Die steigenden Energiepreise setzen inzwischen nicht nur viele Verbraucherinnen und Verbraucher zu, sondern auch Stadtwerken. Sie monieren, dass es zwar staatliche Hilfen gebe, diese aber nicht bei ihnen ankämen
Seit Kriegsbeginn steigen die Preise am Energiemarkt rasant. Das bringt inzwischen nicht nur Verbraucherinnen und Verbraucher in Bedrängnis, sondern auch immer mehr Stadtwerke in Deutschland. Die geraten zunehmend zwischen die Fronten. Auf der einen Seite stehen die Endverbraucher, denen sie Energie zu einem bestimmten Preis zugesichert haben; auf der anderen Seite die Vorlieferanten, von denen sie Gas und Strom beziehen und die ihre Preise deutlich erhöht haben.
Von den staatlichen Hilfsmaßnahmen, die die Bundesregierung für Bürgerinnen und Bürger sowie Energieunternehmen wie Uniper aufgelegt hat, profitieren die Stadtwerke nach eigenen Angaben dagegen nicht. Viele fühlen sich deshalb vernachlässigt.
Ausgerechnet jene Stadtwerke, die zu viel Strom produzieren und ihn an der Energiebörse handeln, trifft es derzeit besonders. Die Leipziger Stadtwerke sind so ein Betrieb. Sie verkaufen Teile ihres Stroms an der Leipziger Energiebörse EEX. „Wir produzieren so viel Strom, dass es Überschüsse gibt“, sagt Stadtwerke-Sprecher Frank Viereckl zu Capital. Das war bislang kein Problem, nun fallen den Leipzigern aber sogenannte Margin Calls auf die Füße.
Beim Margin Call fordert die Börse von den Vertragspartnern eine Sicherheitsleistung, die die Erfüllung eines Termingeschäfts gewährleisten soll. Dafür sollen sie zusätzliches Kapital auf ihr Handelskonto einzahlen. Diese Margin gibt es zwar zurück, wenn etwa der Strom ausgeliefert wird, doch die Margin-Forderungen sind parallel zu den Strompreisen derart gestiegen, dass die Stadtwerke in Liquiditätsprobleme geraten.
In Leipzig kommt für die steigenden Kosten die Kommune auf. In der vergangenen Woche kündigte die Stadt an, mit einem Kredit über 400 Mio. Euro zu helfen. „Oberstes Ziel ist die Versorgungssicherheit unserer Stadtbevölkerung. Die Stadt Leipzig macht jetzt das, was eigentlich die Bundesregierung tun müsste“, wird Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) in einer Mitteilung zitiert. „Kriegsfolgen dürfen nicht kommunalisiert werden“, sagte Jung, der gleichzeitig Vize-Präsident des Deutschen Städtetags ist.
KfW-Hilfen kommen nicht an
Dabei hatte der Bund bereits versucht zu helfen. Tatsächlich verkündeten das Wirtschafts- sowie das Finanzministerium schon im April ein Hilfspaket von über 100 Mrd. Euro. Die Förderbank KfW sollte besonders Unternehmen helfen, die unter den steigenden Energiepreisen leiden. „Dieses Programm ist aber völlig sinnlos“, sagt Viereckl. Ihm sei kein Stadtwerk bekannt, das die Hilfen in Anspruch genommen habe. Die zu strikten Bedingungen machten es den Stadtwerken beinahe unmöglich, an die Hilfen zu kommen, sagt auch der Verband kommunaler Unternehmen (VkU). Was aus Viereckls Sicht helfen würde: „Entweder Direktzahlungen oder das Aussetzen von den Mechanismen an den Börsen.“
Der Professor für Energiepolitik an der Berliner Hertie School Leon Hirth spricht dagegen von einer „Staatshilfenwelle“. „Jede Staatshilfe sollte daran gekoppelt sein, ob die Ursache des Problems auch wirklich nicht in der Verantwortung des Unternehmens lag“, sagte er. Mit Blick auf die Stadtwerke könne man das nicht immer ausschließen.
„Aus ökonomischer Sicht gibt es für Unternehmen ja Insolvenzverfahren, wenn sie nicht mehr zahlen können. Ganz egal, ob es Stadtwerke oder Supermärkte sind“, sagte Hirth. Auch den Grundversorgern dürfe demnach keine Sonderrolle zugeschrieben werden. Es bestehe die Gefahr, dass nun Unternehmen staatliche Unterstützung erhalten, die durch Fehlentscheidungen und unternehmerischen Versagen in Schwierigkeiten gekommen sind. In welcher Branche die Stadtwerke arbeiten, „darf keine Rolle spielen“, so Hirth.
Hätten die Stadtwerke die schwankenden Preise voraussehen können? Den Krieg zwischen Russland und der Ukraine sicher nicht, sagte Hirth. Aber: „Dass Preise mal deutlich nach oben und unten gehen, ist ein Kernelement der Energiemärkte“, so der Wissenschaftler. Anders verhält es sich im Fall Uniper. Das Energieunternehmen machte vor allem Geschäfte mit Gazprom und geriet dadurch in massive Schieflage, der Bund erwägt nun sogar eine Verstaatlichung des Konzerns. „Die Fehlentscheidungen einzelner Unternehmen darf man nicht auf die Allgemeinheit umwälzen“, sagte Hirth.
Hohe Preise führen zu Verzweiflung
Die Verzweiflung ob der hohen Preise ist riesig, bei vielen Stadtwerken klingeln die Servicetelefone. „Wir haben auf jeden Fall einen erhöhten Beratungsbedarf“, sagt Viereckl. Dass viele Endverbraucher in den kommenden Monaten Probleme damit haben werden, überhaupt zahlen zu können, ist den Leipzigern bewusst. Schon jetzt melden sich viele, um die von den Stadtwerken empfohlenen Beratungsgespräche zu vereinbaren. Andere sprächen gar davon, Suizid begehen zu wollen, berichtet Viereckl.
Sollten Kunden tatsächlich nicht zahlen, müssten die Versorger ihnen im schlimmsten Fall den Strom abstellen. Von solchen Sperren abzusehen, wurde in Coronazeiten schon einmal diskutiert. Frank Viereckl zeigt sich aber skeptisch: „So verlegt man das Problem nur auf die Stadtwerke. Da muss es andere Mittel geben.“
Mittel, die es jetzt braucht. „Einen Regenschirm spannt man ja auch nicht erst auf, wenn es regnet“, sagt Stefan Luig vom VkU, der die deutschen Stadtwerke vertritt. Er fordert einen Schutzschirm für Stadtwerke, der aus drei Teilen bestehen müsse: Erstens, einem befristeten Insolvenzmoratorium wie zu Hochzeiten der Coronakrise. Zweitens, einem Bürgschaftsrahmen zur Abfederung massiv gestiegener Besicherungsanforderungen im außerbörslichen Energiehandel, dem sogenannten OTC-Handel. Und drittens, Liquiditätshilfen, um im Fall der Fälle verzögerte Zahlungen der Kunden abfedern zu können.
Ein solcher Rettungsschirm für Energieunternehmen könnte tatsächlich kommen. Davon berichtete zuletzt das Handelsblatt. So diskutiere die Bundesregierung weitere 67 Mrd. Euro an Hilfen, die den Energieunternehmen zur Verfügung stehen sollen. Erst noch zeigen müsste sich, ob diese die Stadtwerke so zielgenau erreichen, wie es nötig wäre.