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Start-ups Flaute? Von wegen! Wachsende Tech-Unternehmen trotzen steigenden Zinsen

Bei der Finanzierung von Start-ups spielen US-Investoren immer noch eine wichtige Rolle
Bei der Finanzierung von Start-ups spielen US-Investoren immer noch eine wichtige Rolle
© IMAGO / MASKOT / IMAGO
Was bedeutet die Zinswende für die Finanzierung von Start-ups? Wer echtes Wachstum erzielt, braucht sich als Gründerin oder Gründer auch künftig kaum Sorgen machen. Julian Lange erklärt, warum das so ist

Als die Fed Ende letzten Jahres steigende Leitzinsen ins Auge fasste, reichte alleine diese Überlegung für ein Mini-Erdbeben an den Börsen. Gerade der Technologie-Sektor, in dem Risikokapitalgeber auch private Start-ups aus Mangel an lukrativen Alternativen während der Pandemie mit Geld überhäuften, bekam die sich abzeichnende sichere Rendite-Alternative unmittelbar zu spüren. Was dieser Paradigmenwechsel für mit Venture-Capital finanzierte Start-ups bedeutet? Die gute Nachricht gleich vorweg: Wer echtes Wachstum erzielt, braucht sich als Gründer:in auch zukünftig kaum Sorgen, um seine Bewertung in der nächsten Runde zu machen.

Um 20 Prozent verlor der Nasdaq zwischenzeitlich, in Einzelfällen waren die Einbrüche deutlich größer. An den großen makroökonomischen Auswirkungen einer Leitzinserhöhung hat auch der Ausbruch des Ukraine-Kriegs nichts geändert. Galt im vergangenen Jahrzehnt fast durchgehend die Maxime, dass Sicherheit keine, bis minimale Rendite verspricht, so steuern wir nach der lockeren Geldpolitik während der Pandemie nun der Inflation entgegen – und eine Zinswende bahnt sich an.

Im letzten Jahr reihte sich in der europäischen Start-up-Szene eine Rekordfinanzierung an die nächste. Summa Summarum über 100 Mrd. Euro flossen laut Atomicos State of European Tech in europäische Tech-Firmen – fast dreimal so viel wie noch 2020. Die Volumina der ganz großen Runden mit mehr als 250 Mio. US-Dollar stiegen gar um 900 Prozent!

Infolge der Pandemie beträgt die Inflation teils um die sieben Prozent. Zugleich fürchten Volkswirte angesichts des Krieges ein Abrutschen in die Rezession oder zumindest eine Stagnation.

Investoren prüfen kritischer

Diese neuen makroökonomischen Rahmenbedingungen kriegen auch Start-ups im Fundraising zu spüren. Erwies sich die Pandemie als Katalysator der bis dahin teils dümpelnden Digitalisierung weltweit und befeuerte entsprechend die Unternehmensbewertungen VC-finanzierter Start-ups, so sind in der neuen wirtschaftlichen Weltordnung echtes Wachstum in Form von Kunden, Umsätzen und Margen die entscheidenden Faktoren. Schwarz auf weiß, statt auf dem Papier und hypothetisch. Wie man hört, prüfen Investoren die vorgelegten Zahlen inzwischen deutlich kritischer als noch im letzten Jahr als das Geld vergleichsweise locker saß. Es mehren sich Berichte zurückgezogener Term Sheets und verschobener Finanzierungsrunden, auch wenn das natürlich kein Investor oder Unternehmen offen zugeben möchte.

Die unter Druck geratenen Kurse an der Börse verändern aber nicht nur die Metriken der Finanzierungsrunden, sondern wirken sich auch unmittelbar auf die Exit-Pläne vieler Gründer:innen aus: Schließlich notieren die Kurse vieler Unternehmen, die kürzlich an die Börse gegangen sind, deutlich unter Ausgabekurs. Einige geplante Börsengänge wurden in letzter Zeit vermehrt verschoben oder ganz abgesagt. Die zuletzt sehr beliebten Spacs entfallen nahezu als ernstzunehmende Option. Damit ist zugleich eine wichtige Exit-Option für VC- und Wachstums-Investoren zumindest unwahrscheinlicher geworden, auch wenn ein Börsengang ganz grundsätzlich natürlich realisierbar bleibt.

