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Sigmar Gabriel „Nach meiner Überzeugung ist der ganze Konflikt vollständig unnötig“

Sigmar Gabriel
Sigmar Gabriel war lange SPD-Politiker, in mehreren Ministerämtern und Vizekanzler. 2022 wurde er Aufsichtsratschef bei Thyssenkrupp Steel
© Fabian Strauch / Picture Alliance
Sigmar Gabriel ist als Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel zurückgetreten. Im Interview erzählt er, wie die Lage so eskalieren konnte und was das für die Zukunft der Stahlbranche bedeutet

Capital: Herr Gabriel, warum werfen Sie als Aufsichtsratschef der Stahlsparte von Thyssenkrupp hin?
SIGMAR GABRIEL: Ich werfe nicht hin, sondern ich ziehe mit drei weiteren Aufsichtsratsmitgliedern die Konsequenz daraus, dass die Thyssenkrupp AG unter Ihrem CEO Miguel Lopez die Geschäftsgrundlage für unsere Tätigkeit einseitig geändert hat. Seine Vorgängerin, Frau Marina Merz, hatte mich gebeten, dem Aufsichtsrat beizutreten, um ihn unabhängiger von der Muttergesellschaft zu machen. Damit sollte die Integrität des Prozesses der Verselbständigung der Stahlsparte gesichert werden, damit nicht der Eindruck entsteht, die Loslösung vom Konzern ginge einseitig zu Lasten des Stahls. Der neue CEO der Thyssenkrupp AG hat in den letzten Monaten immer stärker am Aufsichtsrat vorbei in das Stahlunternehmen hineinregiert oder es zumindest versucht. Als das schlicht an sachlichen und rechtlichen Fragen scheiterte, folgte eine beispiellose Kampagne gegen das Management des Stahlunternehmens. Er wollte offenbar aus seiner Sicht „unbotmäßige“ Manager so lange öffentlich unter Druck setzen, bis die von alleine gehen. Und genau dieses Ziel hat er ja erreicht. Für uns war damit klar: Die ursprüngliche Geschäftsgrundlage war entfallen. Nicht nur die Arbeitnehmerinteressen eines immerhin montanmitbestimmten Unternehmens wurden ignoriert, sondern aus Sicht von Herrn Lopez galt unsere Arbeit im Aufsichtsrat ganz offensichtlich nur noch als lästig. Und wenn das so ist, muss man gehen. Es ging einfach nicht mehr. Das Vertrauen zum Vorstandsvorsitzenden der Thyssenkrupp AG Miguel López und zu dessen Aufsichtsrat Siegfried Russwurm, der das ja alles gedeckt hat, war einfach weg. 

Damit ist die Verselbstständigung der Stahlsparte zum vierten Mal gescheitert. Woran lag es denn jetzt? 
Letztlich ist es jedes Mal am Geld gescheitert. Immer fehlten zwischen 1,5 und 2,5 Mrd. Euro für die Verselbständigung. So war es auch dieses Mal. Man kann das Problem auf zwei Wegen lösen: Entweder die Muttergesellschaft stattet die Stahlsparte entsprechend finanziell aus. Und wenn sie das wie im vorliegenden Fall nicht will, dann muss man erstmal das Unternehmen umstrukturieren und neu aufstellen. Gelingt das, kann sich das Unternehmen selbst am Kapitalmarkt refinanzieren. Das muss doch das Ziel sein. Das Bittere ist, dass wir im Aufsichtsrat am 9. August einen grundlegenden Konsens erreicht hatten. Herr Lopez, der ja Mitglied im Aufsichtsrat der Stahlsparte ist, hat das mitgetragen – um alles am nächsten Tag öffentlich zu torpedieren. Alles, was jetzt passiert ist, war unnötig. Im Ergebnis ist kein Problem gelöst. Den Stahlvorstand, der in der ganzen Branche in Europa hochgeschätzt wird, durch eine wirklich unanständige Kampagne zum Aufgeben zu zwingen, löst kein Problem. Im Gegenteil, es schafft neue. Nur wird es jetzt wieder mehr Zeit und auch Geld kosten. 

Was haben Sie ihm gesagt?
Wenn eine Verselbstständigung immer am gleichen Betrag scheitert und das viermal, dann könnte es sein, dass das nicht an den Vorständen liegt, sondern möglicherweise an den strukturellen Problemen, die das Unternehmen hat. Ich habe ihm geraten, wir lösen jetzt die strukturellen Probleme und dann reden wir über die Verselbstständigung. Aber Herr Lopez hatte seinem Aufsichtsrat wohl versprochen, er kann alles viel schneller und ohne zusätzliche Kosten lösen. 

Trotzdem ist die Lage eskaliert.
Dabei waren wir weiter als je zuvor. Die Arbeitnehmerseite war bereit, HKM zu verkaufen oder zu schließen. Man war bereit, die Kapazitäten um zwei Millionen auf neun Millionen Tonnen Stahl runterzuschrauben. All das haben wir geschafft, im Einvernehmen. 

López wollte die Kapazitäten doch fast halbieren?
Das müssen Sie ihn selber fragen. Das sagt die IG Metall. Er bestreitet das.

