Schon vor einigen Jahren war Christian Angermayer in der Finanzelite von New York eine große Nummer. Damals tobte in Europa die Euro-Krise, die Märkte waren hochnervös, auch viele Investoren aus Manhattan hatten Milliarden im Feuer. In dieser Zeit bot die US-Investmentbank Bank of America Merrill Lynch großen Hedgefonds und anderen wichtigen Kunden einen Austausch mit einem besonderen Gesprächspartner aus Deutschland an: Angermayer. Angepriesen wurde der damalige Mittdreißiger, der daheim als Investmentstar galt, von der Bank mitunter als „Advisor to Chancellor Merkel“ – als jemand, der ganz nah dran ist an den Entscheidungen in Berlin, die Milliarden bewegen können.
Bereits in dieser Zeit habe Angermayer mit seinen Kontakten und vermeintlich exklusiven Einblicken in die Politik geprahlt, sagen Finanzmanager, die ihn bei Runden erlebt und seine Mails mit Informationen über die deutsche Politik gelesen haben. Doch tatsächlich habe Angermayer meistens nicht viel mehr geliefert, als in der Zeitung stand, gerne allerdings präsentiert als „confidential“. Das Konkreteste seien noch Exit Polls bei Landtagswahlen gewesen – Prognosen, die bei Medien und Parteien in Berlin an Wahltagen bereits nachmittags unter der Hand kursieren. Im Streit um den Grexit etwa galten auch Landtagswahlen in Deutschland als potenziell kursrelevant.
Mehr als zehn Jahre ist das her. Seither ging Angermayers Finanzkonglomerat ABL, das er 1999 mit zwei Partnern gegründet hatte, in die Brüche. Durch Recherchen des „Stern“ wurde 2014 bekannt, wie er seine politischen Netzwerke mitunter auch für seine Geschäfte einsetzte. Als Schlüsselperson diente damals der CDU-Abgeordnete Philipp Mißfelder. Der inzwischen verstorbene Außenpolitiker öffnete Angermayer Türen in die Politik und half bei Zugängen zu Parteipromis, die dieser auch für eigene Interessen nutzte.
Doch heute ist Angermayer nicht nur als Unternehmer wieder groß im Geschäft. Zu seinem Milliarden-Imperium, das über sein Malteser Family Office Apeiron Investment Group gesteuert wird, gehören Beteiligungen an Firmen aus zahlreichen Branchen: Rohstoffe, Raumfahrt, Krypto, Pharma. Viele von ihnen sind börsennotiert, etwa die Bitcoin-Mining-Firma Northern Data, der IT-Sicherheitsspezialist Cyan – und vor allem die Magic-Mushroom-Holding Atai Life Science mit Hauptsitz in den Niederlanden, die psychedelische Substanzen für Medizinprodukte zur Bekämpfung von Depressionen und anderer Krankheiten entwickelt und Mitte 2021 an der Nasdaq an die Börse ging. In einer Investorenpräsentation von Ende 2019 brüstete sich Angermayer, er habe über 20 Jahre insgesamt mehr als 1,5 Mrd. Euro an Investorengeldern für seine Portfoliounternehmen eingeworben. Zudem sei er in mehr als 40 Fällen bei Börsengängen und M&A-Deals involviert gewesen.
Werben um Investment von Marsalek
Zu Angermayers Business-Netzwerk und Geschäftspartnern gehören auch internationale Topshots wie der umstrittene US-Tech-Investor Peter Thiel und der Krypto-Milliardär Mike Novogratz. 2019 vermittelte er zudem auch die Beteiligung des japanischen Softbank-Konzerns an dem Zahlungsdienstleister Wirecard über eine Wandelanleihe – gegen ein Beratungshonorar von 11,25 Mio. Euro, wie aus Wirecard-internen Mails hervorgeht.
Mit den Wirecard-Chefs Markus Braun und Jan Marsalek pflegte Angermayer auch persönliche Kontakte, bevor der Betrugskonzern Mitte 2020 kollabierte. In Mails an Marsalek, die Capital vorliegen, warb er beispielsweise um Investments bei seiner Schweizer Biotechplattform Rejuveron, die Medikamente entwickelt, die das Altern verlangsamen oder sogar umkehren können, sowie bei einem seiner Krypto-Unternehmen. „Würde mich sehr freuen, wenn du an Bord kommst“, schrieb Angermayer im Oktober 2019 an den heute von Interpol gesuchten Ex-Wirecard-Vorstand. Die Krypto-Firma BlockOne sei „neben Atai (der Magic-Mushroom-Company) meine coolste und aussichtsreichste Firma“. Ob Marsalek anbiss und tatsächlich investierte, ist unklar.
