Für Sigmar Gabriel ging die letzte Woche zu Ende wie sie begonnen hatte: mit viel öffentlicher Aufmerksamkeit. Eine fette Schlagzeile in der „Bild“, ein lautstarker Auftritt in der Talkshow bei Maybrit Illner und ein giftiger Schlagabtausch mit dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk auf Twitter. Kein Zweifel: Der ehemalige SPD-Chef tummelt sich in diesen Wochen im Berliner Politgeschäft mit so vielen Pauken und Trompeten, als ob der 62-Jährige noch im Wahlkampf unterwegs wäre. Dabei verfügt Gabriel über kein einziges Mandat mehr, weder im Parlament noch in seiner Partei. Stattdessen sitzt der Ex-Politiker mittlerweile in drei Aufsichtsräten: bei der Deutschen Bank, bei Siemens Energy und bei der Thyssenkrupp Steel Europe AG. In der angeschlagenen Stahlsparte leitet Gabriel nun seit Anfang April sogar den Aufsichtsrat.
Die Vorstandschefin des Mutterkonzerns überschlug sich bei seiner Berufung mit geradezu überschwänglichem Lob. Der SPD-Mann sei eine „sehr kompetente“ Persönlichkeit, bringe aus seiner Zeit als Minister „wertvolle Erfahrungen“ mit, stelle eine „ausgezeichnete Ergänzung“ für den Aufsichtsrat dar und werde „klare Akzente“ im Stahlbereich setzen. In Wahrheit dürfte sich die Personalie Gabriel in die lange Reihe von Fehlentscheidungen einreihen, die Thyssenkrupp in den vergangenen 20 Jahren gleich mehrfach an den Rand des Bankrotts geführt haben.
Die Stahlsparte von Thyssenkrupp bleibt ein Problemfall
Nun sollte man den Aufsichtsrat in einer Konzernsparte nicht überschätzen. Die Entscheidungen fallen bis auf weiteres nicht in Duisburg, sondern in der Zentrale in Essen. Außerdem bleibt der bisherige Aufsichtsratschef der Stahlsparte und Finanzchef des Gesamtkonzerns, Klaus Keysberg, als Aufpasser an der Seite des Politikers. Und die eigentlich geplante Abspaltung der Stahlsparte liegt vorerst wieder auf Eis, weil die Zahlen zuletzt wieder so grottenschlecht waren, dass sie allein nicht überlebensfähig wäre. Man verspricht sich von Gabriel deshalb in seiner neuen Funktion vor allem eines: Viel Geld in der Bundesregierung und in der Landesregierung NRW locker zu machen, um den teuren Umbau der Hochöfen auf Wasserstoffbetrieb zu finanzieren.
Doch Gabriel gehört nicht in die Kategorie Türöffner, sondern Lautsprecher. Bei jedem neuen Talkshowauftritt müssen die Thyssenkrupp-Manager nun sehr genau hinhören, ob der Politiker nicht etwas von sich gibt, was mit den neuen Aufgaben des Aufsichtsratschefs nicht vereinbar ist. Und Gabriel ist dafür bekannt, dass er oft redet, ohne vorher groß nachzudenken. Auch ist unklar, woher das Multitalent die Zeit für die ordentliche Wahrnehmung seines Mandats im Konzern eigentlich nehmen will: Gabriel arbeitet als Publizist und Berater, betätigt sich kommerziell bei der PR-Beratung Brunswick, leitet die Atlantik-Brücke, schmückt sich mit zahllosen in- und ausländischen Ehrenämtern. Und geht wohl auch künftig keinem Mikrofon aus dem Weg, das man ihm hinhält.
Ob Gabriel tatsächlich die entscheidenden Türen für Thyssenkrupp öffnen kann, darf man bezweifeln. In Brüssel verfügt der Ex-Wirtschaftsminister über mehr Feinde als Freunde – auf EU-Ebene aber müssten alle Staatshilfen für den deutschen Stahl genehmigt werden. Bleibt nur die Hoffnung auf den SPD-Genossen Olaf Scholz, für den sich Gabriel in den letzten Wochen ohne Rücksicht auf Verluste in den Kampf wirft. Vielleicht zahlt sich das aus, wenn der innen- und außenpolitisch bedrängte Bundeskanzler mit seiner Taktiererei im Ukraine-Krieg durchkommt. Aber wenn es sich auszahlt, dann wäre der Erfolg zugleich zweifelhaft: Ein Politiker, der dem Kanzler in allen Talkshows beispringt, nur um am nächsten Tag in seiner Funktion als Aufsichtsratschef die Hand aufzuhalten für seinen Konzern? Geht irgendwie nicht.