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Casual Friday So lebt es sich in der Zone

Obama war da und wir waren gut behütet in der Berliner Gluthitze. Kein Weg ohne Polizeibegleitung - selbst der zur Salatbar. Leider habe ich die Sauce vergessen.
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Horst von Buttlar

Der Morgen begann mit langen Schlangen in der Gluthitze. 32 Grad, Hunderte Menschen wollten zu ihren Büros und dampften in der stechenden Sonne vor sich hin. Wenn in der Zone (also jetzt Potsdamer Platz, nicht die fünf neuen Bundesländer) die „rote Stufe“ war, wurde keiner reingelassen. Rot hieß: Obama oder jemand anders aus seinem Tross bewegt sich. Dann durfte man nicht mal sein Büro verlassen oder auf den Balkon.

„Und wenn ich es doch mache?“ fragte eine Kollegin. „Dann roter Punkt auf der Stirn“, sagte der Polizist.

Wie ich vergangene Woche exklusiv berichtet habe, befand sich unsere Redaktion in der Obama-Sicherheitszone. Die 8000 Polizisten waren zum einen im Einsatz, um den US-Präsidenten zu schützen, zum anderen, so hatte ich im Laufe des Tages den Eindruck, sollten sie auch uns schützen, damit wir in Ruhe nachdenken können, was die Wirtschaft so den ganzen Tag macht. Denn sie „brummt“ ja meist weiter, auch wenn so ein Präsident kommt.

Was bedeutet das Leben in der Zone? „Sie sind hier quasi in internationalen Gewässern“, sagte uns ein Polizist beim Einlass. „Die nationalen Rechte sind in diesem Bereich aufgehoben.“

Interessant für unsere Berichterstattung, dachte ich. An jenem Tag hätte man also rein theoretisch am Potsdamer Platz eine veritable Volksverhetzung durchführen können. Ich fragte aber bei der Polizei nicht nach, ob das tatsächlich möglich sei, weil es in meinen Themenplan für Capital nicht passte.

Ein Polizist führte uns zu den Büros, und als ich zum Mittagessen ging, führte mich ein anderer Polizist zu dem einzigen Restaurant, das in der Zone offen hatte. Es war so heiß, dass man das Gefühl hatte, auch die Hitze dürfe sich in der Sicherheitszone nicht bewegen.

„Wie viel Wasser bekommen Sie?“ fragte ich, angesichts des hochroten Polizistengesichts zwischen den roten Punkten auf Stirnen und roten Stufen zur Sicherheit.

„Drei Liter“, sagte er. „Aber manche Frauen trinken weniger, also haben wir Männer etwas mehr.“ Er kam aus Bremen und würde noch sechs Stunden in der Hitze weiter glühen.

Ich nahm einen Salat als „take away“ („Es kann sein, dass Sie sonst zwei Stunden im Restaurant warten müssen“), dann gab es Geleitschutz zum Büro zurück.

Je länger dieses Spiel dauerte, desto mehr fragte ich mich, ob es nicht vielleicht anders herum war, dass ich vom Secret Service der USA und Obama beschützt werden musste. Man kennt das ja aus Filmen wie „The Sixth Sense“ oder „The Others“, wo Nicole Kidman in einem Haus lebt, das von Geistern bewohnt wird – und am Ende kommt heraus, dass sie selbst der Geist ist. (Falls Sie den Film noch nicht gesehen haben, tut es mir leid, dass ich gerade das Ende verraten habe.)

Ich hatte also den Salat, und als ich mich oben, in unserem fünften Stock, wieder an den Schreibtisch setze und die Salat-Box öffnete, merkte ich, dass ich vor Schreck vergessen hatte, mir eine Salatsauce mitzunehmen. Was tun? Kurz malte ich mir die Optionen aus: Kurz wieder runtergehen, den Polizisten vor unserem Haus mitteilen, dass man die Sauce vergessen habe, Geleitschutz zur Saucenkaraffe neben der Salatbar bekommen, mit Sauce zurück, sich damit längst verdächtig machen, eventuell verhaftet und nach Guantanamo verschleppt werden – oder, ja oder einfach diesen Salat ohne Sauce mit etwas Wasser verspeisen?

An jenem Tag aß ich, während alles um mich herum glühte und dampfte und Obama vor dem Brandenburger Tor eine Welt mit etwas weniger Atomwaffen versprach, einen trockenen Salat, Blatt für Blatt, und im Rückblick würde ich sogar sagen, es war ein guter und wertvoller Tag, weil ich den „Wert der Freiheit“ (Obama) sogar an einem fehlenden Dressing auf der Zunge schmecken konnte.

Horst von Buttlar schreibt jeden Freitag den Casual Friday. Letzte Folgen: Warum Obama unsere Nähe sucht und Machen Sie den Dachbodencheck

E-Mail: chefredaktion@capital.de

Foto: © Trevor Good

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