Aber auch die Drähte des begnadeten Netzwerkers in die Topetagen der Berliner Politik scheinen bis heute nicht gelitten zu haben. In einer aktuellen Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage des Linken-Abgeordneten Christian Görke zu Kontakten von Bundesministern mit verschiedenen Investoren werden auch zahlreiche Kontakte von Angermayer aufgelistet. Über Jahre pflegte der Unternehmer demnach besonders gute Drähte ins Bundeswirtschaftsministerium – ähnlich wie etwa der österreichische Immobilieninvestor René Benko, der als Eigentümer der Warenhäuser von Karstadt und später auch Galeria Kaufhof allerdings über viele Tausend Jobs und das Bild vieler Innenstädte in Deutschland entscheidet und in der Corona-Krise mehrmals persönlich über Staatshilfen verhandelte, wie aus der Regierungsantwort ebenfalls hervorgeht. Den damaligen Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) bombardierte Angermayer regelrecht mit Mails, in denen er häufig Informationen zu seinen Unternehmen oder in einzelnen Fällen auch Bitten übermittelte. Fragen von Capital zu seinen politischen Kontakten ließ der Tech-Unternehmer unbeantwortet. Auch das Wirtschaftsministerium beantwortete keine Fragen.

Mit Peter Thiel und Jens Spahn im Kanzleramt
Bereits im Mai 2012, während der Euro-Krise, führte Angermayer zusammen mit dem damaligen Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) ein Gespräch mit dem Investor George Soros. Thema laut der Regierungsantwort, die Capital vorab vorlag: „Europa, Hedgefonds“. Im August 2012 war Angermayer Teilnehmer eines Treffens von Rösler mit internationalen Finanzinvestoren, bei dem es um die Entwicklung des Euro ging. Anwesend auch: ein Vertreter von Bank of America Merrill Lynch, jener Investmentbank, die Angermayer ihren Kunden seinerzeit als „Advisor to Chancellor Merkel“ vorstellte.
Im Juni 2016 empfing der damalige Kanzleramtschef Altmaier Angermayer und den US-Tech-Investor Thiel im Bundeskanzleramt. An dem Gespräch mit dem Mitgründer von Paypal und der Sicherheitsfirma Palantir Thiel, der heute auch als Großspender von Donald Trump und einflussreicher Strippenzieher bei den US-Republikanern bekannt ist, zum Thema „Innovations- und Investitionsstandort Deutschland“ nahm auch Jens Spahn (CDU) teil, damals Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium.
Auch Spahn gehört bis heute zu Angermayers Netzwerk. Im vergangenen Sommer war der Ex-Gesundheitsminister in Saint Tropez bei einer Veranstaltung von dessen Aurora-Institut, das sich für mentale Gesundheit einsetzt, Teilnehmer eines Panels – zusammen mit Österreichs früherem Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der heute auch für Angermayers Geschäftspartner Thiel arbeitet. Das wolkige Thema: „The political landscape in Europe and the US – source of happiness or depression?“ In anderen Runden sprachen Vertreter von Angermayers Portfoliounternehmen, bei einer Gala redete Robbie Williams offen über psychische Probleme – eine Spannbreite von Business und Pop bis Politik, die typisch ist für den Investor.
Dazu passt der Austausch, den Angermayer zeitweise mit Sigmar Gabriel pflegte, als dieser Wirtschaftsminister war. In der Regierungsantwort werden für den Zeitraum zwischen März und November 2017 vier Telefonate zwischen dem Investor und dem SPD-Politiker angegeben, zusätzlich noch ein Treffen im Oktober 2017. Worum es bei diesen Kontakten ging, bleibt offen. In der Antwort fehlen Angaben dazu. Offenbar wurden Gabriels Gespräche nicht veraktet. Auf konkrete Nachfrage dazu wollte sich das Wirtschaftsministerium nicht äußern. Die Antwort auf die Kleine Anfrage werde in Kürze veröffentlicht, „dem können wir nicht vorgreifen“, teilte ein Ministeriumssprecher mit.
Intensiv kommunizierte Angermayer auch an Altmaier, nachdem dieser 2018 an die Spitze des Wirtschaftsministeriums gerückt war. In der Auflistung der Bundesregierung finden sich 22 direkte Mails des Investors an den damaligen Minister Altmaier zwischen Februar 2019 und Juli 2021. Dabei variierten die Themen: Anfangs schickte er eine Einladung zur Münchner Sicherheitskonferenz, bei der Angermayer in der Vergangenheit eigene Randevents mit Gästen wie dem damaligen US-Botschafter Richard Grenell, Spahn oder ausländischen Staats- und Regierungschefs in „sehr intimem Rahmen“ veranstaltete. Einer seiner Gäste im Jahr 2020: Marsalek. Ein anderes Mal lud er Altmaier zu seinem Sommerfest ein, einmal wies er ihn auf ein Interview seines Geschäftspartners Peter Thiel hin.
