Der neue Chef der zusammengebrochenen 32-Milliarden-Dollar-Krypto-Börse FTX erhebt schwere Vorwürfe gegen das Unternehmen und seinen Gründer Sam Bankman-Fried. Das FTX-Geschäftsimperium habe Kundengelder veruntreut und es mangelte an vertrauenswürdigen Finanzberichten oder echten internen Kontrollen.
Der erfahrene Insolvenzverwalter John Ray III, der die Liquidation von Enron beaufsichtigte, schrieb am Donnerstag in einem US-Gerichtsdokument, FTX sei der schlimmste Fall von Unternehmensversagen, den er in seiner mehr als 40-jährigen Karriere erlebt habe. „Noch nie in meiner Laufbahn habe ich ein so vollständiges Versagen der Unternehmenskontrollen und ein so vollständiges Fehlen vertrauenswürdiger Finanzinformationen erlebt wie hier“, schrieb er.
Die Erklärung verdeutlicht das Chaos und die Misswirtschaft im Herzen des einst führenden Akteurs der Kryptobranche mit engen Verbindungen nach Washington DC. Der Untergang von Bankman-Frieds FTX-Imperium hat die Kryptomärkte in eine schwere Krise gestürzt. Bankman-Fried reagierte nicht auf eine Anfrage nach einem Kommentar.
Ray sagte, er habe bei FTX International, FTX US und Bankman-Frieds Firma Alameda Research „kompromittierte Systemintegrität“, „mangelhafte regulatorische Aufsicht“ und eine „Konzentration der Kontrolle in den Händen einer sehr kleinen Gruppe unerfahrener, unbedarfter und potenziell belasteter Personen“ festgestellt.
Zahlungen mittels personalisierter Emojis
Der Antrag beim Bundeskonkursgericht in Delaware zeichnet das Bild schwerwiegender Misswirtschaft Bankman-Frieds bei der Kryptobörse FTX, in die die Risikokapitalgeber wie Sequoia, Softbank und Temasek Milliarden Dollar investierten.
FTX habe es versäumt, ordnungsgemäße Bücher, Aufzeichnungen und Sicherheitskontrollen für die digitalen Vermögenswerte der Kunden zu führen, habe Software verwendet, um „den Missbrauch von Kundengeldern zu verschleiern“ und Alameda eine Sonderbehandlung zuteil werden lassen, sagte Ray. Er fügte hinzu, die Schuldner hätten keine Buchhaltungsabteilung, diese Funktion sei ausgelagert.
Das Unternehmen verfüge über keine „exakte Liste“ seiner eigenen Bankkonten und nicht einmal über eine vollständige Aufstellung seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. FTX habe „ein ungesichertes Gruppen-E-Mail-Konto“ benutzt, um die Sicherheitsschlüssel für seine digitalen Vermögenswerte zu verwalten. Die Gelder der Gruppe seien für den Kauf von Häusern und anderen persönlichen Gegenständen für Mitarbeiter und Berater verwendet worden. Und die Zahlungen seien mittels personalisierter Emojis in einem Online-Chat genehmigt worden, so Ray.
„Eines der größten Versäumnisse“ bei der internationalen FTX-Börse sei das Fehlen von Aufzeichnungen über die Entscheidungsfindung gewesen. Ray sagte, dass Bankman-Fried häufig Messaging-Plattformen mit automatischer Löschfunktion nutzte „und die Mitarbeiter ermutigte, dasselbe zu tun“.
8 Mrd. Dollar „versehentlich“ transferiert
Unter den in dem Dokument aufgelisteten Vermögenswerten befanden sich 4,1 Mrd. Dollar an von Alameda vergebenen Darlehen an verbundene Parteien, von denen 3,3 Mrd. Dollar an Bankman-Fried persönlich und an eine von ihm kontrollierte Einrichtung gingen. Bankman-Fried hatte zuvor gegenüber der Financial Times erklärt, FTX habe „versehentlich“ 8 Mrd. Dollar an FTX-Kundengeldern an Alameda trasnferiert.
Zu den Hauptzielen des Konkursverfahrens gehöre eine „umfassende, transparente und gezielte Untersuchung [möglicher Rechtsansprüche] gegen Bankman-Fried“, sagte der neue FTX-Chef.
Mehrere Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft erklärten gegenüber der FT, dass die Gläubiger angesichts des Ausmaßes des mutmaßlichen Fehlverhaltens im Vorfeld des Konkurses möglicherweise die Einsetzung eines „Treuhänders“ anstreben könnten, der dann die Leitung von FTX übernimmt.
Keine verlässlichen Bilanzen
Ray fügte hinzu, dass sich der Marktwert der Krypto-Vermögenswerte, die von FTX-International gehalten wurden, zum 30. September lediglich auf 659.000 Dollar belief. Das Dokument enthält keine Schätzung über die Krypto-Vermögenswerte, die den Kunden geschuldet werden, aber es wird angenommen, dass sie „signifikant“ sind. FTX habe 740 Mio. Dollar an Kryptowährungen in „kalte“ Offline-Wallets verschoben, wo sie sichergestellt werden konnten. Unmittelbar nach der Insolvenz wurde das Unternehmen auch noch Opfer eines Hacks, bei dem fast 400 Mio. Dollar verschwanden.
Der Konkursverfahren werde durch einen Mangel an zuverlässigen Informationen des Unternehmens behindert, so Ray. Die in der Insolvenz-Anmeldung angegebenen Bilanzzahlen seien unzuverlässig, da sie erstellt wurden, als Bankman-Fried FTX leitete.
Ray wies darauf hin, dass die von FTX unter Bankman-Frieds Führung herausgegebenen Bilanzen keine Kundenverbindlichkeiten enthielten. Er glaube nicht, dass man sich auf die geprüften Jahresabschlüsse des Unternehmens aus dem Jahr 2021 verlassen könne. In der ersten Insolvenzanmeldung vom vergangenen Freitag wurden die kombinierten Aktiva und Passiva von FTX International, FTX US und Alameda auf 10 bis 50 Mrd. Dollar geschätzt.
Im Zusammenhang mit den ersten Stellungnahmen Rays zum Zusammenbruch von FTX zeichnete sich ein Streit über die juristische Zuständigkeit ab. Anfang der Woche beantragten Beamte von den Bahamas bei einem New Yorker Bundesgericht ein Konkursverfahren nach Kapitel 15 und baten einen dortigen Richter, die in dem Inselstaat eingeleiteten Liquidationsbemühungen anzuerkennen.
Dabei geht es um eine FTX-Tochtergesellschaft mit dem Namen „FTX Digital“, die nicht in das US-Insolvenzverfahren nach Chapter 11 involviert ist, in dem sich nach Angaben der Bahamas erhebliche Kundengelder befinden. Ray schrieb am Donnerstag in einem Gerichtsantrag, dass das Verfahren nach Chapter 15 vor dem Konkursgericht in Delaware gebündelt werden sollte.
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