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Exklusiv Grenell, Marsalek und ein Treffen in „sehr intimem Rahmen“

Der Diplomat Richard Grenell war bis Mitte 2020 US-Botschafter in Deutschland. Zeitweise amtierte er auch als oberster Chef der US-Geheimdienste
Der Diplomat Richard Grenell war bis Mitte 2020 US-Botschafter in Deutschland. Zeitweise amtierte er auch als oberster Chef der US-Geheimdienste
© Stefan Zeitz / IMAGO
Ex-US-Botschafter Richard Grenell betont, er habe den flüchtigen Wirecard-Manager Jan Marsalek „nie getroffen“. Tatsächlich gab es mindestens eine Begegnung im kleinen Kreis – bei einem vertraulichen Termin eines schillernden Investors im Februar 2020

Wer ist glaubwürdiger? Der flüchtige Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek, der Millionen Euro veruntreut haben soll? Oder Richard Grenell, der jahrelang unter dem US-Präsidenten und Rekordflunkerer Donald Trump US-Botschafter in Deutschland war?

Sicher ist: Grenell ist keinerlei Straftat verdächtig. In zumindest einer konkreten Frage spricht die Beleglage jetzt aber dafür, dass eher eine Aussage von Marsalek über eine Begegnung der beiden Männer zutrifft und nicht ein scharfes Dementi von Grenell – was immer man Marsalek sonst zur Last legen mag.

Marsalek hatte im Telegram-Chat mit einer engen Mitarbeiterin am 13. Februar 2020 um 14.27 Uhr davon gesprochen, dass er um 15 Uhr „beim amerikanischen Botschafter zum Kaffee“ sitze, also bei dem damaligen Diplomaten Grenell. Der „Stern“ und Capital berichteten vor gut zweieinhalb Wochen darüber. Kurz darauf zitierte auch die „Zeit“ den Telegram-Eintrag, verlegte den Termin aber fälschlich auf Januar 2020 – was dann wiederum die US-Website „Forensic News“ zitierte, zusammen mit den Recherchen von „Stern“ und Capital.

An diesem Donnerstag reagierte Grenell auf Twitter und sprach von „fake news“, ganz im Stil seines einstigen Chefs. Er habe Marsalek „nie getroffen“, versicherte Grenell. Richtig sei, dass er damals auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesprochen habe. Aber die hätten ja „15.000 Menschen besucht“.

Wer diesem exklusiven Hochsicherheitsevent mit Staatsgästen aus aller Welt schon einmal beigewohnt und die Hürden für die Anmeldung erlebt hat, kann über eine solche vermeintliche Teilnehmerzahl allerdings nur staunen. Genau in diesen Tagen sollte eigentlich die Ausgabe der „Munich Security Conference“ (MSC) für das Jahr 2021 stattfinden; Corona machte einen Strich durch die Rechnung.

Tatsache ist, dass Marsalek im Jahr 2020 „als Teil einer Delegation“, so eine Sprecherin der Konferenzorganisatoren, „Zutritt zur Hauptkonferenz MSC 2020“ im Hotel „Bayerischer Hof“ hatte. Grenell sprach dort auf einem Panel, das als „Seitenveranstaltung“ ausgelegt war – in einem Saal für bis zu 100 Leute.

„Kaum trifft er Dich, wird er abberufen“

Unterlagen, die dem "Stern" und Capital vorliegen, zeigen außerdem, dass am Nachmittag des 13. Februar 2020 Grenell am Rande der MSC zwar Marsalek nicht zu einem Vier-Augen-Gespräch traf. Aber der Amerikaner sprach vor einer sehr kleinen, sehr exklusiven Runde von ungefähr 25 Teilnehmern im Hotel Kempinski Vier Jahreszeiten, das wenige Minuten Fußweg vom Ort der MSC-Hauptkonferenz entfernt liegt. Zu den Teilnehmern dieser Runde gehörte auch Marsalek.

Der schillernde Investor Christian Angermayer hatte hier als Begleitprogramm für die Sicherheitskonferenz ein eigenes hochrangiges Forum veranstaltet, das sich über mehrere Tage erstreckte. Die Zuhörer, zu denen Marsalek offenkundig gehörte, waren „25 internationale Investoren", wie Angermayer nach der Konferenz in einem Rückblick schrieb, auch an den Wirecard-Manager. Aus internen Mails geht hervor, dass Marsalek auch über Angermayer für die MSC akkreditiert worden war.

Auszug aus der Agenda für eine Veranstaltung des Investors Christian Angermayer am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz 2020. Einer der Gäste des vertraulichen Austauschs: der damalige US-Botschafter Grenell
Auszug aus der Agenda für eine Veranstaltung des Investors Christian Angermayer am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz 2020. Einer der Gäste des vertraulichen Austauschs: der damalige US-Botschafter Grenell

Seinen Gästen wollte er, so Angermayer im Vorfeld, in einem „sehr intimen Rahmen“ die Gelegenheit zu vertraulichen Gesprächen mit an die 30 Vertretern der internationalen Politik bieten – und alles top secret. Die Eingeladenen sollten mit niemandem über das Programm sprechen, „nicht einmal in Ihrer eigenen Organisation“.

