Prominente Gastronomen warnen vor einem „Sterben auf Raten“. Ihr Verband zieht nach den ersten bundesweiten Lockerungen eine erschreckende Bilanz, die eine baldige Pleitewelle befürchten lässt: Obwohl Deutschlands Gast- und Hotelwirte seit einigen Wochen wieder öffnen dürfen, bleibt der Ansturm aus. Vier von fünf Betrieben waren nach einer Umfrage des Branchenverbandes Dehoga zu weniger als der Hälfte ausgelastet. Nur jeder fünfte konnte zu mehr als der Hälfte an frühere Umsätze anschließen.
Damit haben sich die Umsatzerwartungen an die Öffnungen, die dank sinkender Infektionszahlen mit Covid-19 möglich wurden, nicht erfüllt – zumindest im Durchschnitt. Bei dem verhaltenen Umsatz können die Wirte voll hochgefahrene Betriebskosten gar nicht einspielen.
Es bleibe eine dramatische Ausnahmesituation, sagt Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Dehoga-Bundesverbandes. „Trotz Neustart kämpfen die Unternehmer weiterhin um das Überleben und um Arbeitsplätze.“ Die Corona-Auflagen wie Abstandsgebote, Kontaktbeschränkungen, noch einmal deutlich erhöhte Hygienestandards sowie neue Dokumentations- und Registrierungspflichten bedeuteten viel höhere Aufwendungen bei gleichzeitig massiven Umsatzverlusten und hohen Kosten. Von Corona-bedingten Kreditverbindlichkeiten oder Stundungen ganz zu schweigen.
Viele wollten sich belohnen
Hier und da war der Aufholbedarf gerade an den zurückliegenden Feiertagen zwar groß. Nach langer Abstinenz haben Kunden das Gastro-Angebot mehr als dankbar angenommen. Vor allem in Außenbereichen schienen die Hygiene und Mindestabstandsregeln der Geselligkeit keinen Abbruch zu tun. Aber nur selten ist das Reservierungsbuch voll (s.u.). Vielerorts scheint die erste Welle der Euphorie schnell abgeklungen.
Wirtschaftlich rechnet sich der Neustart für die Gastronomen also bei weitem nicht. Laut einer Dehoga-Umfrage von Ende Mai unter 8000 Mitgliedern gaben acht von zehn Betrieben an, dass sie unter den Auflagen zwangsläufig Verluste einfahren würden. Nach dem Neustart meldete demnach fast jedes dritte Restaurant (31,9 Prozent) lediglich einen Umsatz von einem Viertel bis zur Hälfte im Vergleich zum Vorjahr. Weitere knapp 30 Prozent lagen unter einem Viertel, und 17 Prozent erzielten sogar weniger als ein Zehntel der normalen Umsätze.
Größte Umsatzeinbußen seit Beginn der Zeitreihen
Das Statistische Bundesamt meldete für den Monat März mit 45,4 Prozent Verlust zum Vorjahresmonat die größten Umsatzeinbußen seit dem Beginn der Zeitreihen im Jahr 1994. Dabei waren Übernachtungen in Hotels und anderen Beherbergungsbetrieben erst ab dem 18. März untersagt, und Gaststätten waren mit Ausnahme von Abhol- und Lieferservices ab dem 22. März vollständig geschlossen.
Von dem Konjunkturpaket, das die Bundesregierung für die heimische Wirtschaft gegen die fatalen Folgen der Pandemie geschnürt hat, erwartet der Branchenverband indes nur bedingt Erleichterungen. Wiewohl die Überbrückungshilfen aus überlebenswichtig seien, so reichten sie – weil begrenzt auf die Monate Juni bis August – doch nicht aus. Eine Ausweitung auf sieben Monate sei zwingend notwendig.
Umso mehr komme es jetzt darauf an, dass die angekündigten Hilfen für das Gastgewerbe „schnell fließen“, mahnt Dehoga-Geschäftsführerin Hartges. Dabei müsse der Grad der Betroffenheit der Betriebe entscheidender sein, als Größe oder Mitarbeiterzahl. Die Antragsberechtigung - mindestens 60 Prozent weniger Umsätze in April/Mai und fortdauernd in Juni bis August mindestens 50 Prozent – dürften die meisten Wirte erfüllen. Erstattet werden 50 Prozent der fixen Betriebskosten, höchstens 80 Prozent, wenn 70 Prozent des Umsatzes weggebrochen ist. Und ein Steuerberater muss das alles prüfen.
Capital hat einige Gastwirte direkt befragt. Hier schildern sie Freud und Leid:
„Das Reservierungsbuch ist voll“

Kevin Fehling vom Drei-Sterne-Restaurant The Table Hamburg:
Aufgrund der Reduzierung der Plätze im Restaurant ist der Betrieb leider nicht ganz so wirtschaftlich wie er vorher war. Aber insgesamt freuen wir uns sehr, dass wir wieder Öffnen durften, und ich bin jetzt davon überzeugt, dass das der richtige Schritt war. Aufgrund der gesundheitlichen Situation und der Ansteckungsgefahr habe ich das anfangs hinterfragt. Aber nach neun Wochen war es einfach notwendig, wieder zu arbeiten. Da kommt man sonst an seine Grenzen.
