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Kommentar Amerikas Brexit

Der spektakuläre Wahlsieg von Donald Trump steht für den Niedergang der USA vom Optimismus zum Pessimismus. Von Robert Shrimsley

Amerika hat seinen Brexit. Der einzige Unterschied ist, dass man ihn diesmal nirgendwo auf der Welt als regional begrenztes europäisches Problem abtun kann.

Nach diesem Ereignis können sich die Freunde offener Märkte und die globalisierungsfreundliche Welt nur zurücklehnen und sich fragen, wo der nächste Dominostein fallen wird. Vielleicht in Frankreich. Ist sich irgendjemand sicher, dass Marine Le Pen nicht in der Lage sein wird, die Präsidentenwahl nächstes Jahr zu gewinnen? Was auch immer als nächstes kommt, wird nicht so stark nachklingen wie Donald Trumps kaum für möglich gehaltener Sieg. Aber es steht nun zweifellos fest, dass wir eine Revolte erleben gegen die politische und wirtschaftliche Ordnung, die die westliche Welt seit Jahrzehnten geprägt hat. Die Reaktion der Märkte zeigt, dass die Investoren es genau so sehen.

Die Verärgerung vieler US-Wähler mag spezifische Gründe haben – etwa die Kosten von Präsident Obamas Gesundheitsreform – aber die zugrundeliegende Geschichte ist die gleiche wie bei der Brexit-Kampagne und bei vielen anderen populistischen Bewegungen in der westlichen Welt. Trumps Sieg ist nur um ein Vilefaches bedeutender als der Brexit, nicht nur für die USA, sondern für alle Länder, die von Amerika Führung erwarten und die nun einen völlig unberechenbaren Mann an ihrer Spitze sehen. Diese Wahl ist ein Signal für den Abstieg der USA vom Optimismus zum Pessimismus. Vor acht Jahren hat das Land für „Hope“ und den Slogan „Yes we can“ gestimmt. Trumps Kampagne setzte dagegen darauf, die USA als Opfer darzustellen.

Allen, die das Pro-Brexit-Votum am eigenen Leib gespürt haben, werden die Entwicklungen in Amerika sehr vertraut vorkommen. Im Kern ist die Nation zerrissen in zwei Hälften, und keine dieser Hälften kann auch nur für eine Sekunde verstehen, was die andere dazu getrieben hat, so abzustimmen, wie sie es getan hat. Und je lauter und schriller schlaue Menschen proklamierten, dass Trump unwählbar sei, umso überzeugter waren seine Anhänger, dass sie genau einen wie ihn wollen.

Sieg der simplen Slogans

Sein widerwärtiges Verhalten gegenüber den regierenden Eliten der Nation, ihren Intellektuellen und Liberalen und sogar gegenüber den Granden des Establishments der republikanischen Partei ist zu seinem wichtigsten Vorzug geworden in einem Teil der Gesellschaft, der davon überzeugt ist, dass das Land einen radikalen Wandel braucht. Auch für den Fall, dass Trump nicht gewonnen hätte, wäre das Ausmaß der Wut und der Spaltung schwer auszulöschen gewesen.

Der künftige Präsident hat den richtigen Ton getroffen für die große Gruppe wütender, weißer Arbeiter im ganzen Land. Es sind jene Menschen, die erleben mussten, wie die Sicherheiten ihres Alltags durch Globalisierung, Freihandel, neue Technologien und den Bedeutungsverlust Amerikas schwanden.

So wie schon beim Brexit hat ein emotionaler Appell mit einem simplen Slogan jede rationale Argumentation geschlagen. Viele haben die Wahrheiten und die berechtigten Zweifel an der Ehrenhaftigkeit des republikanischen Kandidaten in Kauf genommen. So wie beim Brexit spielte es keine Rolle, dass er keine näheren Details zu seinen süßen Versprechen vorlegte. Die Leute haben in erster Linie für den Wandel gestimmt und entschieden, sich über die Details erst später Gedanken zu machen.

Im Wahlkampf war Trump keine Aussage zu ungeheuerlich. Selbst Drohungen, seine Kontrahentin zu verhaften, den Medien einen Maulkorb zu verpassen und einer ganzen Weltreligion die Einreise in die USA zu versperren, haben seiner Anziehungskraft nicht geschadet. Sein Lob für Russlands Präsidenten und seine Weigerung, eine Wahlempfehlung des Ku Klux Klan für ihn zurückzuweisen, störten ebenfalls nicht.

Die gleichen Fehler wie Cameron

Erst viel zu spät hat das Establishment begonnen, die Gefahr zu wittern. So wie der frühere britische Premierminister David Cameron die Pro-Brexit-Partei UKIP voller Überheblichkeit als „Verrückte, Irre und Rassisten“ abtat, beschrieb Hillary Clinton die Hälfe der Trump-Anhänger als „bedauernswert“. Die Tatsache, dass einige von ihnen wirklich bedauernswert sind, schmälert die Dummheit nicht, den Rest in einen Topf mit ihnen zu werfen.

Trump hat die Brexit-Kampagne als eine Vorlage gesehen. Während seines Wahlkampfs ließ er sogar Nigel Farage, den Führer des Pro-Brexit-Lagers, als Unterstützer und Berater einfliegen. Seinen eigenen Sieg sagte er als „Brexit plus plus plus“ voraus. Als Trump immer stärker auf der Klaviatur der Unzufriedenen spielte, schien Clinton diese Gruppe aus dem Blick zu nehmen, um sich traditionelleren Unterstützergruppen der Demokraten zuzuwenden – was die Sorgen verstärkte, die Trump bei Frauen, Minderheiten und Akademikern hervorrief.

