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Bernd Ziesemer Vorwärts in die Vergangenheit bei Thyssenkrupp

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Der Essener Mischkonzern verordnet sich mal wieder eine Kurswende – zurück zu den Strukturen vor fünf Jahren. Das kann nicht gutgehen

Auch im Essener Stadtverkehr gilt die gute alte Autofahrerregel: Wer viermal rechts abbiegt, landet wieder am ursprünglichen Ausgangspunkt. Genau das ist seit 2018 bei Thyssenkrupp passiert: Damals trat der Vorstandsvorsitzende Heinrich Hiesinger zurück, der bis zuletzt eisern an der Idee eines zentral gelenkten Konglomerats mit unterschiedlichen Bereichen festgehalten hatte. Jetzt will der heutige Konzernchef Miguel Lopez wieder die gleiche Strategie durchsetzen, wenn man den Meldungen aus der letzten Woche glauben darf. Der gerade erst seit einem halben Jahr amtierende Manager verabschiedet sich damit vom Konzept seiner Vorgängerin Martina Merz, die Thyssenkrupp als lockere „Group of Companies“ mit einer kleinen Holding führen wollte.

Nach 2018 verwarf der Essener Konzern nacheinander drei andere Strategien, die unterschiedlicher nicht sein konnten: die Aufspaltung des Konzerns in zwei Teile, die Konzentration aufs Stahlgeschäft und eine dezentrale Führungsstruktur für weitgehend unabhängige Konzernteile. Lopez ist der dritte Konzernchef nach Hiesinger, der mit einem Federstrich alle Überlegungen seiner Vorgänger für baren Unsinn erklärt. Mittlerweile amtiert auch der dritte Aufsichtsratsvorsitzende seit 2018 in Essen. Man muss all diese Dinge nur aufzählen, um sich klar zu machen: der Konzern taumelt seinem Ende entgegen.

In den letzten fünf Jahren musste sich Thyssenkrupp von seiner einzigen wirklich hochprofitablen Sparte trennen – dem Aufzugsbereich. Der damalige Erlös von über 17 Milliarden Euro sollte den Rest des Konzerns wieder handlungsfähig machen. Inzwischen ist von der Riesensumme kaum noch etwas übrig, ohne dass man von einer Sanierung des Gesamtkonzerns sprechen kann. Operativ ist man in Essen kaum vorangekommen. Man muss nur das Ebit-Ergebnis des gerade abgelaufenen Geschäftsjahrs 2022/23 mit 2021/22 vergleichen: Fünf von sieben Sparten schlossen zuletzt schlechter ab als vorher. Wegen der hohen Abschreibungen auf den Stahlbereich blieb ein operatives Minus von 1,5 Milliarden Euro, während zuvor noch ein Plus von 1,8 Milliarden Euro stand.

Trennung von Stahl unausweichlich

Bei allem hin und her der Strategien, Organisationskonzepte und Personen bleibt die zentrale Erkenntnis: Solange Thyssenkrupp die marode Stahlsparte nicht verkaufen kann, können die Aktionäre alle Hoffnungen fahren lassen. Die Börse bewertet ihren Gesamtkonzern mittlerweile nur noch mit gut vier Milliarden Euro. Der Abschlag auf den Wert aller noch vorhandenen Teile des Konzerns ist gewaltig, weil die Finanzmärkte kein Konzept für die Zukunft sehen. Daran ändert auch die neue Kehrtwende unter Miguel Lopez nichts. Die Berichte über seine neusten Pläne bewegten den Kurs der Aktie in der letzten Woche so gut wie gar nicht.

Entscheidungen werden in Essen künftig noch schwieriger als vorher schon. Lopez konnte die Berufung von zwei zusätzlichen Vorstandsmitgliedern im Aufsichtsrat nur gegen den geschlossenen Widerstand der Arbeitnehmervertreter durchsetzen. Der Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm musste sein doppeltes Stimmrecht ziehen, um die Personalien durchzuboxen – ein Novum in der gesamten Geschichte des Konzerns, in dem traditionell Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre überall mitregieren. Nun sinnen sie auf Rache. Keine gute Nachricht für einen Konzern, der dringend gute Nachrichten bräuchte.   

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