Bürgergeld, Aktivrente, Bauprojekte – das sind die Ergebnisse des Koalitionsausschusses. Doch wieder einmal hat sich gezeigt: Der schwarz-rote Fortschritt ist eine Schnecke.
1. Regieren ist so verdammt schwer
Rund neun Stunden saßen die Koalitionäre in der Nacht zu Donnerstag beisammen. Gegen 2.30 Uhr soll die Sitzung des Koalitionsausschusses erst beendet gewesen sein. Am nächsten Morgen präsentierten Friedrich Merz, Bärbel Bas, Lars Klingbeil und Markus Söder dennoch nur drei Themen, bei denen man sich einig geworden war. Themen, die seit Wochen, teilweise seit Monaten diskutiert werden. Das ist nicht gerade ein Ergebnis, das Aufbruchstimmung verströmt. Regieren ist eben ganz schön mühsam.
Auch in der schwarz-roten Koalition von Friedrich Merz bleibt das regelmäßige Treffen der Partei- und Fraktionsspitzen mithin kein Routinegremium, das einmal im Monat schaut, ob alles läuft, und gegebenenfalls ein paar Korrekturen vornimmt. Stattdessen diskutieren die Parteispitzen hart und gehen tief in die Details. So berichtete Finanzminister Lars Klingbeil davon, dass man die Listen der geplanten und genehmigten Verkehrsprojekte noch einmal durchgegangen sei, um den wirklichen Finanzbedarf festzustellen. Und auch bei den Einzelheiten des Bürgergeldes wurde noch einmal lange debattiert, obwohl der Kanzler und Arbeitsministerin Bärbel Bas schon in den Tagen vorher und auch noch am Mittwochmittag lange zusammengesessen hatten.
2. Stimmung in der Koalition war gut, ehrlich
Der Kanzler konnte es nicht oft genug sagen. Los ging’s mit: „Das alles haben wir in einer wirklich ausgesprochen guten Atmosphäre beschlossen.“ Dann bedankte er sich für „die wirklich sehr, sehr gute Zusammenarbeit“. Dann: „Das war eine insgesamt wirklich sehr, sehr gute Arbeitsatmosphäre.“ Und dann noch: „Insgesamt ein wirklich guter Koalitionsausschuss in einer guten Arbeitsatmosphäre“. Friedrich Merz‘ Bemühen, die Stunden im Kanzleramt nicht als Krisensitzung einer zerstrittenen Regierung erscheinen zu lassen, waren intensiv. Die Tatsache, dass er seine Würdigung jedes Mal mit einem „wirklich“ unterstrich, verriet, dass der Kanzler wusste, welche Skepsis unter den Journalisten zu überwinden war.
Noch in den Stunden vor der Sitzung hatten manche Koalitionäre verbreitet, es gehe fast schon um den Bestand der Regierung, was etwas übertrieben gewesen sein dürfte. Tatsache allerdings war, dass in der Fraktionssitzung der Union am Dienstag massiver Unmut über die Fortschritte der Koalition laut geworden war, der auch den Kanzler unter Druck setzte.
3. Der Bremsklotz Bürgergeld ist weg
„Es wird eine wirklich (!) gute Grundsicherung geben“, versprach Friedrich Merz. „Und das Thema Bürgergeld wird der Vergangenheit angehören.“ Das soll der Schlussstrich sein unter einer Debatte, die den Beginn dieser Regierung zeitweise dominierte, ja lähmte. Im Streit ums Bürgergeld schienen nicht nur die unterschiedlichen Sozialstaatskonzepte der Koalitionäre zusammenzuprallen. An der allmählichen Schrumpfung der von Friedrich Merz und der Union erträumten Einsparpotenziale ließ sich über die vergangenen Monate auch die allmähliche Ankunft von CDU und CSU in der Regierungswirklichkeit ablesen. Trotzdem ist für die Union die neue Härte politisch das wichtigste Ergebnis, um dem von ihr selbst aufgebauten Eindruck entgegenzuwirken, der Staat finanziere mit dem Geld der arbeitenden Bevölkerung vor allem den Müßiggang von Faulenzern.
Für die SPD ist es ein bemerkenswerter Schritt, dass sie sich am Ende darauf eingelassen hat, nach einem mehrstufigen Prozess verschärfter Sanktionen im äußersten Fall auch sämtliche Leistungen zu streichen. Die Ergebnisse bei der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen dürften da nicht ohne Wirkung geblieben sein. Ob die Regelung auch grundgesetzkonform ist, dürfte sich früher oder später vor dem Verfassungsgericht zeigen.
4. Ministerin Reiche, zur Kasse bitte!
Der Kanzler versprach: „Alles, was baureif ist, wird gebaut.“ Der wochenlange Streit um die Verkehrsinvestitionen offenbarte, dass in der Politik manche Löcher einfach kleiner werden, wenn man nur lange genug in sie hineinstarrt. Beklagte der Verkehrsminister jüngst noch das Fehlen von rund 15 Milliarden Euro für den Bau bereits geplanter und genehmigter Straßen und Schienen, blieb nach dem Koalitionsausschuss nur noch ein Fehlbetrag von drei Milliarden Euro. Wie geht das? Ganz einfach: „Wir haben uns die Liste der baureifen Projekte noch einmal angeschaut“, berichtete der Kanzler. Man habe „sehr sorgfältig alle Listen noch einmal durchgeprüft.“ Schwupps, schon fehlte viel weniger Geld.
Aus dieser Diskussion ist eindeutig Finanzminister Lars Klingbeil als Sieger hervorgegangen, der den beklagten Fehlbetrag immer schon als viel zu hoch kritisiert hatte. Für die drei Milliarden Euro wird nun im 500 Milliarden Euro schweren Sondervermögen für Investitionen umgeschichtet. Leidtragende ist Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU), wie Klingbeil eher nebenbei erläuterte: Drei Milliarden, die bislang bei ihr für Investitionen in Mikroelektronik vorgesehen waren, werde man in den Bereich Straße „rüberschieben“, wie es der Finanzminister formulierte.
5. Verbrenner-Aus: Eine Vollbremsung soll Fortschritt sein
Nach der Sitzung ist im Kanzlerleben vor der Sitzung. Bereits am Mittag warten auf Friedrich Merz Vertreter der Auto-Industrie. Mit ihnen wollen der Kanzler, Finanzminister Klingbeil und auch Markus Söder, diesmal in seiner Funktion als Ministerpräsident des Autolandes Bayern, über Wege aus der Krise der deutschen Schlüsselindustrie sprechen. Man sei sich einig, betonten alle schon vorab, dass es vor allem darum gehe, Jobs bei den Autobauern, vor allem aber auch bei den Zulieferern zu erhalten. Der Abbau Tausender Arbeitsplätze bei Bosch, Conti und ZF hat Schockwellen auch in die Koalition gesandt. Wichtigster Streitpunkt in der Regierung: Das Verbrenner-Aus im Jahre 2035. Söder will das ganz entschieden weg haben. „Zu glauben, dass 2035 alles elektrisch fährt, ist illusorisch“, sagte er in der Pressekonferenz nach dem Koalitionsausschuss. Merz ist seiner Meinung, nur nicht ganz so laut. Andere Ministerpräsidenten wie der Niedersachse Olaf Lies plädieren für flexible Lösungen, am striktesten hielt bislang die SPD an 2035 fest. Doch auch da lockert sich die Position. Sehr wahrscheinlich wird das Thema auf der Tagesordnung des nächsten Koalitionsausschusses stehen. Denn der kommt ganz bestimmt.
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