Viele der Trump-Wähler waren sich sehr wohl seiner Defizite bewusst. Aber die Verärgerung, die sie zu einer Stimme für den Republikaner bewegte, war stärker als jede mögliche Abneigung gegen ihn. Im Gespräch vor einem Wahllokal in Brooklyn räumte ein arbeitsloser IT-Manager ein: „Ich weiß nicht, ob ich ihm vertraue.“ Ein anderer betrachtete ihn als „das geringere von zwei Übeln“. Optimistischere Unterstützer sprachen darüber, wie Trump „America great again“ machen, den „Sumpf austrocknen“ und Jobs zurückbringen werde. Anders ausgedrückt lässt sich formulieren, dass Trump versprach, die Zeit zurückzudrehen in eine Ära, in der die USA gegen die wirtschaftlichen Kräfte von außerhalb des Landes besser geschützt waren.

Viele spekulieren darüber, die Demokraten hätten Trump mit Clinton den einzigen Gegner geschenkt, gegen den er gewinnen konnte. Für seine Strategie hätte er sich keinen besseren Gegenkandidaten vorstellen können. Clinton steht für alles, gegen das sich Trumps Aufstieg wendet. Neben der liberalen Grundhaltung, wie sie die meisten Demokraten vertreten, steht sie für das Establishment-Kontinuum – und für eine Nähe zur verhassten Wall Street, deren führende Köpfe um eine Bestrafung für die Finanz- und Wirtschaftskrise herumgekommen sind. Hinzu kommt Clintons Nähe zu jenen Gruppen, die die Anhänger der Trump-Rebellion im Visier haben: vor allem arbeitende Frauen und Einwanderer, die sie aus dem Arbeitsmarkt drängen, und junge Akademiker, die ihren Wohlstand genießen, während sie dem Niedergang ihrer traditionellen Industrien zusehen müssen.

Hoffnung auf einen Roosevelt

Es steht außer Frage, dass Clinton auch mit Frauenfeindlichkeit zu kämpfen hatte. Der Anrufer in Rush Limbaughs rechtskonservativer Radioshow, der sagte, die Demokratin erinnere ihn an eine typische Ex-Frau, traf den Nerv einiger Wähler. Wir werden zudem nie sicher wissen, welchen Einfluss die Wiederaufnahme der Ermittlungen des FBI in Clintons E-Mail-Affäre hatte. Aber die Vermutung liegt nahe, dass der Fall für einige Wähler, die nach einer Legitimation für eine Stimme gegen Clinton gesucht haben, eine Legitimation lieferte.

Darüber hinaus versprühte die Clinton-Kampagne Freudlosigkeit, fast eine Art Anspruchsdenken. Für jene Veranstaltung, die eigentlich ihre Siegesfeier werden sollte, buchten die Demokraten einen riesigen, seelenlosen Glaspalast, das Jacob Javits Conference Center. Es schien, als wollte Clinton auf der Feier eigentlich zu der gläsernen Decke über ihrem Kopf deuten und erklären, dass sie diese mit ihrem Wahlsieg durchbrochen hat. Dieser Moment lässt nun noch auf sich warten.

Als die Realität sich Bahn brach, konnte man in der Halle das Unverständnis der Clinton-Anhänger spüren. Sie mussten nicht nur mit einer Niederlage umgehen, sondern mit einer Niederlage, die sie einfach nicht verstehen können. Es ist eine Niederlage, die die Leute dazu zwingen wird, ihren Blick auf die USA zu überdenken.

Trump und seine Truppen haben im Wahlkampf begeistert jede Regel gebrochen, haben unglaubliche Lügen verbreitet und politische Positionen ohne jede Glaubwürdigkeit vertreten. Die größte Sorge für Trumps Gegner – und auch für die gesamte Welt – ist, dass er durch seinen Sieg gegen alle gängigen Meinungen nun erst recht keinen Grund sehen wird, diesen Argumenten zuzuhören. Es gibt nur wenige Zwänge, die ihn davon abhalten können, den Atomdeal mit dem Iran aufzukündigen, internationale Handelsabkommen zu beerdigen und das US-Engagement in der Nato zurückzufahren. So wie beim Brexit wachen viele Minderheiten heute mit mehr Furcht vor der Zukunft auf, weil Vorurteile gegen sie nun legitimiert und entfesselt worden sind.

Früher hat es Amerika alle paar Jahrzehnte geschafft, in Vertrauenskrisen den richtigen Mann zu finden. Das beste Beispiel ist vielleicht Teddy Roosevelt. Trump ist an die Macht gekommen, weil er erkannt hat, dass das Land wieder Sehnsucht nach einem solchen Mann hat. Aber an dieser Stelle scheinen die Parallelen aufzuhören. Trump hat gerade die erstaunlichste Revolte in der Geschichte des Landes entfesselt. Die Amerikaner und der Rest der Welt können nun nur noch hoffen, dass er – entgegen aller offensichtlicher Indikatoren - irgendwie den Beweis antritt, dass er in der Lage ist, zu den Höhen eines Mannes wie Roosevelt aufzusteigen. Und die Dämonen zu beherrschen, die er selbst entfesselt hat.

Copyright The Financial Times Limited 2016

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