruktur und der Ausbau der Erneuerbaren Energien in Afrika ins Visier genommen. Im Indopazifik sollen Flughäfen, Häfen und Eisenbahnverbindungen realisiert werden.
Welche Türen lassen sich also öffnen für weitere Kooperationen in den einzelnen Ländern? Ein Überblick:
Indonesien
Präsident Joko Widodo richtet das nächste Treffen der G20-Schwellenländer aus, zu dem auch Russland eingeladen ist. Wie sich die G7 dazu positioniert, wird vermutlich kurzfristig vor dem Treffen im Oktober entschieden. Aber der Bundeskanzler unterstreicht bereits, wie wichtig die Zusammenarbeit der Industrie- und Schwellenländer ist. „Wir dürfen die G20 nicht torpedieren.“ Dieses Signal wird mit der Einladung der Schlüsselfigur Widodo gesetzt. Zugleich erhofft sich der Westen von Indonesien eine Art Brückenfunktion zur Wirtschaftsmacht China, die von EU und USA als Rivalen – und nun an der Seite Putins gesehen werden. Auch Jakarta stemmt sich gegen Pekings Expansionsdrang im Südchinesischen Meer. Das asiatische Land will es sich zugleich weder mit Moskau noch mit Washington verscherzen.
Indien
Narendra Modi war schon zu zwei G7-Treffen in Frankreich und Großbritannien eingeladen und betrachtet sich inzwischen als unumgängliche Regionalmacht – auch in seiner Rivalität zu China. Nicht zuletzt in der Frage drohender Hungerkrisen in Afrika und Asien spielt das Riesenland als zweitgrößter Weizenproduzent der Welt eine wichtige Rolle. Neu Delhi hat zum Schutz der eigenen Versorgung teilweise Exportbeschränkungen verkündet, will aber die vom deutschen G7-Vorsitz mit der UN-Crisis Response Group gegründete Global Alliance for Food Securityunterstützen, die durch eine bessere Koordinierung von Hilfsbeiträgen der wohlhabenden Länder drohende Ernährungskrisen eindämmen soll. Modi pflegt unter den Gästen wohl die engsten Kontakte zu Russland, importiert Waffen und Erdöl – und will Moskau nicht verärgern. Dennoch ist die Kooperation – nicht zuletzt in Klimafragen – auch aus Sicht des Westen unumgänglich. „Das Ziel ist, sich um eine Reihe von gemeinsamen Prinzipien und Initiativen zu vereinen“, hieß es aus dem Weißen Haus.
Senegal
Anfang Juni traf Präsident Macky Sall Putin noch in Sotschi. Auch dort trat er als Vorsitzender der Afrikanischen Union (AU) auf, mit der Botschaft, Russland möge sich bewusst machen, „dass unsere Länder, auch wenn sie weit vom Kriegsschauplatz entfernt sind, Opfer dieser Wirtschaftskrise sind“. Exportbeschränkungen für russische Düngemittel und Getreide, die Blockade ukrainischer Getreideausfuhren, gestiegene globale Energiepreise wegen des Konflikts – all das bekommt Afrika wegen hoher Abhängigkeiten besonders krisenhaft zu spüren. Aber in der AU verfängt die Erzählung Russlands, dass daran vor allem die Sanktionen des Westens Schuld seien. Dies zu korrigieren, hat Kanzler Scholz bereits mit einem Besuch vor wenigen Wochen im Senegal und Südafrika begonnen. „Wir merken da auch ein Umdenken“, heißt es im Kanzleramt dazu. Senegal soll im übrigen auch eine Klimapartnerschaft angeboten werden und Unterstützung bei der Erschließung von LNG-Gasvorkommen erhalten.
Südafrika
Von Südafrika ist am wenigsten zu erwarten, dass es die Bande zu Russland durchtrennen würde. Das Land am Kap ist ein Gründungsmitglied der BRIC-Ländergruppe, der neben Russland auch Indien und Brasilien angehören, die genau aus dem Grund ins Leben gerufen wurde: der Dominanz des Westens und seiner global agierenden Finanzinstitutionen etwas entgegenzusetzen. Außerdem orientiert sich die Außenpolitik daran, wer dem regierenden ANC im Freiheitskampf gegen die Apartheid zur Seite stand. Zugleich ist auf dem Weg Südafrikas zur Klimaneutralität die große Hürde der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern – in erster Linie Kohle – zu überwinden. Dies finanziell zu unterstützen durch westliche Technologiehilfe und sozial verträglich zu gestalten, ist ein Ziel der Just Energy Transition Partnerships, die Deutschland als Klimapartnerschaft bereits mit der Regierung in die Wege geleitet hat. Die ersten Finanzierungen werden bereits geplant.
Argentinien
Dass Präsident Alberto Fernández aus Argentinien als einziger Vertreter Lateinamerikas nach Elmau eingeladen ist, liegt daran, dass es gerade den Vorsitz der CELAC innehat, der Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten. Er ist aber auch in eigener Sache unterwegs und verkündete, sein Land habe der G7 „viel anzubieten". Tatsächlich exportiert Argentinien Soja, Mais, Weizen, Früchte und Fleisch und verfügt über die zweitgrößten Ölschiefer-Lagerstätten der Welt. Die Förderung könnte durch westliche Investitionen in Schwung kommen, um Gas aus Patagonien zu liefern. Lateinamerika wird von den G7 insgesamt als wichtiger strategischer Partner für die Energiewende gesehen durch die regenerativen Energiequellen einerseits – und die Exportmöglichkeiten für grünen Wasserstoff andererseits.