Nach einem Programmentwurf vom 11. Februar 2020 ("strikt vertraulich") stand Grenell zwei Tage später um 15.15 Uhr auf dem Programm einer weiteren MSC-Nebenveranstaltung, die Angermayer organisiert hatte, gefolgt von "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt. Die US-Botschaft postete am Abend sogar auf Twitter zwei Fotos von Grenells Auftritt bei Angermayer. Auf einem Stuhl in der zweiten Reihe entdeckt man halb verdeckt den Kopf eines Mannes, der Marsalek sehr ähnelt.

Für die Tage darauf versprach Angermayer auch Gesprächstermine mit dem deutschen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), den Präsidenten von Afghanistan, Kasachstan und Serbien sowie den Außenministern von Belarus, Jemen und Oman. Insgesamt waren, so bilanzierte der Investor hinterher, acht Staatsoberhäupter seiner Einladung als Gastredner gefolgt sowie 18 Regierungsvertreter.

Kurz nach der Münchner Konferenz, am 19. Februar 2020, berief Trump Grenell dann kommissarisch als obersten Geheimdienstchef der USA. Angermayer reagierte einen Tag später mit einer jubilierenden Mail an seine „dear MSC Guests“. Einer seiner Redner auf dem Münchner Event sei befördert worden: „Botschafter Rick Grenell ist nun auch amtierender Geheimdienstchef der USA!“

Ebenfalls am 20. Februar kamen Marsalek und seine Kollegin via Telegram auf den Termin am 13. Februar zurück; auch hier klang alles so, als habe der Manager den damaligen US-Botschafter wirklich getroffen. „Kaum trifft er Dich wird er abberufen“, staunte die Mitarbeiterin: „Und koordiniert jetzt Geheimdienste...“

Auf zwei Anfragen von „Stern“ und Capital zu seinen Kontakten mit Marsalek und dem MSC-Termin in München hat Grenell bisher nicht reagiert – stattdessen blies er auf Twitter zur Attacke. Die US-Botschaft in Berlin verwies zu konkreten Fragen zu der Veranstaltung an Angermayer. Der Investor ließ eine Anfrage unbeantwortet.

Nach den Unterlagen, die „Stern“ und Capital vorlagen, hat es offenbar bereits vor der Sicherheitskonferenz 2020 Kontakt zwischen dem Wirecard-Topmanager Burkhard Ley und dem Büro des US-Botschafters gegeben – was gar nicht vorwerfbar sein muss. Das legt eine Mail nahe, die ein Mitarbeiter der Schweizer Finanzfirma Mountain Partners nach einer von ihr veranstalteten Unternehmerkonferenz am Tegernsee am 31. März 2019 an Marsaleks langjährigen Vorstandskollegen Ley schickte.

Er habe, so der Firmenmann an den Wirecard-Manager, „im Nachgang nochmals Deine Bitte aufgegriffen, ein Treffen mit dem US-Botschafter anzufragen“. Grenell habe ja auch bei seinem Vortrag auf der Tegernsee-Konferenz „explizit erwähnt, dass er immer ein offenes Ohr hat für Anfragen seitens von Unternehmen“. Die persönliche Assistentin des Botschafters habe bereits angekündigt, „dass Du Dich jederzeit an sie wenden kannst. Sie organisiert dann direkt den Termin.“

Kontakte in Geheimdienstszene

Es gibt keinen Beleg, dass Marsalek nach dem Gespräch am 13. Februar 2020 mit Grenell zu tun hatte, etwa in dessen Zeit als Geheimdienst-Zar. Aber dass Marsalek ein Fan von Donald Trump war, ist belegt – wenngleich er den russischen Präsidenten Wladimir Putin nach eigenem Bekunden in internen Chats noch mehr schätzte.

„Dass Grenell auch auf Marsalek traf, überrascht mich nicht“, sagt darum jetzt der Abgeordnete Fabio De Masi, der für die Linken im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages sitzt: „Das sind Brüder im Geiste.“ Marsaleks Verbindungen in Sicherheits- und Geheimdienstkreise seien ja „exzellent“ gewesen.

In der Tat häufen sich die Hinweise auf Marsaleks Kontakte in die Schlapphutszene. Nach einem Bericht von „Stern“ und Capital über einen Mailaustausch mit dem Ex-CIA-Mann und Trump-Anhänger Gary Berntsen im April 2016 bestätigte der jetzt die Verbindung gegenüber „Forensic News“.

Sogar der Politveteran Bernd Schmidbauer, bis in das Jahr 1998 Geheimdienstkoordinator unter Bundeskanzler Helmut Kohl, bestätigte jetzt ein Treffen mit Marsalek. Beide kannten den österreichischen Ex-Verfassungsschützer Martin W. Im Oktober 2018 trafen sich dann auch Schmidbauer (Spitzname: „Agent 008“) und der Wirecard-Manager in München. „Ich war überrascht, dass Marsalek über ein so breites nachrichtendienstliches Wissen verfügte“, sagte Schmidbauer jetzt der „Welt“. Marsalek habe „erkennbar Verbindungen zu mehreren Geheimdiensten, etwa zu amerikanischen und russischen“.

Schmidbauer hat auch eine Theorie, wo Marsalek heute lebt. Es gebe ja, so der Szenekenner, „einige Hinweise darauf, dass er nach Russland geflüchtet ist und dort von den Nachrichtendiensten geschützt wird“.

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