Wer den nagelneuen Wissenschaftspark Hsinchu auf der Insel Taiwan vor gut 35 Jahren besuchte, fand sich nach längerer Fahrt durch Reisfelder und Hügelketten in einem merkwürdig menschenleeren und sterilen Betongelände mit gesichtslosen Bürohäusern wieder. Rund 90 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Taipeh wollte die Regierung modernste Industrien aus dem Boden stampfen – aber kaum ein westlicher Besucher hielt es für möglich. Heute residieren dort über 400 High-Tech-Firmen und das wahrscheinlich wichtigste Unternehmen der Welt: der Chiphersteller TSMC.
Kein anderer Konzern fertigt Jahr für Jahr so viele Halbleiter wie TSMC, niemand sonst verfügt über das Knowhow für die Produktion der fortgeschrittensten Chip-Generation, kein Wettbewerber schaffte in den letzten 20 Jahren kontinuierlich so hohe Wachstumsraten. Die Bauteile aus Taiwan stecken in Maschinen und Autos, Flugzeugen und Computern, Smartphones und medizinischen Geräten. Ein plötzlicher Ausfall der TSMC-Werke würde die Welt in die tiefste Rezession der Nachkriegszeit stürzen. Kein anderes Einzelunternehmen auf der Welt verfügt über eine ähnliche Bedeutung wie TSMC. Auf Taiwan sieht man den hoch profitablen Konzern sogar als geostrategischen „Lebensretter“: Die verfeindete Volksrepublik China, die immer wieder mit der militärischen Eroberung der Insel droht, würde unter der Zerstörung der TSMC-Werke leiden wie kaum ein anderes Land und schreckt möglicherweise auch deshalb bisher vor einer Invasion zurück.
Das Nachbarland Japan hat die besondere Bedeutung des Konzerns erkannt. Dort entsteht für sieben Milliarden Dollar bis 2023 das erste japanische TSMC-Werk, wie Konzernchef C.C Wei letzte Woche verkündete. Der frühere Regierungschef Shinzo Abe und die Spitzen der japanischen Industrie hatten sich seit längerem darum bemüht, TSMC mit hohen Subventionen und Abnahmegarantien nach Japan zu locken. Die Amerikaner haben sich gleichzeitig die Produktion von 5-Nanometer-Chips – die modernsten Halbleiter der Welt – gesichert. Für 12 Mrd. Dollar baut TSMC gegenwärtig in Arizona eine entsprechende Fertigung auf.
Es wird Zeit, dass sich auch Deutschland um TSMC bemüht. Interesse daran gibt es auf Taiwan auf jeden Fall – vorausgesetzt alle Rahmenbedingungen stimmen. Auf deutscher Seite wurde das Projekt jedoch bisher eher lustlos verfolgt. Die Regierung Merkel scheute in der Vergangenheit jeden offiziellen Kontakt mit der Regierung in Taipeh, um das kommunistische China nicht zu verärgern. Ein Großprojekt wie ein TSMC-Werk in Deutschland kommt jedoch ohne politische Flankierung nicht aus. Auch müsste der Bund viele Millionen Euro an Fördergeldern bereitstellen. Doch diese industriepolitische Investition würde sich langfristig noch erheblich mehr lohnen als das Tesla-Werk in Brandenburg. Die neue Bundesregierung könnte sich mit diesem Projekt zudem als Pionier der industriellen Modernisierung profilieren.
Halbleiter sind der wichtigste Baustein der Digitalisierung. Und in der Corona-Krise haben wir schmerzlich gelernt, wie stark ein Mangel an Chips schon heute auf die gesamte Volkswirtschaft durchschlägt. Kürzere Lieferketten wären ein Segen für die gesamte deutsche Industrie. Von den technologischen Anreizen ganz zu schweigen, die TSMC in Deutschland setzen würde.
Bernd Ziesemerist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.