Capital: Herr Kerner, wie ist der Deal mit dem tschechischen Milliardär Daniel Kretinsky zustande gekommen?
JÜRGEN KERNER: Da müssen Sie Herrn Lopez (Chef der Thyssenkrupp AG, Anm. d. Red.) fragen, weil wir dabei nicht beteiligt waren. Die Belegschaft wurde wenige Stunden vor der öffentlichen Bekanntgabe informiert. Ich wurde als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender zwei Tage vorher von Herrn Lopez angerufen, aber nicht über die Details des Deals in Kenntnis gesetzt.
Klingt so, als ob Sie nicht sehr viel von seinem Einstieg bei Thyssenkrupp halten.
Wir beurteilen den Einstieg im Moment weder negativ noch positiv, weil wir das wirtschaftliche Konzept dahinter immer noch nicht kennen. Grundsätzlich sind wir aber an jedem interessiert, der bei Stahl mit einsteigen und Verantwortung übernehmen möchte. Das haben wir auch immer signalisiert.
Waren Sie als Arbeitnehmervertretung im Vorhinein in die Verhandlungen mit Kretinsky eingebunden oder haben ihn kennengelernt?
Wir hatten im vergangenen halben Jahr ein persönliches Gespräch, und ich selbst hatte zwei Videotelefonate mit ihm, eins davon einen Tag vor Bekanntgabe des Deals. Das ist alles sehr freundlich verlaufen, aber in keinem Gespräch konnte er detailliert erklären, was sein Geschäftsmodell ist. Wie er die Zukunft von Thyssenkrupp Stahl sieht, ist eine wichtige Frage, weil der Stahlvorstand momentan einen neuen Businessplan auflegt. Wir gehen in dem Zusammenhang von erheblichen Veränderungen und Personalanpassungen aus. Wenn es dazu kommt, ist es nicht unerheblich, was Kretinskys Triebfeder ist.
Sie stellen also infrage, dass Kretinsky gute Absichten für Thyssenkrupp Stahl hat? Immerhin hat er versprochen, „grünen Stahl“ zu unterstützen.
Dieses Versprechen ist erst etwas wert, wenn wir klären können, ob und wie er uns wirklich dabei unterstützen kann. Meines Wissens ist Kretinsky überall vernetzt, auch beim Wasserstoff. Er mag da Konzepte haben, aber die müsste er dann auch mal mit uns teilen.
Was hatten Sie in Ihren Gesprächen mit Kretinsky für einen Eindruck von ihm?
Das ist ein Geschäftsmann, der innerhalb einer Generation zum Milliardär wird, und das wird man nicht nur durch Freundlichkeit. Er ist ein knallharter Manager. Ich kann nachvollziehen, dass er an dem neuen Plan des Stahlvorstands mitarbeiten will, wenn er sich schon mit seinem Geld engagiert. Dazu hätte er aber keinen Anteil von 20 Prozent gebraucht. Das ist aus meiner Sicht eine Aktion der Thyssenkrupp AG, um die Leinen zwischen ihr und der Stahlsparte zu kappen.
Sie rechnen damit, dass der Konzern aufgespaltet werden soll?
Wir gehen davon aus, dass Thyssenkrupp sich seiner Verantwortung beim Stahl entledigen will. Wir stehen beim Stahl vor einer großen Restrukturierung, die wohl Milliarden kosten wird. Das muss aus meiner Sicht die AG bezahlen. Durch die Beteiligung jetzt und weil ein Gesamtkonzept für den Konzern fehlt, muss man aber davon ausgehen, dass es eigentlich darum geht, den Konzern zu zerlegen. Viele Stahlmitarbeiter sind da inzwischen emotionslos, sie haben aber eine klare Position: Die Belegschaft sagt, wir gehen raus, wenn es ein tragfähiges Konzept für die Zukunft gibt, das solide finanziert ist. Wenn aber der Konzern allein nach den Interessen der Aktionäre zerlegt wird, wird es Widerstand geben. Die erste Nagelprobe für die AG wird sein, ob der Stahl finanziell so aufgestellt wird, dass er überlebensfähig ist.
Dabei ist Kretinsky ja schon längere Zeit im Gespräch.
Ich weiß, dass er vor über einem Dreivierteljahr schon Interesse erklärt hat, aber was da in der Zwischenzeit passiert ist und wie die Gespräche zwischen ihm und dem Konzern waren, kann ich nicht sagen. Ich war bei keinem einzigen beteiligt.
Die roten Linien der IG Metall
Kretinskys Einstieg ist nur möglich, weil der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie und Thyssenkrupp-Aufsichtsrat Siegfried Russwurm sein Zweitstimmrecht nutzte. Wie sehr ärgert Sie dieser Schachzug?
Er ist der Aufsichtsratsvorsitzende und diese Eskalation würde es ohne ihn nicht geben. Wenn man die Mitbestimmung im Aufsichtsrat ad absurdum führt und die Doppelstimme zieht, wenn es so läuft wie jetzt, dann kann man Sitzungen zukünftig sehr kurz machen. Dann ist aber auch klar, dass am Ende alle Verantwortung allein auf Anteilseignerseite liegt – besonders bei Verlusten, zum Beispiel wenn das Stahlwerk nicht überlebensfähig aufgestellt wird.
Was werden Sie als Arbeitnehmervertretung jetzt als nächstes machen?
Erst mal muss der Stahlvorstand den neuen Businessplan vorlegen. Dann wird man sehen, wie groß der Kapitalbedarf für den Stahl ist und wie groß die Personalanpassungen sein sollen. Dann wird auch Herr Lopez erklären, ob er bereit ist, diese Restrukturierung zu finanzieren und ob es Kündigungen geben soll oder ob der Stellenabbau über die Demografie gelöst wird. Wir werden uns einer Restrukturierung nicht verweigern, weil wir sie auch als notwendig erachten. Allerdings gibt es rote Linien und die lauten: Verträge einhalten, keine betriebsbedingten Kündigungen und ein Zukunftskonzept für grünen Stahl für alle Standorte.
Was befürchten Sie, wie viele Arbeitsplätze abgebaut werden können?
Im Raum steht eine höhere vierstellige Zahl von Beschäftigten.
Bedeutet das Großkampf in Essen und Duisburg?
Die Frage wird sein, wie genau das neue Stahlkonzept aussieht und wie sich Herr Lopez zum Thema Stellenabbau und Finanzierung positioniert. Wenn sich das nicht am Verhandlungstisch klären lässt, sind wir vorbereitet. Die IG Metall wird alle Möglichkeiten prüfen bis hin zum Arbeitskampf.
Dürfen Sie denn streiken?
Streiks sind grundsätzlich möglich, sobald die Voraussetzungen für Forderungen nach einem Sozialtarifvertrag gegeben sind.
Was wäre das letzte Mittel?
Das allerletzte Mittel wäre ein Arbeitskampf. Da kann es auch sein, dass die Produktion stillsteht.
In welchem Zeithorizont wird das alles passieren?
Der Stahlvorstand wird seinen Plan wahrscheinlich Ende Juni bis Anfang Juli vorlegen, danach muss sich Herr Lopez äußern. Das wird vermutlich auch im Juli oder August sein. In diesem Zeitfenster werden wir dann überlegen, ob das aus unserer Sicht ein akzeptabler Weg ist oder ob wir in den Konfliktmodus schalten. Der Konflikt wird den Konzern sicher noch das nächste halbe Jahr begleiten.