Bei der Mitgift hat´s dann geknallt?
Das ist keine Mitgift, sondern ein Funding. Wenn sie die Tochter an die Börse bringen wollen, dann muss sie so ausgestattet sein von ihrer Eigentümerin, dass sie am Kapitalmarkt bestehen kann. Herr López aber hat im Kopf, dass die Thyssenkrupp AG nicht mehr Eigentümerin ist, sondern sich gegenüber der Stahl AG verhalten wie eine Bank sollte. Die damit verbundenen finanziellen und rechtlichen Risiken hat der Stahlvorstand thematisiert. Und das war wohl schon zu viel der Unbotmäßigkeit.

Sie sagen, López sei das Problem. Wie erklären Sie sich, dass er den Rückhalt der Eigentümer und des Thyssenkrupp Aufsichtsrat hat?
Ich vermute, dass denen der Geduldsfaden gerissen ist. Die Anteilseigner der Thyssenkrupp AG versuchen seit 20 Jahren, den Stahl loszuwerden und keiner schafft es. Und es gibt da auch ein paar, die die Schuld bei der IG Metall sehen und wollen, dass die einer kleinkrieg. Wieso die Gewerkschaft Schuld sein soll, wenn die Thyssenkrupp AG 17 Mrd. Euro durch vorangegangene Fehlinvestitionen im wörtlichen Sinne „in den Sumpf“ setzt, hat mir noch niemand erklären können. Das ist ein Nebenkriegsschauplatz, auf dem von den eigenen Fehlentscheidungen abgelenkt werden soll. 

Wo liegen denn aus Ihrer Sicht die Fehler?
Es ist wie im richtigen Leben: Viele Hunde sind des Hasen Tod. Die Fusion von Thyssen und Krupp hat zu Strukturen geführt, die weit weniger wirtschaftlich sind als bei den Wettbewerbern. Risikovorsorge bei den CO2-Zertifikaten oder beim Energiekosten Hedging sind weitere Themen. Und dann einfach der Modernisierungsstau, den der jetzige Stahlvorstand ja aber gerade angepackt hat, nachdem viele Jahre nichts, das Falsche oder zu wenig getan wurde. Unser Weg war, diese Altlasten der Stahl AG erst einmal aufzuräumen. Aber ich gebe zu: Das braucht Zeit. Und diese Zeit wollte man uns offensichtlich nicht geben, da ja Herr Lopez versprochen hatte, er könne das viel schneller. 

Auch die Krupp-Stiftung steht offensichtlich voll hinter López. Macht Sie das wütend? 
Ich bin nicht wütend. Ich halte deren Beurteilung der Situation für falsch. Nach meiner Überzeugung ist der ganze Konflikt vollständig unnötig und vergrößert die Risiken nur. Aber jetzt tragen alle dort Verantwortlichen das volle Risiko. Jetzt gibt es keine Ausreden mehr. 

Was ist durch ein neues Management gewonnen?
Nichts. Das Unternehmen verliert nur Zeit und Geld. Die Probleme bleiben. Kritisch ist außerdem: Der Wechsel findet in einer Phase statt, wo im Stahlkonzern gigantische Großprojekte laufen. Sie errichten dort neue Anlagen, eine DRI-Anlage für die Produktion von grünem Stahl und sie bauen eine Gieß-Walzanlage im laufenden Betrieb um. Alles im laufenden Betrieb. Das hat noch keiner auf der Welt gemacht. Geht das schief, steht die deutsche Autoindustrie still. In einer solchen Situation ohne Not die verantwortlichen Vorstände zu malträtieren bis sie aufgeben, ist einfach riskant. Und das Kernproblem wird damit gar nicht erst angepackt. 

Das da wäre? 
Wie schon gesagt: Viele Modernisierungsinvestitionen sind früher unterblieben, weil die Thyssenkrupp AG gehofft hatte, dass der nächste Eigentümer das macht. Jetzt erst ist damit begonnen worden das nachzuholen. Und natürlich wurde im Bereich der Digitalisierung zu wenig investiert und auch die Flexibilität im Personalkörper ist zu niedrig. Vor allem aber leidet das Unternehmen immer noch an der Fusion Thyssenkrupp. Andere Stahlwerke haben einen Standort. Dort optimieren sie ihre Prozessketten. Wir haben 14 Standorte mit 35 Aggregaten. Das können Sie nur Schritt für Schritt ändern. Die AG muss sich fragen, warum sie diese Zustände eigentlich hat entstehen lassen, statt sich jetzt an denen abzuarbeiten, die gerade damit begonnen hatten, sie zu ändern.

Die Stahlsparte von Thyssenkrupp bekommt viel Staatsgeld für die Transformation zu grünem Stahl. Ist diese Transformation jetzt in Gefahr? 
Nicht durch das, was jetzt passiert ist. Aber es gibt Hinweise dafür, dass es am Ende zu teuer ist trotz der Förderung. Und am Ende kein marktfähiger grüner Stahl herauskommt. Es wird nochmal eine Debatte um die Förderung und die Produktion für Grünstahl geben. Aber klar ist auch, ohne Thyssenkrupp wird es kein Wasserstoffnetz geben. Wir sind der wichtigste Abnehmer. 

Transparenzhinweis: Der Interviewpartner wollte das Interview nachträglich autorisieren, dadurch haben sich einzelne Stellen in den Antworten verändert.

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