Landen europäische Tech-Unternehmen also wieder auf dem harten Boden der Tatsachen nach ihrem Höhenflug? Nicht unbedingt. Viele europäische Tech-Unternehmen werden weiterhin sehr hohe Bewertungen erhalten. Gefragt sind etwas weniger spekulative, mehr umsatzbasierte und kundenzentrierte Geschäftsmodell. Gerade in Zeiten der wirtschaftlichen Flaute freuen sich Investoren schließlich umso mehr über jede sich bietende Wachstumsperspektive. Wie immer geht es um das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, um einen Preis zu bestimmen. Und private Unternehmen, die noch auf absehbare Zeit im drei- oder hoch zweistelligen Prozentbereich wachsen, verdienen dabei weiterhin einen Bewertungsaufschlag gegenüber den meisten an der Börse gelisteten Firmen, wo selbst Software-Unternehmen im Schnitt ‚nur‘ um 30 Prozent (oder weniger) jährlich wachsen. Schnell wachsende Start-ups können daher immer noch Bewertungen in Höhe des 30- bis 40-Fachen ihres für die nächsten zwölf Monate prognostizierten Umsatzes erzielen.

Geld ist ausreichend vorhanden

Einige Gründerinnen und Gründer halten jetzt sogar mehr Trümpfe in der Hand als zuvor. Dies gilt vor allem für diejenigen, die nicht auf Teufel komm raus die nächste Runde abschließen müssen und über eine Runway – also Kapitalreserven – von ein bis zwei Jahren verfügen, um ihren Wachstumskurs ungeachtet aller globalen Erschütterungen weiter zu finanzieren.

Denn viele Fonds-Manager haben zuletzt hohe Summen eingesammelt. Kapital, das ohnehin vorhanden ist und auch investiert werden will – ganz ungeachtet dessen, was mit den Leitzinsen passiert. Schließlich sind die Management-Gebühren in der Regel an stattfindende Investments gekoppelt, nicht an das Verwahren der Gelder. Auch einige neu aufgelegte Fonds mit Volumina von mehreren 100 Mio. Euro sind ein klares Anzeichen dafür, dass das verfügbare Wachstumskapital nicht signifikant abebbt. Erst in den vergangenen Wochen erreichten Unternehmen wie Veriff, Deliverect oder SellerX Unicorn-Status. Selbst kapitalintensive Modelle wie Liefer-Start-ups konnten größere Investments verkünden.

Wirkliche Auswirkungen hat die Leitzins-Debatte ohnehin nur bei solchen größeren Runden und für all diejenigen, die einen Börsengang unmittelbar ins Auge gefasst haben. Im Early-Stage-Bereich haben die Manager einen langen Anlagehorizont, einige wenige „Ausreißer nach oben“ sorgen dort schlussendlich für den Löwenanteil der Rendite. Die Herausforderung bleibt dort die gleiche wie eh und je: Zu einem sehr frühen Zeitpunkt bereits die Firmen zu finden, die eine Milliardenbewertung erreichen können – ob anfangs dabei 20 oder 30 Prozent mehr oder weniger fließen ist dann eher nebensächlich.

Übrigens ist empirisch nicht einmal belegt, dass steigende Zinsen automatisch zu einer Abwertung von High-Growth- und Tech-Aktien führen: In den letzten zehn Jahren korrelierten Zinsen und Kurse nicht, in einigen Perioden sogar entgegen der eigentlichen Erwartung. Betrachtet man die letzten 30 Jahre, lassen sich für den gesamten Zeitraum lediglich zwei Prozent der Kursbewegungen von Tech-Aktien mit Zinsbewegungen erklären. Teilweise sind Tech-Unternehmer auch im Vorteil: Im Schnitt nur halb so stark verschuldet wie Nicht-Tech-Firmen führen steigende Zinsen zu weniger stark steigenden Kosten für Kredite.

Bleibt abschließend festzuhalten, dass Innovation auch in der neuen Epoche der Treiber der Weltwirtschaft bleibt – und dass Venture Capital hierzulande wohl öfter als Wachstumskapital denn als Risikokapital tituliert wird. Von diesem Fokus auf das Wesentliche kann die Digitalwirtschaft schlussendlich sogar profitieren.

Julian Lange ist Chief Financial Officer bei Aiven, einem Unternehmen für Managed-Cloud-Services, das weltweit Open-Source-Datentechnologien verwaltet. Aiven hat 210 Mio. Dollar Wachstumskapital eingeworben und ist mit Hauptsitz in Helsinki auf drei Kontinente mit Hubs in Berlin, Boston, Paris, Toronto, Sydney und Singapur expandiert. Mit einer Bewertung von zwei Milliarden Dollar hat Aiven im Herbst 2021 den Unicorn-Status erreicht. Zuvor war Lange als CFO bei Marley Spoon tätig, wo er zum Wachstum des Unternehmens von 50 auf 1500 Mitarbeiter beitrug und einen erfolgreichen Börsengang leitete. Neben seiner Rolle als CFO ist er auch als Angel-Investor und Berater für zahlreiche Start-ups in den verschiedensten Branchen tätig. Mehr unter aiven.io.

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