Die Nachfrage ist im Moment extrem, bei einigen schreit da scheinbar das „Belohnungszentrum“. Leider können wir gar nicht so viele Gäste annehmen, wie wir eigentlich möchten. Der Betrieb rechnet sich aber trotzdem auf jeden Fall. Wir spüren im Moment eine sehr positive Energie unserer Gäste, was ich nicht unbedingt gedacht hätte. Das Reservierungsbuch ist voll.
Das allerwichtigste ist mir, und das ist keine Floskel, dass keine Mitarbeiter infiziert werden. Die größte Herausforderung ist so wirtschaftlich wie möglich dazustehen und die Mitarbeiter so positiv wie möglich bei Laune zu halten. Ich bin immer schon ein Stehaufmännchen gewesen, und lasse mich nicht unterkriegen.
Die Soforthilfe für das Restaurant bekamen wir relativ zügig. Aber einen Tag vor der Eröffnung darüber zu informieren, dass man ab morgen wieder öffnen darf, war auch nicht so schlau. So ging uns nach über neun Wochen Schließungsphase eine ganze Woche durch die Lappen. Aber man muss auch ehrlich sagen, dass es für alle eine sonderbare Situation ist. Letztendlich bin ich einfach froh, dass wir wieder aufhaben.
„Den Spirit nicht verlieren“
Janina Atmadi, Geschäftsführerin theNOname in Berlin:
Wir haben in den ersten Wochen nach der Wiedereröffnung für den Abend zum Fine-Dining ein reduziertes Fünf-Gänge-Menü vorbereitet. Die ersten beiden Tage waren sehr erfolgsversprechend – also fast ausgebucht. Die Euphorie der Gäste nach Corona hat sich leider über die weiteren beiden Wochen nicht gehalten. Unsere Lage in Berlin-Mitte ist zwar zentral, aber doch sehr von Touristen abhängig. Für das Lunch-Geschäft kommen daher wenig Spaziergänger oder Laufpublikum. Und unser Abendangebot wird nur gering gebucht. Es ist auch schwer, bei den Abständen und Auflagen die Aufbruchstimmung hoch zu halten.
Rentabel arbeiten können wir so nicht. Die in der Corona-Zeit entwickelten Produkte, wie etwa Bowls aus dem Lunch- und To Go-Konzept von mittags bis zum Nachmittag, erhalten wir aufrecht. Wir haben aber dennoch große Umsatzeinbußen zu verzeichnen. Wirtschaftlich gesehen erlebt jeder Unternehmer gerade, dass die Zuschüsse diesen langen Zeitraum nicht abdecken.
Wir müssen umdenken, denn Touristen und Geschäftsreisende als die Zielgruppe entfallen zum großen Teil. Die ansässigen Firmen und Bürostandorte in unserer Gegend haben in der Corona-Zeit das Homeoffice schätzen gelernt. Auch diese Zielgruppe entfällt. Die Berliner in Mitte kochen gefühlt viel zu Hause. Zudem sind viele Wohnungen in unserem direkten Umfeld Ferienwohnungen und derzeit nicht genutzt. Auch unsere Ideen zu neuen Veranstaltungsformaten müssen noch ruhen.
Unser Bezirk leidet sehr unter den ausbleibenden Touristen und so greift der ursprüngliche Business-Plan in diesen Zeiten nicht. Wir arbeiten an neuen Konzepten und „denken um die Ecke“, um die Berliner mit einem anderen Angebot zu erreichen. Derzeit heißt es überleben und dabei die Motivation und den Spirit nicht verlieren!
„Hoffen auf eine Erweiterung von Außenflächen“
Minh Dao, Geschäftsführer vom Transit Hamburg :
Die Corona-Krise hat die gesamte Gastronomieszene sehr stark getroffen. Trotz der lang ersehnten Öffnung ist es mit einem Drittel der Tische nicht annähernd die gleiche Atmosphäre wie im Normalbetrieb. Abgesehen davon rechnen wir bei einem Drittel der Tische auch nur mit einem Drittel des Umsatzes rechnen. Das Küchen- und Servicepersonal können wir wiederum nicht in gleichem Maße kürzen, sonst leidet die Qualität. Unsere Tapas leben von der Stimmung vor Ort und müssen direkt gegessen werden, da ist auch ein Lieferservice kein befriedigender Ersatz – weder für uns noch für unsere Gäste.
Wir hoffen, dass die nächsten kontrollierten Lockerungen zeitnah kommen. Dabei wünschen wir uns von der Stadt und den Beamten vor Ort mehr Verständnis für die aktuelle Notsituation und langfristige Lösungen für die Gastronomen. Es wird hoffentlich mehr von der Stadt kommen. Ich denke da an eine Erweiterung von Außenflächen und Sondergenehmigungen. Das wäre ein guter Schritt, um die Branche langfristig zu unterstützen.
Nichtsdestotrotz freuen wir uns, dass es langsam wieder Richtung Normalität geht, und noch mehr auf lange und hoffentlich bald wieder unbeschwerte Sommernächte auf dem Schulterblatt in Hamburg.