9.16 Uhr auf dem Parkett der Frankfurter Börse: Eine Schar aus Vertretern des Prothesenherstellers Ottobock schaut auf den Mann, der auf einem kleinen Podest steht und telefoniert. Er soll den ersten Preis für die Aktie des Weltmarktführers ausrufen, die an diesem Donnerstag zum ersten Mal gehandelt wird. Noch sei der Preis allerdings außerhalb der selbstgesetzten Spanne von 62 bis 66 Euro, sagt der Mann am Telefon. Würde der bislang größte deutsche Börsengang dieses Jahres floppen, wäre das ein Desaster. Zwei Minuten später dann die erlösende Zahl für Ottobock: Die Aktie schafft es zum Börsendebüt auf 72 Euro – neun Prozent höher als ursprünglich geplant. Die Börsenglocke läuten Vorstandschef Oliver Jakobi und Großaktionär Hans Georg Näder vor Erleichterung gleich mehrmals.
Es ist derzeit kein leichtes Fahrwasser am Kapitalmarkt, mit Brainlab und Autodoc hatten zwei deutsche Firmen in diesem Jahr ihren Börsengang in Frankfurt in letzter Minute abgesagt. Einen IPO in den USA hatte Ottobock trotzdem nie erwogen, sagt Ottobock-Finanzchef Arne Kreitz zu Capital. Das hier in Frankfurt sei „ein guter Start“ und das „i-Tüpfelchen auf dem gesamten Prozess“.
Der Börsengang bringt der Firma aus dem niedersächsischen Duderstadt auf einen Schlag 808 Mio. Euro. Das Geld soll zum größten Teil an die Eigentümerfamilie von Verwaltungsratschef Hans Georg Näder gehen. Dieser will damit noch vorhandene Schulden in Höhe von rund 1 Mrd. Euro zurückzahlen. Den Kredit musste Näder über die Holding aufnehmen, um die Private-Equity-Firma EQT aus dem Unternehmen rauszukaufen. Analysten kritisieren, dass das Geld zur Schuldentilgung verwendet wird. EQT war 2017 eingestiegen und hatte 20 Prozent an Ottobock gehalten, bis Näder dies 2024 rückgängig machte.
Ottobock: eine Frage der Bewertung
Gegen Näder selbst ermittelt derzeit die Braunschweiger Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung. Näder streitet die Vorwürfe ab. Der Enkel von Firmen-Mitgründer Otto Bock hält zusammen mit seinen beiden Töchtern weiterhin 81 Prozent der Anteile. Bei seiner Rede in Frankfurt beschränkte er sich auf wenige Worte und spielte stattdessen ein Gedicht einer Prothesen-Nutzerin ein.
100 Mio. Euro aus dem Börsengang fließen an das Unternehmen selbst, das es in mögliche Übernahmen und die Entwicklung neuer Produkte investieren will. „Das Thema Mensch-Maschinen-Schnittstelle ist ein Stichwort“, sagt Kreitz. „Das heißt noch intuitiveres Ansteuern von Prothesen und Orthesen. Dafür werden wir das Geld verwenden.“
Über die Bewertung war von Analysten länger spekuliert worden. Zeitweise stand ein Börsenwert in Höhe von 6 Mrd. Euro im Raum, den Experten aber als deutlich überhöht kritisiert hatten. Zum Börsenstart kommt Ottobock mit dem Ausgabepreis nun auf einen Börsenwert von 4,22 Mrd. Euro. Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) hält eine Bewertung in dieser Größenordnung für „recht ambitioniert“, wie er dem „ZDF“ vor dem Börsengang sagte. Kreitz kontert: „Entscheidend ist ja, dass wir jetzt mit einer Bewertung von 4,2 Milliarden an den Kapitalmarkt gegangen sind. Und ich glaube, der erste Kurs hat auch gezeigt, dass es eine sehr gute Einschätzung von unserer Seite gewesen ist.“
Ottobock will Dividende auf Aktie zahlen
Ein Selbstläufer ist die Aktie trotzdem nicht. Privatanleger sollten die Entwicklung des Aktienkurses erst einige Wochen beobachten, bevor sie möglicherweise einstiegen, auch weil bisher noch wichtige Kennzahlen für eine valide Investment-Entscheidung fehlen.
2024 machte das Unternehmen einen Umsatz von 1,6 Mrd. Euro. Ansonsten weist Ottobock bisher nur wenige Unternehmenszahlen wie etwa die operative Gewinnmarge (EBITDA) aus, die zuletzt bei gut 20 Prozent lag. Ein aktuelles Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) oder den Gewinn vor Steuern (EBT) veröffentlichte die Firma noch nicht.
Auch eine Prognose für den Gewinn pro Aktie (EPS) wollte Finanzchef Kreitz zum Börsenstart nicht geben. Das wird sich künftig allerdings ändern, denn Börsenunternehmen müssen diese Kennzahlen melden. Immerhin, eine Ausschüttung an Aktionäre sei vorgesehen, sagt Kreitz: „Wir planen eine Dividende in Größenordnung von 30 bis 40 Prozent des Reingewinns des Unternehmens.“
19 Prozent der Aktien werden künftig im Streubesitz sein. Der Hamburger Milliardär Klaus-Michael Kühne zeichnete allein Aktien für 125 Mio. Euro und kommt damit auf knapp drei Prozent der Anteile. Zweiter größerer Aktionär ist ein Fonds des US-Vermögensverwalters Capital Group, der für 115 Mio. Euro einstieg. Neben der Deutschen Bank hatten mit BNP Paribas und Goldman Sachs zwei weitere Branchengrößen den Börsengang organisiert. Deutsche-Bank-CEO Christian Sewing feierte kurz mit auf dem Parkett.
Ottobock qualifiziert sich mit dem Börsenwert des Streubesitzes für den Kleinwerteindex SDax. In Zukunft dürften noch weitere Aktien auf den Markt kommen. Damit könnte Ottobock zum MDax-Kandidaten werden, was größere Aufmerksamkeit für die Aktie verspricht. Wie die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Insider schreibt, wollen sich Näder und seine beiden Töchter von insgesamt 25 bis 30 Prozent der Anteile trennen. Im ersten halben Jahr nach Börsengang müssen die begleitenden Banken einem weiteren Aktienverkauf allerdings zustimmen.