Im Frühjahr 2020 ging es dann häufiger um die Corona-Krise. So schickte Angermayer eine Mail mit „persönlichen Bemerkungen zu allgemeiner Wirtschaftspolitik und Covid 19-Maßnahmen“, auch in einer weiteren ging es um die Corona-Politik. Immer wieder lieferte der Investor zudem Informationen zu aktuellen Entwicklungen bei seinen Unternehmen. Allein in sechs Mails an Altmaier war das Thema seine Magic-Mushroom-Firma Atai: Angermayer schickte Firmenpräsentationen, informierte über Finanzierungsrunden und im Sommer 2021 schließlich über den Atai-Börsengang in New York.
„Stalking“ oder Unterstützung für Investments?
Einige dieser Mails an Altmaier wirken ausweislich der dürren Angaben der Bundesregierung zu den jeweiligen Themen so, als gehörte der damalige Wirtschaftsminister zu einem jener Verteiler, über die Angermayer sein Netzwerk regelmäßig auf den neuesten Stand zu seinen Geschäften bringt, Investmentchancen anpreist oder zu Events einlädt. Andere wiederum richteten sich gezielt an den Minister: Im November 2019 bat er Altmaier über dessen Büro um ein „kurzes Treffen“. Anfang 2020 schickte er ihm persönlich zwei Mails zur „Flankierung eines Schreibens“ seiner Portfoliofirma Mynaric, eines Weltraumlaser-Start-ups, zu dessen Investoren auch Thiel gehörte.
Im Laufe des Jahres 2020 geriet Mynaric mit der Bundesregierung aneinander: Im Sommer untersagte der Bund den Export von Kommunikationsterminals für den Weltraumeinsatz nach China, weil er diese als Dual-User-Güter einstufte, die auch militärisch nutzbar sind. Die Technologie, bei der Daten per Laser übertragen werden, kann auch bei Kampfjets oder Drohnen eingesetzt werden. Nach dem Exportstopp zog sich die heute börsennotierte Firma aus der Nähe von München aus China zurück und klagte gegen den Bund.
Ob Angermayers persönliche Intervention bei Altmaier mit diesem Thema zusammenhing, ist unklar. Das Wirtschaftsministerium äußerte sich dazu auf Anfrage nicht, ebenso wenig wie Angermayer. Unbeantwortet blieb auch auf wiederholte Nachfrage, ob sämtliche Mails und Bitten des Investors ohne Antwort aus dem Ministerium blieben – in der Auflistung der Bundesregierung ist jedenfalls keine Reaktion Altmaiers aufgeführt. Allerdings ist die Regierungsantwort auch in einem anderen Fall unvollständig: So wird ein Termin des heutigen Staatssekretärs im Kanzleramt, Jörg Kukies (SPD), beim „Angermayer Policy & Innovation Forum“ im Juli 2022 erwähnt, bei dem Ex-Investmentbanker Kukies per Videokonferenz über die Lage nach dem G7-Gipfel in Elmau sprach. Dagegen fehlt in der aktuellen Auflistung die Teilnahme des engen Olaf-Scholz-Vertrauten Kukies an einer Angermayer-Veranstaltung im Oktober 2021 – diesen Termin des damaligen Finanzstaatssekretärs hatte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage zu Lobbykontakten im Februar 2022 noch angegeben.
Für den Finanzexperten Fabio De Masi werfen Angermayers Kontakte in die Bundesregierung Fragen auf: „Ich finde es bemerkenswert, wie Herr Angermayer Minister Altmaier permanent mit seinen Investments in Magic Mushrooms und Weltraum-Kommunikationssysteme sowie mit seinen Ansichten zu Corona bombardierte“, sagte der frühere Linken-Bundestagsabgeordnete. „Ich frage mich: War das Stalking oder hat Herr Altmaier Unterstützung der Bundesregierung für seine Investments signalisiert?“ Dies sei auch deshalb von Interesse, da Angermayer den „fatalen Deal“ der japanischen Softbank mit Wirecard eingefädelt habe, fügte De Masi hinzu. Softbank und Wirecard hatten im April 2019 das Investment über eine Wandelanleihe von rund 900 Mio. Euro bekannt gegeben. Damals stand Wirecard nach Berichten der „Financial Times“ über Bilanzmanipulationen massiv unter Druck – in dieser Lage galt das Softbank-Investment als Vertrauensbeweis. Im Juni 2020 brach der Skandalkonzern zusammen.