Der Nikkei 225 Aktienindex erreichte am letzten Freitag seinen höchsten Stand seit 33 Jahren. Ende der 80er-Jahre war Japan nach dem Platzen einer gewaltigen Immobilienblase und einer gefährlichen Krise seiner Banken in die wirtschaftliche Stagnation gefallen, aus der es sehr lange kein Entrinnen gab. In Deutschland und den anderen westlichen Industrienationen verloren die Investoren und die Konzerne nach und nach jedes Interesse an der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt. Nun schaut man erstmals wieder genauer hin.
Japan hat keineswegs alle strukturellen Probleme gelöst; einige lassen sich auch gar nicht lösen, beispielsweise die große Überalterung der Bevölkerung oder die starke Abhängigkeit von Rohstoffimporten. Aber das Land präsentiert sich wieder dynamischer als viele in den letzten Jahrzehnten für möglich gehalten hatten. Die Wirtschaft wächst dieses Jahr deutlich schneller als in Deutschland. Man rechnet mit einem Plus von 2,1 Prozent nach 1,7 Prozent im vergangenen Jahr. Japan spielt nicht nur in seinen traditionellen Industrien eine wieder stärkere Rolle, sondern auch in anderen Sektoren, die noch vor zehn Jahren völlig unbedeutend waren. Vor der Coronakrise boomte der Tourismus und die Zahlen der ausländischen Besucher stiegen von Jahr zu Jahr an. Alle Experten gehen davon aus, dass Japan schon bald wieder auf diesen Pfad zurückkehrt.
Japan exportiert seine Kultur in viele Länder – das Land gilt unter Jugendlichen als cool, vor allem in Asien. Nur Südkorea hält mit, China besitzt dagegen nur eine sehr geringe kulturelle Anziehungskraft. Japanische Küche, Manga-Hefte, Anime-Zeichentrickfilme und Computerspiele gewinnen weltweit immer neue Anhänger. Das Image des Landes wandelt sich – und macht es auch wieder interessanter für Konzerne, die in den vergangenen 30 Jahren nur noch den gewaltigen Markt im benachbarten China im Fokus hatten.
Japan übernimmt weltweite Verantwortung
Der G7-Gipfel in Hiroshima führte der Welt am letzten Wochenende ein Land vor, das auch politisch alte Stereotype hinter sich lässt. Die so oft gehörte Metapher, Japan sei ein wirtschaftlicher Riese, aber ein politischer Zwerg, stimmt nicht mehr. In der Vergangenheit versuchten die schnell wechselnden japanischen Regierungen fast immer, sich aus den großen globalen Krisen herauszuhalten. Gegenüber China übte sich Japan in geopolitischer Demut und machte fast alles mit, was Peking an Unterwerfungsgesten erwartete. Doch das hat sich grundlegend geändert. Japan geht mit dem großen, gefährlichen Nachbarn zwar höflich, aber bestimmt um. Man arbeitet in Tokio unermüdlich daran, alte Abhängigkeiten abzubauen und neue zu verhindern.
Japan hat auch die Bewährungsprobe nach dem russischen Überfall auf die Ukraine bestanden. Die Regierung sieht Wladimir Putins Krieg nicht als eine bloße europäische Angelegenheit, sondern als einen Anschlag auf die „freie, offene und auf Rechtstaatlichkeit basierende globale Ordnung“, wie Ministerpräsident Fumio Kishida am vergangenen Freitag in einem Gastbeitrag für das „Handelsblatt“ betonte. Und Japan handelt entsprechend, auch wenn die pazifistische Verfassung des Landes direkte Militärhilfe für die Ukraine schwierig bis unmöglich macht. Das Land hat sich den meisten Sanktionen gegen Russland angeschlossen und damit die Bedingungen für ihre Wirksamkeit deutlich erhöht. Japan übernimmt weltweit mehr echte Verantwortung. Wer das Land aus den 90er-Jahren kennt, hätte diesen Wandel kaum für möglich gehalten.