Als Whistleblower half Pav Gill einst, den Wirecard-Skandal ans Tageslicht zu bringen. Nach dem Auffliegen des Bilanzbetrugs beklagte sich der Anwalt aus Singapur, dass er von der Münchner Staatsanwaltschaft lange nicht kontaktiert worden war, um mit seinem Wissen als früherer Mitarbeiter in der Rechtsabteilung der Wirecard-Asienzentrale bei der Aufklärung zu helfen. Nun, an diesem Mittwoch und Donnerstag, sollte Gill endlich als Zeuge in dem seit Ende 2022 laufenden Wirecard-Strafprozess aussagen.
Doch am Dienstag wurde bekannt, dass der Whistleblower seinen Auftritt kurzfristig abgesagt habe. Der Zeuge habe seine Aussage „trotz vorheriger Zusage und umfangreicher Planungen“ abgesagt, teilte das Gericht mit.
Auf Anfrage von Capital begründete Gill die kurzfristige Absage seiner Teilnahme an der Hauptverhandlung in Stadelheim jetzt vor allem mit Bedenken um seine Sicherheit. Trotz entsprechender Bitten seien ihm bis zuletzt keine besonderen Sicherheitsmaßnahmen und Sicherheitszusagen für die Zeugenaussage gewährt worden, teilte der Anwalt mit. Schon in diesem Frühjahr hatte Gill in einem Capital-Interview gesagt, er sorge sich wegen seiner Rolle beim Auffliegen des Skandals um seine Sicherheit. Zur Begründung verwies er auf die inzwischen bekannten langjährigen Verbindungen des früheren Wirecard-Vorstands Jan Marsalek mit russischen Nachrichtendiensten.
Auf Fragen zu Gills Absage verwies ein Gerichtssprecher darauf, dass der Prozess gegen Ex-Wirecard-Chef Markus Braun und weitere Manager in einem „Hochsicherheitssaal“ im Justizzentrum in Stadelheim und unter „umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen“ durchgeführt werde. „Konkrete Gefährdungsmomente wurden vom Zeugen nicht genannt. Sicherheitsrisiken sind nicht ersichtlich“, erklärte der Sprecher.
Nach Angaben des Sprechers hatte Gill am Montag mitgeteilt, dass er zu den beiden schon vor langer Zeit abgestimmten Verhandlungsterminen nicht erscheinen werde. Als Grund für die Absage habe der Zeuge neben Sicherheitsbedenken auch angegeben, dass ihm kein rechtlicher Beistand zur Verfügung gestellt worden sei. Es habe allerdings keinen Anlass gegeben, Gill einen Zeugenbeistand von Amts wegen beizuordnen, erklärte der Gerichtssprecher weiter. Bei dem Zeugen handele es sich um einen ausgebildeten Juristen, es habe keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass er „seine Befugnisse bei seiner Vernehmung nicht hätte selbst wahrnehmen können“.
Ob die Zeugenaussage nachgeholt werden kann, ist fraglich – zumindest in Präsenz in Stadelheim. Nach der Strafprozessordnung kann ein Gericht bei der Beweiswürdigung nur das berücksichtigen, was auch Gegenstand der Hauptverhandlung war.